Perspektiven

Falsche Anreize schaden älteren Arbeitskräften

Vor ein paar Tagen hat der Bundesrat vorgeschlagen, dass Langzeitarbeitlose über 60 Jahre eine Überbrückungsrente erhalten sollen. Die grösste Schweizer Gewerkschaft, Unia, würde gerne noch weiter gehen und fordert schon seit längerem eine Ausdehnung des Kündigungsschutzes für ältere Erwerbstätige. Solche Forderungen erwecken den Eindruck, es stehe hierzulande besonders schlecht um ältere Arbeitskräfte. Doch stimmt das wirklich?

Wirft man einen nüchternen Blick auf die Zahlen, stellt man fest: Die Erwerbslosenquote der 55-64-Jährigen war 2018 deutlich tiefer (3,9%) als der Durchschnitt aller Altersklassen (4,7%) – die Aussteuerungen werden in dieser Statistik miteingerechnet. Dasselbe Bild zeigt sich bei den Sozialhilfequoten. Anders gesagt, 55-64-Jährige müssen prozentual weniger oft aufs Arbeits- und Sozialamt. Kommt hinzu, dass noch nie seit Beginn der OECD-Datenreihe (1991) mehr ältere Personen in den Schweizer Arbeitsmarkt integriert waren als heute. So ist die Partizipationsrate der 55-64-Jährigen von 64 auf 75% gestiegen. Damit liegt die Schweiz heute ganze 11 Prozentpunkte über dem OECD-Durchschnitt und 14 über dem EU-Durchschnitt.

Es soll hier nicht darum gehen, tragische Einzelschicksale von älteren Arbeitslosen zu relativieren. Unbestritten ist, dass sich diese oft in einer schwierigen Situation befinden und tendenziell mehr Mühe haben, wieder eine Stelle zu finden als jüngere Arbeitslose. Gleichwohl dürfen wir das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren: Die Lage der 55-64-Jährigen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt ist gut bis sehr gut, sowohl im Vergleich mit jüngeren Altersklassen, als auch im Vergleich mit anderen Industrieländern.

Zurecht kann man sich deshalb fragen, ob die Einführung zusätzlicher Überbrückungsleistungen oder der Ausbau des Kündigungsschutzes wirklich notwendig sind. Noch wichtiger ist aber die Frage, welche Anreize mit solchen staatlichen Eingriffen in den Arbeitsmarkt gesetzt werden. Je nachdem wie grosszügig die Überbrückungsleistungen genau ausgestaltet werden, können sie einen frühzeitigen Übertritt ins Rentenalter attraktiver machen und Unternehmen dazu verleiten, ältere Arbeitskräfte frühzeitig zu entlassen und sich ohne schlechtes Gewissen aus der Verantwortung zu ziehen. Gravierender wären die Folgen beim Kündigungsschutz: Durch dessen Ausbau sinkt der Anreiz, überhaupt neue ältere Arbeitskräfte einzustellen.

Das ist bedenklich, denn nötig wäre angesichts der demographischen Entwicklung das Gegenteil. Bei  gleichbleibenden Rahmenbedingungen dürften bereits 2030 rund eine halbe Million Arbeitskräfte auf dem Schweizer Arbeitsmarkt fehlen, und damit auch notwendige Einnahmen für die Sozialversicherungen.

Es braucht deshalb nicht weniger sondern mehr Anreize, dass Erwerbstätige länger im Arbeitsmarkt bleiben und Ältere schneller wieder eine Stelle finden. Hilfreich könnten etwa eine Erhöhung und Flexibilisierung des Rentenalters oder eine Angleichung der nach Alter abgestuften Pensionskassenbeiträge sein. Gefordert sind auch die Unternehmen: Wer neue Arbeitsmodelle oder tiefere Pensen über das Pensionsalter anbietet, kann Ältere länger im Arbeitsmarkt behalten und dadurch von erfahrenen, motivierten und produktiven Mitarbeitern profitieren. Leider gibt es noch immer Unternehmen, die diese Vorteile zu wenig sehen und ältere Mitarbeiter vorwiegend als Nachteil betrachten. Mit Massnahmen wie Überbrückungsrenten oder einem Ausbau des Kündigungsschutzes würden solche falschen Vorurteile aber eher noch gefördert.

Dieser Artikel ist in der NZZ vom 6. Juni 2019 erschienen

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