Ageing Workforce

Perspektiven

Tiefer Geschlechter- und Röstigraben beim Frauenrentenalter 65

Die Erhöhung des Rentenalters aus Sicht der Altersgruppe 50-70

Drei Stellschrauben

Letztes Jahr feierte die AHV ihren 70. Geburtstag. So richtig zum Feiern zumute war aber den wenigsten. Zwar gilt die AHV noch immer als eines der wichtigsten Schweizer Sozialwerke, angesichts der demographischen Entwicklung steuert sie jedoch auf ein grosses finanzielles Problem zu. Finanzierten bei der Einführung der AHV im Durchschnitt noch fast 7 Beitragszahler einen Rentner, beträgt dieses Verhältnis heute nur noch 3:1. 2035 dürfte es sogar auf 2:1 sinken.1

Ohne tiefgreifende Reformen ist die AHV deshalb langfristig nicht mehr finanzierbar. Ähnlich dramatisch ist die Lage auch bei der beruflichen Vorsorge (BVG), wenn auch die finanziellen Auswirkungen auf den ersten Blick nicht so sichtbar sind, weil die berufliche Vorsorge über das Kapitaldeckungsverfahren finanziert wird.

Um die Altersvorsorge finanziell auf sichere Beine zu stellen, stehen der Politik grundsätzlich drei Möglichkeiten zur Verfügung: Sie kann die Einnahmen erhöhen, die Ausgaben kürzen oder das Rentenalter erhöhen.

Ohne ein höheres Rentenalter geht es kaum

Damit die Altersvorsorge nicht in Schieflage gerät, muss mindestens an einer dieser drei Stellschrauben gedreht werden. In den letzten Jahrzehnten wurden immer wieder kleinere Einnahmeerhöhungen vorgenommen, um den finanziellen Engpass wenigstens kurzfristig etwas zu entschärfen. Weil mit fast jeder Einnahmeerhöhung die Umverteilung von jung zu alt zusätzlich verschärft wird, dürfte das Drehen an dieser Stellschraube aber auf immer grösseren Widerstand stossen. Politisch noch weniger Spielraum dürfte es für Ausgabenkürzungen geben. Somit erscheint eine Erhöhung des Rentenalters als Teil der Lösung auf längere Frist fast unumgänglich. Anders wird eine vollständige Sanierung der Altersvorsorge kaum zu schaffen sein.2

Bereits jetzt liegen zwei offizielle Vorschläge dazu auf dem Tisch. Zum einen plant der Bundesrat eine weitere Altersreform (AHV 21), die unter anderem die Erhöhung des Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahren beinhaltet.3 Zum anderen hat die Jungfreisinnige Partei kürzlich eine Initiative lanciert, die zunächst eine Rentenaltererhöhung in Zweimonatsschritten auf 66 und anschliessend eine Anbindung an die Lebenserwartung vorsieht.4

Entscheidend für den Erfolg solcher Vorhaben wird das Abstimmungsverhalten der 50 bis 70-Jährigen sein. Mit 36% stellen sie nicht nur die grösste Altersgruppe der Stimmberechtigten dar, sie verfügen auch über eine überdurchschnittlich hohe Stimmbeteiligung. Bei der letzten Volksabstimmung lag sie bei 48%, während die Stimmbeteiligung der 30-49-Jährigen 36% betrug und jene der unter 30-Jährigen gar nur 27%.5

Um ein besseres Bild über die Einstellungen dieser Altersgruppe zu erhalten, hat Deloitte Schweiz im Juni 2019 eine nach Alter, Geschlecht und Region repräsentative Onlinebefragung bei 1'000 50 bis 70-Jährigen durchgeführt.6

Unpopuläre Rentenaltererhöhung

Eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahren stösst bei 47% der befragten Personen auf Zustimmung (siehe Abbildung 1). Damit weisen 50 bis 70-Jährige bei dieser Frage eine tiefere Zustimmungsquote auf als jüngere Altersgruppen. Frühere Umfragen zeigen nämlich, dass eine deutliche Mehrheit aller Stimmberechtigten für eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahren ist.7

Deutlich tiefer ist die Zustimmung bei der Erhöhung des Rentenalters für Männer auf 66. Nur knapp ein Drittel der 50-70-Jährigen würde dieses Vorhaben unterstützen. Gleich tief ist die Zustimmungsrate für eine Erhöhung des Rentenalters auf 66 für beide Geschlechter. Noch geringer ist die Unterstützung für eine schrittweise Erhöhung auf 67 für beide Geschlechter. Der Vorschlag, das Rentenalter an die Lebenserwartung anzupassen, wird von 28% begrüsst.

Abbildung 1: Zustimmungsraten der 50-70-Jährigen zu unterschiedlichen Rentenaltersreformen

Würden Sie folgender Anpassung des offiziellen Rentenalters zustimmen?

Je tiefer die Betroffenheit, desto höher die Zustimmung

Wenig überraschend ist der angesprochene Unterschied zwischen den Altersgruppen. Für jüngere Stimmberechtigte liegt der Zeitpunkt der Pensionierung noch Jahrzehnte in der Zukunft, während ältere unmittelbar von einer Änderung des Rentenalters betroffen wären (sofern sie noch nicht pensioniert sind).

Der Effekt der Betroffenheit zeigt sich auch bei der Unterscheidung zwischen Rentner und Erwerbstätigen (im Alter von 50 bis 70 Jahren). Die Zustimmungsrate zu einer Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre liegt bei den Rentnern 10 Prozentpunkte höher als bei den Erwerbstätigen, was vor allem darauf zurückzuführen sein dürfte, dass sie von einer allfälligen Änderung des Rentenalters gar nicht mehr betroffen sein werden. Eine ähnlich hohe Differenz zwischen Erwerbstätigen und Rentner zeigt sich auch bei den anderen abgefragten Rentenaltersreformen.

Skeptische Frauen

Am auffälligsten ist der Unterschied jedoch zwischen den Geschlechtern. Während 60% der Männer zwischen 50 und 70 Jahren eine Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 befürworten oder eher befürworten, liegt die Zustimmungsrate bei den Frauen in derselben Altersklasse gerade einmal bei 32%. Und auch hier dürfte die direkte Betroffenheit eine wesentliche Rolle spielen.

Allerdings dürfte dies nicht der einzige Grund sein. Es zeigt sich nämlich, dass die Zustimmung der Männer zu einer Erhöhung des Rentenalters selbst dann höher ist als bei den Frauen, wenn nur Männer von einer Erhöhung betroffen wären (siehe Abbildung 2). Die Zustimmungsrate der Männer sinkt in diesem Fall zwar auf 35%, liegt damit aber immer noch 5 Prozentpunkte über jener der Frauen. Bei den Frauen liegt die Zustimmung demgegenüber nie höher als 32%, egal welches Geschlecht die Rentenaltererhöhung betreffen würde.

Abbildung 2: Zustimmungsraten der 50-70-Jährigen nach Geschlecht

Würden Sie folgender Anpassung des offiziellen Rentenalters zustimmen?

Breite Ablehnung in der Romandie

Grosse Unterschiede zu Tage bringt auch die Aufteilung nach Landesregionen. Wie in Abbildung 3 ersichtlich ist, öffnet sich ein tiefer Graben zwischen der Deutschschweiz und der Romandie. Nur gerade 24% der 50-70-Jährigen Romands stimmen einer Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre zu. In der Deutschschweiz liegt die Zustimmungsquote derselben Altersklasse mehr als doppelt so hoch. Ähnliche Unterschiede, wenn auch nicht so ausgeprägte, gibt es bei den anderen Varianten einer Rentenaltererhöhung.

Wenn es um Sozialpolitik geht, kommt es immer wieder zu einem Röstigraben. Das zeigt sich auch bei der Altersvorsorge, etwa am Abstimmungsverhalten der Stimmbevölkerung bei früheren Vorlagen oder den Sanierungsversuchen der Pensionskassen.8 Während die Deutschschweizer im Durchschnitt eine nachhaltige Finanzierbarkeit der Altersvorsorge stärker gewichten, erwarten die Romands tendenziell mehr Leistungen vom Staat. Kurzum: In der Westschweiz hat man ein anderes Verhältnis zum Staat. Der Röstigraben bei den Zustimmungsraten zur Rentenaltererhöhung ist deshalb keine Überraschung. Erstaunlich ist allerdings, wie tief er ausfällt.

Abbildung 3: Zustimmungsraten der 50-70-Jährigen zum Frauenrentenalter 65 nach Sprachregion

Würden Sie einer Erhöhung des offiziellen Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahre zustimmen?

Von Kanada und Schweden lernen

Eine vollständige Sanierung der Altersvorsorge dürfte ohne eine Erhöhung des Rentenalters schwierig werden. Wie die repräsentative Umfrage zeigt, begegnet die Altersgruppe 50-70 einem solchen Vorhaben allerdings mit Skepsis. Gute Chancen an der Urne dürfte derzeit nur die Rentenaltererhöhung von 64 auf 65 für Frauen haben. Für eine langfristige Sanierung dürfte die Anhebung des Frauenrentenalters allerding nicht ausreichen. Auch vermag die vorgeschlagene Reform (AHV 21) des Bundesrates, die neben der Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 noch Zusatzeinnahmen über höhere Lohnbeiträge, MWST-Beiträge und Bundessubventionen vorsieht, die AHV nur bis 2028 zu sanieren. Wie die Berechnungen des Bundesrates zeigen, würde die AHV bereits 2029 wieder in rote Zahlen rutschen.9

Wie die Sanierung der Altersvorsorge langfristig zu sichern wäre, zeigt ein Blick nach Schweden und Kanada. Beide Länder haben die Erhöhung des Rentenalters an eine weitgehende Flexibilisierung gekoppelt. Beide verzichten auf fixe Altersgrenzen für den Renteneintritt. In Schweden kann jeder zwischen 61 und 67 selber entscheiden, wann er in Rente gehen will (ab 2020 wird dieser Alterskorridor auf 62 bis 68 angehoben). Je länger man arbeitet, desto höher die Rente. Diese bemisst sich an der durchschnittlichen Lebenserwartung.

Kanada hat das Rentenalter sogar ganz abgeschafft. Jeder Arbeitnehmer kann selber entscheiden, wann er in Rente gehen möchte. Auch hier gilt: Wer länger arbeitet, erhält mehr Rente. Das Alter 65 gilt nur noch als Orientierungspunkt für die Berechnung der Auszahlungen der Rentenversicherung. Durch die Aufhebung der fixen Altersgrenze lassen sich die Austritte aus dem Erwerbsleben viel individueller und flexibler gestalten.

Statt einseitig auf eine Erhöhung des Renteneintrittsalter zu setzen, könnte die Schweizer Politik eine weitgehende Flexibilisierung ins Auge fassen. Anstelle eines obligatorischen Rentenalters könnte man beispielsweise einen Alterskorridor 60 bis 70 einführen. Dabei könnte die Auszahlung der Renten an die durchschnittliche Lebenserwartung gekoppelt werden. Je früher man in Rente geht, desto tiefer die Rente (und vice versa).

Damit verbunden wären zwei gewichtige Vorteile: Ersten würde die in vielen Köpfen festgesetzte Altersguillotine verschwinden. Heute gilt für die meisten: Bis 64 oder 65 arbeiten, dann ist Schluss. So denken auch viele Unternehmer: Wenn ein Mitarbeiter das obligatorische Pensionsalter erreicht, wird er die Firma verlassen. Ein flexibles Rentenalter würde dies ändern und die Anreize, ältere Personen einzustellen, erhöhen. Gleichzeitig erhielten auch die Mitarbeiter mehr Anreize, länger zu arbeiten.

Zweitens dürfte ein solches System politisch auf mehr Akzeptanz stossen und somit auch bei der Altersgruppe 50-70 mehr Zuspruch finden. Unlängst hat sich mit Angestellte Schweiz auch ein gewichtiger Arbeitnehmerverband für die Abschaffung des fixen Rentenaltes und eine Flexibilisierung mit Koppelung an die Lebenserwartung ausgesprochen.10

Endnoten & Quellenverzeichnis

1 Bundesamt für Sozialversicherungen: AHV-Statistik. Im Artikel ansehen

2 Brunetti, Aymo (2019): Nur eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters kann die Nachhaltigkeit der Schweizer Altersvorsorge sichern. Diskussionspapier Universität Bern. Im Artikel ansehen

3 Bundesamt für Sozialversicherungen (2019) - Im Artikel ansehen

4 Jungfreisinnige Schweiz (2019)Im Artikel ansehen

5 Voto-Studie zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 19. Mai 2019Im Artikel ansehen

6 Es gilt darauf hinzuweisen, dass die Wohnbevölkerung nicht deckungsgleich ist mit der Stimmbevölkerung. In der Altersgruppe 50-70 sind ca. 18% der ständigen Wohnbevölkerung nicht stimmberechtigt. Es gibt allerdings kaum Anhaltspunkte, weshalb sich deren Ansichten signifikant von der Stimmbevölkerung unterscheiden sollten. - Im Artikel ansehen

7 GfS Bern (2018)Im Artikel ansehen

8 NZZ (2016)  oder Avenir Suisse (2012)Im Artikel ansehen

9 Schweizerischer Bundesrat (2019)Im Artikel ansehen

10 NZZ am Sonntag (2019)Im Artikel ansehen

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