Kundenanlage EnWG

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Kundenanlage nach EnWG

Die Gretchenfrage der Energieversorgung

Strom kommt aus der Steckdose. Aber wie gelangt er dort hin? Diese Frage ist enorm wichtig – vor allem für Unternehmen, die eine (vermeintlich) dezentrale Versorgungsinfrastruktur aufgebaut haben, um den eigenen Bedarf oder den von Dritten zu decken. Sie sollten dringend prüfen, ob sie damit nicht unbemerkt zum Netzbetreiber avanciert sind. Denn eine Fehleinschätzung des eigenen Status kann schwerwiegende Folgen haben.

Seit der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) von 2011 gibt es in Deutschland die unterschiedlichsten Stromanbieter. Neben den Energieversorgungsnetzen der allgemeinen Versorgung sind seither auch spezielle Formen betrieblicher Versorgungsnetze anerkannt. Besonders relevant in diesem Zusammenhang: die sogenannten Kundenanlagen. Sie unterliegen, anders als allgemeine Netze, nicht der energiewirtschaftlichen Regulierung. Unternehmen, die ein solches System betreiben, beschert das erhebliche bürokratische und finanzielle Vorteile. In der Praxis ergeben sich allerdings immer wieder Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von allgemeinen Energienetzen und reinen Kundenanlagen. Die Gründe dafür sind vielfältig.

„Zum einen ist das Energiewirtschaftsgesetz so angelegt, dass die Unternehmen selbst beurteilen müssen, ob sie eine Kundenanlage nach EnWG betreiben oder nicht“, analysiert Dr. Florian-Alexander Wesche, Partner bei Deloitte Legal. Eine Genehmigung oder behördliche Bestätigung dafür, dass tatsächlich eine Kundenanlage vorliegt, ist nicht vorgesehen.

Der entscheidende Faktor bei der Abgrenzung ist also zunächst die Eigeneinschätzung der Unternehmen. Sie ist aber alles andere als einfach, denn die gesetzliche Definition der Kundenanlage enthält verschiedene unbestimmte Rechtsbegriffe.

Unternehmen müssen ihren Status neu evaluieren

Zwar haben im vergangenen Jahr 2018 insgesamt drei Oberlandesgerichte den Begriff präzisiert. Doch die Freude darüber ist nicht ungetrübt. Im Gegenteil. Denn die Rechtsprechung stellt Unternehmen vor neue Probleme. „In allen Entscheidungen betonen die Gerichte, dass es sich beim Verhältnis Kundenanlage zu reguliertem Energienetz um ein Regel-Ausnahme-Verhältnis handelt und die Anforderungen an die Kundenanlage grundsätzlich restriktiv auszulegen sind“, fasst Sandra Neuhaus zusammen. Sie ist bei Deloitte zentraler Ansprechpartnerin für alle energierechtlichen Prüfungen im Bereich Audit & Assurance. Wesentliche Aspekte, um eine privilegierte Kundenanlage annehmen zu können, sind nach Aussagen der Gerichte die Unentgeltlichkeit, die Wettbewerbsrelevanz und das Merkmal des räumlich zusammenhängenden Gebietes.

Kundenanlage nach EnWG: Klassifizierung wird zum Risiko

Angesichts dieser sehr restriktiven Rechtsprechung ist es durchaus denkbar, dass eine Versorgungsinfrastruktur, die ein Unternehmen ursprünglich als Kundenanlage EnWG klassifiziert hat, plötzlich nicht mehr dieser Kategorie zuzuordnen ist. Das kann weitreichende Folgen haben. Denn eine veränderte Einstufung führt nicht nur dazu, dass das Netz nun unmittelbar den Vorgaben des EnWG und damit der komplexen energierechtlichen Regulierung unterfällt. „Unternehmen müssen sie auch buchhalterisch entflechten, das heißt, sie müssen getrennte Konten für den Netzbetrieb führen, so als ob es eine eigenständige Netzgesellschaft gäbe“, warnt Experte Wesche. Besonders bitter: Ist ein Abschluss unter der falschen Annahme einer Kundenanlage errichtet worden, fehlen möglicherweise Abschlussbestandteile sowie Angaben in Anhang und Lagebericht. Auch wäre an dieser Stelle eine mögliche Rückwirkung auf schon festgestellte Jahresabschlüsse nicht auszuschließen.

Ist der ursprüngliche Status als Kundenanlage nach EnWG nicht haltbar, liegt nach den Buchstaben des Gesetzes zudem ein reguliertes Netz vor, das ohne Genehmigung betrieben wird. Das ist eine Ordnungswidrigkeit, die die Behörden mit Geldbußen bis 100.000 EUR belegen können.

Wer ist eigentlich Steuerschuldner der Stromsteuer?

Wirtschaftsprüfer und Unternehmen tun aber noch aus einem weiteren Grund gut daran, die oft schon Jahre zurückliegenden Einschätzungen ihres eigenen Status genau zu überprüfen.

„Die Versorgerstellung bzw. die des Vertragspartners entscheidet auch darüber, wer Steuerschuldner der Stromsteuer ist“, sagt Tino Wunderlich, Director am Standort Berlin und bei Deloitte Deutschland verantwortlich für den Bereich Energie- und Stromsteuer. Kommt es hier zu Ungereimtheiten, könne es im schlimmsten Fall passieren, dass eine Stromlieferung zunächst unversteuert bleibt. „In diesem Fall ist der Steuerschuldner schnell mit dem Vorwurf einer Steuerhinterziehung oder zumindest einer leichtfertigen Steuerverkürzung konfrontiert“, warnt der Experte. „Dieses Risiko sollte niemand ohne Not eingehen.“