Herausforderungen einer Insolvenz

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Herausforderungen einer Insolvenz an einem Fallbeispiel

Interview mit Herrn Prof. Dr. Hörmann und Herrn Alexander Reus

Stefan Sanne, Markus Fauser und Alexander Tekath

Forum RSI - Aktuelle Themen aus Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz | Juni 2016

Die Reifen Ihle-Gruppe aus Günzburg verfügte als größter Werksrunderneuerer in Deutschland (2013: Umsatz rd. EUR 32 Mio.; 262 Mitarbeiter) neben einem Produktions- und Vertriebsstandort in Günzburg auch über eine Handelskette mit 12 Filialen zwischen Ulm und Augsburg für Reifen, Räder und Autoservice. Vor dem Hintergrund einer defizitären Ertragslage sowie gescheiterter Finanzierungsverhandlungen stellte die Geschäftsführung der vier operativen Gesellschaften am 25.02.2014 am Amtsgericht in Neu-Ulm Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Für die Produktions-,Vertriebs- und Verwaltungsgesellschaft wurde Herr Professor Dr. Martin Hörmann (anchor Rechtsanwälte) zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Insolvenzverwaltung der Handelskette wurde von Herrn Alexander Reus (ebenfalls anchor Rechtsanwälte) durchgeführt. Im laufenden Verfahren konnte die Handelskette Ende 2014 an einen strategischen Investor und die Produktionsgesellschaft zusammen mit Mitarbeitern der Vertriebs- und Verwaltungsgesellschaft an einen Finanzinvestor verkauft werden. Beide Insolvenzverwalter haben in einem Interview über die besonderen Herausforderungen der beiden - eng verbundenen – Verfahren gesprochen. Deloitte Restructuring Services hat das Insolvenzverfahren in der operativen Fortführung und in dem M&A-Verfahren unterstützt.
 

Herr Professor Dr. Hörmann, Sie haben bereits eine hohe Anzahl auch komplexer Insolvenzfälle als Verwalter und Berater erlebt. Gab es bei der Ihle-Gruppe Besonderheiten, die Ihnen von Beginn an auffielen?

„Mein erster Eindruck war positiv. Mein Team und ich wurden trotz der schwierigen Situation für alle Beteiligten offen von Seiten der Mitarbeiter und Geschäftsführung vor Ort empfangen. Alle wussten, dass eine harte Zeit bevorsteht und wahrscheinlich auch unpopuläre Entscheidungen getroffen werden müssen. Alle Anwesenden wollten aber auch zusammen an einem erfolgreichen Weiterbestehen der Unternehmung mitarbeiten“.

Was waren für Sie die wesentlichen Themen, die von Ihrer Seite nach Antragstellung umgehend in Angriff genommen werden mussten. Welche Schritte waren notwendig, um das Unternehmen „fortführungsreif“ und attraktiv für Investoren zu machen?

„Wir mussten uns sehr schnell um die zentralen Themen Liquidität, Neustrukturierung der Produktion und des Vertriebs sowie den Aufbau einer Insolvenzbuchhaltung kümmern. Unser Ziel war es, die Fortführungschancen durch eine Verbesserung der Ertrags- und Liquiditätslage sowie der Unternehmensorganisation und -prozesse zu steigern. So wurden von Seiten der Gesellschaft in Zusammenarbeit mit Deloitte und in enger Abstimmung mit uns umfassende strategische als auch operative Restrukturierungsmaßnahmen unter Ausnutzung der insolvenzrechtlichen Möglichkeiten eingeleitet und umgesetzt. Nur so war es uns möglich, das operative Geschäft ohne Unterbrechung aufrechtzuerhalten und die notwendige Zeit zur Durchführung des M&A-Prozess zu bekommen“.

Sie sprachen u.a. von der Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Deloitte als operative Unterstützung. So haben Sie sich sowohl zur operativen Begleitung als auch für den M&A-Prozess für das Beratungsunternehmen entschieden, welches das Unternehmen auch im Zeitraum vor der Insolvenz begleitet hat. Welche Vorteile sehen Sie hier?

„Da gibt es eine ganz Menge. Der Berater kennt i.d.R. das Unternehmen bereits sehr gut. So konnten wir u.a. von der bereits vorhandenen umfangreichen Kenntnis über die gesamte Unternehmensgruppe profitieren. Wir waren in der Lage, uns direkt in den ersten Tagen ein umfangreiches und vor allem neutrales Bild von dem Unternehmen und der Branche zu machen, alle wesentlichen Informationen schnell aufzunehmen, Entscheidungen zur Stabilisierung des Geschäftsbetriebs zu treffen sowie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Gläubiger zu informieren und zu leiten. Auf dieser Basis war es auch möglich, sehr schnell potenzielle Investoren mit einem umfangreichen Informationspackage anzusprechen. Zudem bestand bereits ein hohes Vertrauen bei den Mitarbeitern. Man musste sich nicht neu kennenlernen, notwendige strategische und operative Maßnahmen konnten schnell und effektiv umgesetzt werden. Die Gläubigerausschüsse in den Verfahren haben diese Vorgehensweise unterstützt“.

Herr Reus, gab es Situationen, in denen Sie eine Verwertung / Stilllegung wesentlicher Gruppengesellschaften als einzige Alternative gesehen haben?

„Ja, immer wieder, insbesondere für einzelne Unternehmensteile. Vor dem Hintergrund des damaligen Unternehmens- und Marktumfeldes war es nicht immer einfach, das Unternehmen auf Spur zu halten. Es tauchten regelmäßig neue Probleme und Herausforderungen auf, sei es auf Lieferanten- und Kundenseite oder auch intern im Unternehmen. Hierbei war es sehr wichtig, dass sowohl die Liquiditäts- als auch die Ertragssituation der Gruppe permanent analysiert und überwacht wurde. Hierbei erhielten wir maßgebliche Unterstützung durch das Beraterteam. Zudem erfolgte eine regelmäßige und enge Abstimmung zwischen Insolvenzverwaltung und den Gläubigerausschüssen. Als Verwalter ist es uns sehr wichtig, unter den insolvenzrechtlichen Möglichkeiten den Fortbestand der Gesellschaft zu sichern und auch unter Ausnutzung der insolvenzrechtlichen Möglichkeiten dem Unternehmen als auch den Mitarbeitern eine Zukunft zu ermöglichen“.

anchor verfügt über eine tiefe Expertise in komplexen insolvenzrechtlichen Fragen. Sehen Sie hier Vorteile gegenüber „Einzelkämpfern“?

„Ja, auf jeden Fall. Gerade bei größeren und komplizierteren Verfahren ist es von enormem Vorteil. So konnten wir z.B. im Rahmen strategischer, organisatorischer und kapazitativer Veränderungen die erforderlichen Personalmaßnahmen durch die Einbindung von internen Arbeitsrechtspezialisten in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat schnell und effizient umsetzen. Dies ermöglichte uns, die Fortführung zu sichern. Insgesamt ist es von hoher Bedeutung, in einem solchen Verfahren auf hausinterne Spezialisten für einzelne Fachgebiete zugreifen zu können. Hier können wir als Insolvenzverwalter alle relevanten insolvenzrechtlichen Themen abdecken“.

Insgesamt konnten im Rahmen des Insolvenzverfahrens die wesentlichen Teile der Gruppe mit einer Mehrheit der Beschäftigten an zwei neue Investoren verkauft werden. Insofern erscheint das Verfahren ein voller Erfolg gewesen zu sein. Welche wesentlichen Faktoren haben Ihrer Meinung nach zu diesem Erfolg geführt?

„Vor dem Hintergrund, dass eine Eigenverwaltung von Seiten der Gesellschafter sowie der Geschäftsführung nicht gewollt war, blieb als einzige Alternative die Durchführung eines Regelverfahrens in Verbindung mit einem M&A-Prozess. Ein wesentlicher Faktor zur erfolgreichen Fortführung und zum Verkauf der Gruppe war das sehr gute Zusammenspiel zwischen der Insolvenzverwaltung, den Gläubigerausschüssen, dem Restrukturierungs- und dem M&A-Team, dem Insolvenzgericht und natürlich den Mitarbeitern der Gesellschaft. Jeder konnte seine Stärken ausspielen und hat somit zum Erfolg des Verfahrens beigetragen. Insgesamt glaube ich, dass der Ausgang eines solchen Insolvenzverfahrens vor allem von der engen und guten Kommunikation und Zusammenarbeit aller Beteiligten abhängig ist. Hierbei ist neben motivierten Mitarbeitern vor allem die richtige Mischung aus Insolvenzrechtsspezialisten, einem operativen Team vor Ort sowie entsprechenden M&A Experten mit der nötigen Marktkenntnisse unabdingbar“.

Vielen Dank für das angenehme Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

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