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Digitale Wert­papiere als Game Changer für die Mittelstands­finanzierung

Nutzung von Krypto-Token für KMU

Bereits vor dem Aufkommen von COVID-19 vergaben Banken angesichts einer sich abzeichnenden Rezession trotz Niedrigzinsphase immer vorsichtiger Kredite. Diese Situation wird durch die gegenwärtige Krise massiv verschärft. Für Mittelständler kann das in Zeiten eines verschärften globalen Wettbewerbs mit dringend benötigen Investitionen in Digitalisierung und Innovationen existenzbedrohend werden. Ein neuer Rechtsrahmen für den Zugang zu digitalen Wertpapieren kann Abhilfe schaffen.

Stellenwert des Mittelstands und aktuelle Situation

Der Mittelstand wird oft als der Motor der deutschen Wirtschaft bezeichnet. Weit über 90% der deutschen Unternehmen stuft der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) als kleine und mittlere Unternehmen (KMU: Für die Bundesregierung zählen alle Unternehmen mit bis zu 499 Beschäftigen und weniger als 50 Millionen Euro Jahresumsatz zu den KMU) ein, die zusammen den größten Teil der Beschäftigten- und Lehrstellenkapazitäten stellen. Druck von außen wird auf diese Unternehmen sowohl durch einen sich verschärfenden globalen Wettbewerb als auch durch den demographischen Wandel ausgeübt, der sich insbesondere durch den sich ausweitenden Fachkräftemangel bemerkbar macht. Um hier wettbewerbsfähig zu bleiben, sind Investitionen in Digitalisierung und Innovationen auch in KMU dringend erforderlich. Die Innenfinanzierung ist für KMU heute die noch gängigste Form der Mittelstandsfinanzierung für Investitionen. Fremdkapital wird dagegen nach wie vor mittels Kreditgewährung durch die langjährige Hausbank bevorzugt (Quelle: KfW).

Artikel aus dem private banking magazin zum Thema "Digitale Wertpapiere: Ein neues Medium für die Mittelstandsfinanzierung"

Herausforderungen in der Kapitalbeschaffung

Kredite für solche Vorhaben vergeben Banken jedoch zunehmend ungern, nicht zuletzt, weil auch auf sie über die Jahre der Druck aus Regulatorik und Anforderungen an das Risikomanagement gestiegen sind. Innovation erfolgt heute zwar nicht ausschließlich, aber dennoch zunehmend digital. Nicht-tangible Güter wie beispielsweise die Investition in Software zur Steuerung einer geplanten intelligenten Fabrik lassen sich im Gegensatz zur Produktionsmaschine selbst nur schlecht als Sicherheit durch eine Bank verwerten. CFOs und andere Mittelstandsvertreter dürften in diesem Zusammenhang mit ihrem Kreditersuchen in ihrer Hausbank mit Hinweisen auf zu kleine Transaktionsvolumina oder auch unzureichende Sicherheiten auf Ablehnung gestoßen sein.

Für KMU stellt dies ein Risiko in der Kapitalbeschaffung dar, welches sich angesichts einer abzeichnenden Rezession und daraus resultierender strikterer Kreditvergabe durch die Banken noch verschärfen dürfte. Diese und andere Ursachen (Liquiditätsrisiko, verschlechterte Refinanzierungsbedingungen, bankenaufsichtliche Gesetzgebung) führen zu einer Kreditklemme, -knappheit und -krise. Die Epidemie verschärft die Situation noch. Dies sind keine guten Aussichten für betroffene Unternehmen, werden doch ca. 93% von ihnen heute überwiegend nur von einer primären Hausbank finanziert (Quelle: KfW). Dies kann für den deutschen Mittelstand einen weiteren Hebel bedeuten, der den bestehenden Wettbewerbsdruck zusätzlich verstärkt und das Unternehmen im äußersten Fall an den Rand der Insolvenz drängen kann.

Um dieser Herausforderung zu begegnen, empfiehlt sich heute ein neuerlicher Blick auf mögliche Diversifizierungsstrategien in der Kapitalbeschaffung. Von der Hausbank empfohlene klassische Aktien- und Anleiheemissionen kommen für Mittelständler oft nicht in Frage, da sie schlicht zu teuer und zu aufwändig sind. Welche Möglichkeiten bleiben?

Vorteile Blockchain-basierte Mezzanine-Finanzierung und Nachteile der bisherigen bankgetriebenen Mezzanine-Finanzierung

Abhilfe kann die Ausgabe von Blockchain-basierten digitalen Wertpapieren oder Kryptowerten schaffen. Unternehmen, die Dienstleistungen in Zusammenhang mit der Verwahrung, der Vermittlung oder dem Handel von solchen digitalen Wertpapieren oder Kryptowerten anbieten, sind seit dem 01. Januar 2020 reguliert. Dies kann als wichtiges Signal an den Markt gewertet werden, das Sicherheit für diese Finanzinnovationen schafft und fortan auch Mittelständlern eine neue Form des Zugangs zu internationalen Kapitalmärkten ermöglicht. Auch die Bundesregierung möchte Deutschland hier zur Vorreiternation machen und hat in diesem Zusammenhang im Herbst 2019 etwa eine „Blockchain-Strategie“ veröffentlicht (Quelle: bmwi). Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) steht digitalen Wertpapieren und Kryptowerten ebenfalls grundsätzlich (technologie-)neutral gegenüber, nicht zuletzt, weil die Rechtsunsicherheit in Bezug auf die regulatorische Behandlung von Kryptowerten durch die Novellierung des Kreditwesengesetzes nun weitgehend behoben werden konnte.

Einführung Kryptowerte und damit einhergehende neue Möglichkeiten zur Eigenemission

Technologie mit der Funktionalität eines voll regulierten Finanzinstruments. Mittelständlern könnten beispielsweise in Ergänzung zu ihren Kreditlinien bei der Hausbank sogenannte Genuss- oder Schuldscheine emittieren. Dieses Finanzierungsmittel war bisher von Banken, Versicherungen und großen Industrieunternehmen dominiert und traditionell für Mittelständler weniger attraktiv. Ein Zustand, der sich durch Kosten- und Effizienzvorteile der der Emission zugrundeliegenden Blockchain-Technologie ändern wird.

Als Mischform aus Eigen- und Fremdkapital (Mezzanine-Kapital; ital. Mezzo = halb) bieten diese Mittelständlern u.a. folgende substanzielle Vorteile:

  • Keine Verwässerung der Eigentümerstruktur. Investoren haben somit keine oder nur eingeschränkte Mitspracherechte bei wichtigen Unternehmensentscheidungen
  • Abhängigkeit des an die Investoren zu zahlenden Kupons vom Unternehmensgewinn
  • Steuerliche Abzugsfähigkeit des an die Investoren zu zahlenden Kupons

Außerdem werden emittierte Genussscheine dem wirtschaftlichen Eigenkapital zugerechnet. Dies hat für Emittenten zwei entscheidende Vorteile: Zum einen können mit dem „frischen“ Eigenkapital zusätzliche Kredite aufgenommen werden. Zum anderen müssen für Genussscheine keine Sicherheiten (Grundschulden, Vorausabtretungen) bestellt werden, womit diese anderweitig in der Unternehmensplanung verwendet werden können. Eine Diversifizierung der Kapitalbeschaffung hat somit nicht nur das Potenzial, Risiken zu reduzieren, sie optimiert sogar die bestehende Mittelherkunft und hebt Synergien.

Die angesprochenen Vorteile von Mezzanine-Kapital waren Mittelständlern, wie erwähnt, durchaus bekannt. Dennoch haben diese den Kapitalmarkt bislang etwa aufgrund der hohen Gebühren für Investmentbanken und Rechtsberater gemieden, da diese gerne einen hohen einstelligen Prozentsatz des Emissionsvolumens als Provision berechneten. Die bei digitalen Wertpapieren zugrundeliegende Blockchain-Technologie macht viele kostspielige Intermediäre hingegen obsolet oder reduziert ihre prozentuale finanzielle Beteiligung am Emissionsvolumen. So lagen die Kosten der ersten emittierten digitalen Anleihe (Bitbond) bedeutend unter den Kosten einer klassischen Anleiheemission und verdeutlichen die Vorteile des technologischen Fortschritts. Ferner muss für Anleiheemissionen bis zu 8 Mio. € lediglich ein Wertpapier-Informationsblatt veröffentlicht werden und kein teurer klassischer Wertpapierprospekt, was ebenfalls massiv zur Kostensenkung beiträgt. Eine neue Ausgangslage, die die Finanzierung über Mezzanine-Kapital für KMU nun deutlich attraktiver macht.

Für Emittenten ergeben sich ferner Vorteile in der Governance. Smart Contracts (Blockchain-basierte, selbstausführende Verträge) ermöglichen ein digitales Investorenregister, automatisierte Reportings und Corporate Actions (etwa die Kuponzahlung an die Investoren).

Letztlich ist für den Erfolg von digitalen Wertpapieren aber ebenso ausschlaggebend, inwieweit Investoren diese annehmen. Hierfür spricht einerseits die potenziell hohe Liquidität von digitalen Wertpapieren, da diese rund um die Uhr gehandelt werden können und nicht an klassische Börsenzeiten gebunden sind. Sollten sich liquide Sekundärmärkte herausbilden, würde dies insbesondere den Zugang zu ausländischem Kapital erleichtern.

Diese Rolle möchte etwa die Börse Stuttgart einnehmen, die eigens dafür einen Marktplatz für digitale Assets, die Börse Stuttgart Digital Exchanges (BSDEX), eröffnet hat. Zusätzlich können sich für Investoren aufgrund des Handels auf Blockchain-Basis in einigen Fällen Kostenvorteile ergeben. So entfallen etwa Depotkosten oder Orderentgelte (auf der anderen Seite entstehen aber Wallet-Kosten und, abhängig vom verwendeten DLT-Protokoll, Transaktionsgebühren). Jedenfalls bieten digitale Wertpapiere Investoren im Mittelstand den Vorteil, sich durch kleinere Investitionsbeträge stärker zu diversifizieren.

Digitale Wertpapiere: Chance für den Mittelstand

Digitale Wertpapiere und Kryptowerte haben das Potenzial, den Kapitalmarkt grundlegend zu revolutionieren.  Dafür spricht die Unterstützung durch die Bundesregierung und die BaFin. Auch Banken dürften dieser neuen Finanzierungsart grundsätzlich positiv gegenüberstehen, hat sie doch das Potenzial, durch COVID-19-Krise hervorgerufene Kreditrisiken entscheidend zu reduzieren. Bei einer in Anspruch genommenen Finanzierung der Geschäfte, die sich zum einen aus der klassischen Kreditlinie und zum anderen aus den eingesammelten Fremdmitteln einer digitalen Emission zusammensetzt, dürfte die Kreditlinie weniger beansprucht werden, was eben diese Reduktion der Kreditrisiken für die Institute bewirkt. Des Weiteren wird Eigenkapital befreit, da die Risk Weighted Assets sinken. Außerdem eröffnen sich hier neue Vertriebsmodelle (Distribute to Sale), in dem die Bank selber als Mittler für die Investoren auftritt. Somit muss eine Blockchain-Technologie nicht zwingend zum vielbeschworenen Wegfall des Intermediärs führen. In gewissen Situationen ist die Expertise der Banken gerade gefragt. Somit kann die hier besprochene Form gerade zur Festigung der Banken im Kreditgeschäft führen. Zudem sind Mittelständler angesichts hoher benötigter Investitionen in Digitalisierung und Innovation in Zeiten der Rezession dazu gezwungen, ihre Kapitalbeschaffung zu überdenken. Die Vorzüge hinsichtlich Kosten und Effizienz für Investoren als auch für Emittenten von digitalen Wertpapieren vereinfachen nun diese Entscheidung.

Erste große Emissionen sind am Markt bereits zu beobachten (beispielsweise eine Franchisekette für Pizza und Pasta und ein deutscher Fußball-Zweitligist). Weitere dürften folgen.

Autoren:
Benjamin Schulz, Director, Financial Services Solutions  
Sven Buschke, Senior Manager, Financial Services Solutions  
Amadeus Maximilian Gryger, Consultant, Financial Services Solutions 

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