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Die Arbeitswelt im digitalen Wandel

    

Schneller denn je ändern sich heute Rahmenbedingungen und Wesen der Arbeit – sei es bei den individuellen Arbeitszeiten oder hinsichtlich dessen, wie ganze Industrien funktionieren. Der Wandel kann massive gesellschaftliche und wirtschaftliche Brüche erzeugen, wenn wir nicht ernsthaft versuchen, die Zukunft der Arbeit produktiver und lohnender für jedermann zu gestalten.

Von John Hagel, Jeff Schwartz und Josh Bersin – eine Zusammenfassung

In seinem 1930 erschienenen Essay Economic possibilities for our grandchildren sagt der britische Wissenschaftler John Maynard eine Zukunft der technologischen Arbeitslosigkeit und der 15-Stunden-Wochen voraus. Die utopische Vision einer Freizeit-Gesellschaft, in der Maschinen jedwede Tätigkeit übernehmen, ist zwar schon lange passé – dennoch gilt: Unser Handeln unterliegt einem stetigen Wandel – heute und auch in Zukunft.

Woran denken Sie bei der Zukunft der Arbeit? An eine Fabrik voller Roboter, in der Maschinen Tätigkeiten automatisch ausführen, während Menschen richtungsweisende Aufgaben orchestrieren? An eine sich verändernde Demografie und Industriestaaten mit alternder Gesellschaft, und an Entwicklungsländer, die eine Vielzahl an jungen Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt integrieren müssen? Oder erwarten Sie eine Gig-Economy, in der Freelancer kurzfristig Aufträge übernehmen?

Die Zukunft der Arbeit könnte all dies beinhalten – und noch mehr. Wir können jedoch nur erkennen, wohin die Reise geht, wenn wir das gesamte Bild dieser Transformation betrachten, die sich auf unser Leben, unsere Arbeitswelt und unsere Gesellschaft auswirkt.

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Kräfte des Wandels

Technologischer Fortschritt

Vergangene technische Revolutionen haben Arbeit, Jobs, Unternehmens- und Gesellschaftsstrukturen radikal verändert – was ist diesmal anders? Digitale Technologien beeinflussen nicht nur Produktion und manuelle Fertigung, sie durchdringen alle Branchen und die gesamte Gesellschaft. So reduziert die Automatisierung die Kosten für Routineaufgaben signifikant, und die Unternehmen können den Wert anderer Tätigkeiten deutlich erhöhen, indem sie technologische Ressourcen wirksam einsetzen und auf spezialisiertes, ortsunabhängiges Know-how zugreifen.

Digitale Technologien erweitern bereits heute menschliche Arbeit. Beispielsweise hilft uns Virtual Reality dabei, unerwartete Entwicklungen und ihre Auswirkungen abzuschätzen. Gleichzeitig führen die technologische Evolution und das exponentielle Datenwachstum dazu, dass immer mehr Wissen entsteht, während vorhandenes Know-how schnell obsolet wird. Fähigkeiten und Arbeitsfelder müssen daher stets angepasst werden.

Demografische Entwicklung

Das Angebot an Arbeitskräften verändert sich – in den Industrieländern getrieben durch alternde Bevölkerung, niedrige Geburtenraten, höhere Lebenserwartungen und längere Berufstätigkeit. Gleichzeitig strömen aus den Entwicklungsländern junge Arbeitskräfte auf den globalen Arbeitsmarkt. Mit Hilfe digitaler Technologien können Unternehmen global Talente mit geeigneten Skills rekrutieren. Studien weisen darauf hin, dass heterogene Teams kreativere und hochwertigere Ergebnisse liefern. Das geht mit einem Wandel der Unternehmenskulturen einher.

Stärkung der Verbraucher und die Bedeutung eines globalen Arbeitsmarktes

Marktentwicklungen werden bei der Gestaltung der Arbeitswelt von morgen eine tragende Rolle spielen. Unternehmen müssen flexibler auf die sich verändernden Ansprüche und Wünsche der Kunden reagieren. Statt standardisierter Produkte und Dienstleistungen werden vermehrt kreative, individualisierte Angebote nachgefragt. Das gilt für digitale wie auch für traditionelle Geschäftsmodelle. Gleichzeitig macht es die digitale Infrastruktur möglich, mit Talenten schnell und einfach in Verbindung zu treten, sie untereinander zu vernetzen und ihr Potenzial zielgerichtet einzusetzen.

Arbeit neu definiert

Diese Entwicklungen führen zu einem tiefgreifenden Wandel. Routineaufgaben werden weiter automatisiert, während der Anteil technologiegestützter kreativer Arbeit wächst. Jedoch wird der technologische Fortschritt den Menschen nicht verdrängen.

Die Arbeitswelt von morgen wird vielfältig sein: Die Neugestaltung von Arbeit rund um Problemlösungsansätze, die Bereitstellung neuer Services und die höhere Mitarbeiterzufriedenheit steigern künftig die Produktivität. Unternehmen sollten sich stärker darauf konzentrieren, Arbeitsplätze zu schaffen, die auf einzigartig menschlichen Fähigkeiten wie Neugierde, Kreativität, sozialer und emotionaler Intelligenz aufbauen. Wir werden das Entstehen von Berufsfeldern erleben, die zunehmend technische, gestalterische und organisatorische Tätigkeiten vereinen. Und da sich die notwendigen Fertigkeiten schnell weiterentwickeln, wird Weiterbildung noch mehr gefragt sein.

Die neuen Technologien verändern nicht nur die Art und Weise, wie manche Jobs erledigt werden – sie werden auch die Art und Weise umkrempeln, wie Firmen ihre Arbeitskräfte rekrutieren. Viele weltweit agierende Unternehmen nutzen bereits Crowdsourcing-Lösungen, um neue Ideen zu entwickeln, Probleme zu lösen und komplexe Systeme zu gestalten. In den nächsten Jahren könnten drei Faktoren das Wachstum der Gig-Economy antreiben: Steigender Leistungsdruck und wachsende Nachfrage nach Jobs, die es ermöglichen, an verschiedenen Projekten zu arbeiten und sich weiterzubilden. Hinzu kommt der Wunsch, jenseits einer Vollzeitbeschäftigung produktive Arbeit zu finden. Das Ergebnis dieser Entwicklung könnten kleine Teams sein, die über längere Zeiträume gemeinsam an diversen Projekten arbeiten.

Implikationen für Arbeitnehmer, Unternehmen und Politik

Auswirkungen für Arbeitnehmer

Da schnelle technologische und wirtschaftliche Veränderungen den Lebenszyklus jeder Fähigkeit drastisch verkürzen, wird das lebenslange Lernen unverzichtbar. Arbeitnehmer müssen sich vernetzen, um schneller erfolgreich zu werden. Dies kann in kleinen Arbeitsgruppen, Organisationen und sozialen Netzwerken geschehen. Wahrscheinlich werden wir künftig viel stärkere und unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit sehen.

In der Vergangenheit wurde eine Karriere als eine relativ stabile, voraussagbare Kombination aus Fähigkeiten definiert, die mit den Bedürfnissen einer Organisation und einer Branche zusammenpasst. Da sich die gefragten Fähigkeiten ständig verändern, können Arbeitgeber immer weniger jene klar definierten Karrierewege anbieten, die sich über Jahre oder Jahrzehnte erstrecken.

Auswirkungen für Unternehmen

Um neue Technologien effektiv zu nutzen, werden Unternehmen nicht nur die Arbeit konzeptionell neu definieren müssen, sondern auch die Strukturen, in denen sie ausgeführt wird. Unternehmen sollten sich hier nicht nur auf die Automatisierung konzentrieren, sondern die vielversprechenden Bereiche identifizieren, in denen digitale Technologien die Arbeit von Menschen komplettieren können. Gleichzeitig können sich die Mitarbeiter dann mehr auf Aufgaben konzentrieren, die menschliche Eigenschaften voraussetzen, wie sie z.B. im kreativen Bereich unerlässlich sind.

Die möglicherweise größte Herausforderung für Unternehmen im nächsten Jahrzehnt ist folgende: Wie kann die Neuerfindung der Arbeit gelingen, sodass die Eigenschaften von Menschen und Maschinen kombiniert werden können, sinnvolle Berufe und Karrierewege entstehen, und Arbeitnehmer so unterstützt werden, dass sie sich an diese Veränderungen optimal anpassen können?

Organisationen werden Netzwerke aufbauen und entwickeln müssen, um passende Talente – unabhängig von deren Standort – mit den richtigen Aufgaben zu verbinden. Da die Talente der Zukunft schnell vorankommen werden, sollten diese Netzwerke flexibel sein.

Auch werden sich Organisationsstrukturen von traditionellen Hierarchien hin zu Team-Netzwerken wandeln, die sich weit über die Grenzen einzelner Unternehmen erstrecken. Hierarchische Strukturen sind gut für die Ausführung von Routinetätigkeiten. Wenn aber die Aufgaben kreativer und zumeist von verschiedenen kleinen Teams ausgeführt werden, wächst auch die Bedeutung von flexiblen Netzwerkstrukturen. Unternehmen sollten daher umfangreichere Beziehungen in Ökosystemen entwickeln.

In diesem Zusammenhang wird sich eine neue Führungskultur entwickeln, die auf Zusammenarbeit setzt: Künftig werden die stärksten Führungskräfte diejenigen sein, die den inspirierenden Fragen einen Rahmen geben und zugleich Teams managen als auch motivieren können.

Um neue Arten der kreativen Arbeit zu entwickeln, müssen Organisationen ihre Vergütungsmodelle überdenken. Intrinsische Belohnungen, wie z.B. der Sinn und Effekt ihrer Arbeit sowie die Möglichkeit, durch sie zu wachsen und sich weiterzuentwickeln, werden für Mitarbeiter in den Vordergrund rücken. Zugleich wird es für Unternehmen schwerer werden, Mitarbeiter ausschließlich über die monetäre Entlohnung bei sich zu halten.

Auswirkungen für die Politik

Politische Entscheider stehen vor der großen Herausforderung, Bildungssysteme weiterzuentwickeln: Schul- und Hochschulbildung sollen kreative Fähigkeiten stärker fördern. Angesichts der kurzen Halbwertszeit erlernter Fähigkeiten müssen auch die Bedingungen zur stetigen Weiterentwicklung geschaffen werden: Wie kann die Politik die Arbeitnehmer unterstützen, wenn sie ihre Karriere selber formen, sich neue Kompetenzen aneignen und an globalen Talentnetzwerken teilnehmen? Wie lässt sich die Zeit in der Arbeitslosigkeit verkürzen und das Weiterbildungsangebot ausbauen?

Digitale Technologien und immer mehr Daten machen es möglich, Förderprogramme zu entwickeln, die sich an den individuellen Bedürfnissen ausrichten. Um ihre Finanzierung sicherzustellen, setzen sich Regierungen bereits mit verschiedenen Möglichkeiten auseinander. So wird z.B. über die Besteuerung automatisierter Arbeit diskutiert.

Regierungen sollten überlegen, wie sie die Definition der Anstellung auch auf freie Mitarbeiter und die Gig Economy ausweiten. Ziel muss es sein, Arbeitnehmern auch in diesen Anstellungsformen Zugang zu Sozialleistungen zu ermöglichen. Die Arbeitswelt der Zukunft wird von einem höheren Anteil von Kleinunternehmen und Start-ups geprägt sein. Dies sollten politische Entscheider berücksichtigen und beispielsweise Unternehmensgründungs- und Insolvenzregeln anpassen, um sowohl Firmengründungen als auch deren Abwicklung zu vereinfachen.