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Automotive 4.0 – eine Branche im Umbruch

Digitalisierung, Elektromobilität und autonomes Fahren zwingen die Automobilindustrie zu strategischen Weichenstellungen

Die Automobilindustrie befindet sich in einer historisch einzigartigen Umbruchssituation. Die Geschäfte der deutschen Vorzeigebranche laufen derzeit zwar gut. Zugleich stehen aber mit der Digitalisierung, dem autonomen Fahren und der Elektromobilität Veränderungen an, die den Markt radikal umwälzen. Wie stellen sich Autohersteller und Zulieferer in Deutschland dafür jetzt neu auf? Liegt die Zukunft in der Schaffung einer dominanten digitalen Plattform, vergleichbar mit Apple im Bereich Smartphones? Oder doch eher in der Rolle eines Hardware-Providers à la Foxconn? Die Fragen sind umso spannender, als über viele Faktoren derzeit noch große Unsicherheit herrscht. Die Antwort der Experten von Deloitte: Szenario-basierte Strategiebildung hilft der Industrie bei der Positionierung. Deloitte hat hierfür ein Modell entwickelt, das unterschiedliche Handlungsoptionen darstellbar macht. Ein Einblick in die dramatischen Herausforderungen für die Branche – und in konkrete Lösungswege.

Der Autobranche in Deutschland geht es ausgezeichnet – noch. Denn disruptive Technologien, regulatorische Änderungen und neue branchenfremde Wettbewerber, etwa aus dem IT-Bereich, schaffen immer mehr Druck. Deshalb gilt es, die Gunst der Stunde jetzt klug zu nutzen. Die Smartphone-Analogie liefert mit dem Schicksal des einstigen Marktführers Nokia ein bekanntes, abschreckendes Beispiel für versäumte Transformation. Doch lukrative Margen und Chancen in Wachstumsmärkten bieten der Automobilindustrie heute beste Voraussetzungen, die Zukunftsaufgaben aus einer Position der Stärke heraus proaktiv anzugehen. So sichern sie nicht nur ihr Überleben, sondern auch ein nachhaltig attraktives Wachstum. Gewinne aus dem etablierten Geschäft können die Transformation zu Automotive 4.0 finanzieren. Dabei geht es um Innovationen vor allem in den Bereichen Antriebstechnik und Digitalisierung. Jedes dieser Themen wäre schon für sich allein Herausforderung genug. Zusammengenommen werden sie den Automarkt komplett umkrempeln.

Die Herausforderungen: Antriebstechnologie und Digitalisierung

Alternativen werden zum Standard: Antriebe jenseits des Verbrenners

Seit langem gründet sich der Erfolg der Automobilindustrie in Deutschland auf die Kompetenz in Sachen Verbrennungsmotor. Deutsches Engineering wird weltweit bewundert und geschätzt. Diese Technologieführerschaft könnte aber in Zukunft obsolet werden. Denn die Elektromobilität kommt – und sie verändert die Spielregeln der Branche von Grund auf. Regulatorische Vorgaben aus der Politik und ökologische Gründe haben den Verbrenner in die Kritik gebracht. Auch wenn Elektromobilität heute noch nicht profitabel ist – die Batterietechnologie wird immer besser und billiger, der Marktanteil größer. Forschung und Investitionen im Bereich Elektroantriebe – und in weitere Alternativen wie die Brennstoffzelle – sind daher für OEMs unumgänglich. Die Batterietechnologie etwa erfordert von ihnen strategische Entscheidungen über eigene Entwicklung oder Zukauf.

Für Zulieferer stellt sich die Lage fast noch zugespitzter dar. Da E-Antriebe mechanisch anders und vor allem einfacher aufgebaut sind, werden etablierte Komponenten des Verbrennungsmotors wie beispielsweise Getriebe weitgehend überflüssig. Die Aufgabe für Hersteller und Zulieferer ist es nun, die Transformation zu neuen Produkten und Geschäftsfeldern geschickt zu gestalten. Es kann nämlich für die Unternehmen und Shareholder durchaus noch eine längere Durststrecke kommen, bis elektrisch angetriebene Fahrzeuge circa 2020/21 wirklich ein lohnendes Geschäft werden.

Digitalisierung und autonomes Fahren ermöglichen neue Geschäftsmodelle

Umso wichtiger ist es, neue Business Modelle durch Digitalisierung, intelligente Assistenzsysteme und ein datenbasiertes „Ökosystem“ für Dienstleistungen zu etablieren. Auch wenn es heute noch nicht marktreif ist, steht hier das autonome Fahren ganz vorn. Kaum eine andere Technologie wird Mobilität derart revolutionieren. Und die Forschung schreitet trotz vereinzelter Rückschläge in großem Tempo voran.  Zusammen mit Sharing Economy und Trends wie Urbanisierung und Konsumwandel verändert diese „future technology“ damit aber auch das Verhältnis des Verbrauchers zum Autobesitz.

Das eigene Auto wird tendenziell weniger wichtig. In der Elektromobilität gleichen sich zudem Leistungsdaten, Fahrdynamik und -komfort der Automobile zunehmend an. Das verringert die Möglichkeiten der Hersteller zur Differenzierung des eigenen Fahrzeugs auf dem Markt. Die Kunden von Morgen orientieren sich vielleicht bei Kauf oder Buchung gar nicht mehr vorrangig an Leistungsmerkmalen oder dem Image des Engineerings, sondern stärker an der Attraktivität der Mobilitätsplattform einer Marke. In deren Entwicklung und entsprechende Forschung sollten Hersteller also heute schon investieren. Flottenmanagement und Car Sharing werden dabei immer bedeutender. Das zeigt derzeit schon weltweit die Verbreitung von Diensten wie car2go (Daimler) und DriveNow (BMW), die derzeit ihre Fusion planen, oder auch Uber. In Verbindung mit dem autonomen Fahren wird dieses Feld erst sein wahres disruptives Potenzial zeigen.

Das selbstfahrende Connected Car bietet darüber hinaus Schnittstellen für die Kommunikation mit dem Kunden, für After Sales und innovative Geschäftsfelder wie Embedded Software, Infotainment, In-car-payment, auf Daten basierende Dienstleistungen und Datenverwertung.

Das Kfz muss neu gedacht werden – es wird zum „device on wheels“, analog zu anderen technischen Geräten wie etwa Smartphones. Strategisch erfolgreiche Unternehmen machen dabei vor, wie eine etablierte Technologie – hier das Mobiltelefon – dank Digitalisierung als Sprungbrett für ein ganzes Spektrum „neuer“ digitaler Dienste fungieren kann, von Musikstreaming bis zu Payment Services. Die Frage für die Automobil-OEMs in Deutschland ist nur, ob sie hier wirklich in allen Feldern den Konzepten der großen Digitalkonzernen Paroli bieten wollen und können. Solche wesentlichen Strategieaspekte lassen sich anhand des Deloitte Automotive Value Chain Modells klären.

Ein Lösungsansatz: Strategiebildung mit dem Deloitte Automotive Value Chain 2025 Modell

Wie sieht die Welt für den Autobauer der Zukunft aus? Welche Strategien setzen sich am Markt durch? Stellen Premiumanbieter eigene Plattformen auf die Beine und dominieren mit ihrer Markenmacht wie etwa Apple und Google in der Welt der Smartphone? Oder verbünden sich Zulieferer mit Digitalriesen als Partner und bestücken automobile „Betriebssysteme“ mit ihren Komponenten? OEMs würden sich dann zu „Foxconns der Automobilindustrie“ entwickeln, also reinen Hardware-Lieferanten mit dem Fokus auf Volumen.

Neben den etablierten Ertragsbringern Produktion/ Fahrzeugverkauf und Finanzdienstleistungen sind Digitaldienste ein wichtiger Geschäftsbereich der Zukunft – aber eben potenziell auch die White-Label-Auftragsproduktion, wie sie aktuell in der IT-Branche verbreitet ist. Wichtig ist, dass Hersteller und Zulieferer hier auf den richtigen strategischen Pfad setzen und nicht etwa Millionen in die Entwicklung von Lösungen stecken, die nicht zielführend sind. Der Unsicherheit bei der Einschätzung solcher Themen können die Unternehmen durch ein Denken in Szenarien begegnen. Das ist der Ansatz des Deloitte-Modells Automotive Value Chain 2025.

Im Dialog mit Vertretern aus der Industrie und Experten aus der Forschung hat Deloitte mehr als 60 unterschiedliche Faktoren ausgemacht, die den Umbruch zu Automotive 4.0 beeinflussen: von Regulation und autonomem Fahren über Ölpreis, Freihandel und Kapitalkosten bis zu 3D-Druck. Für das Modell sind jene Punkte besonders relevant, die eine hohe Unsicherheit und/ oder einen hohen Impact auf die Wertschöpfungskette aufweisen (z.B. alternative Antriebe). Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass das Modell die plastische Darstellung von Szenarien ermöglicht, sie aber zugleich mit handfesten Zahlenprojektionen unterfüttert. So ergeben sich konkrete Aussagen über Umsatz- und Ertrags-Prognosen spezifischer Szenarios – aber eben auch strategische Implikationen, die Unternehmen bei der Verfolgung eines bestimmten Szenarios beachten sollten.

Wege zum Wachstum: beispielhafte Szenarien für Autobauer und Zulieferer

Das Deloitte-Modell für die Automotive Value Chain 2025 kann verschiedenste Szenarien für den OEM der Zukunft darstellen, die für Hersteller und Zulieferer gleichermaßen relevant sind. Vier davon wurden in der Studie exemplarisch durchgespielt. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass es nicht etwa nur einen einzigen Weg in Richtung Wachstum gibt. Denn der projizierte EBITDA-Impact der jeweiligen strategischen Aufstellung für einen europäischen Beispiel-OEM mittlerer Größe ist in drei der vier projizierten Fälle deutlich positiv. Als Eckdaten wurde dabei ein Umsatz von 60 Milliarden Euro im Jahr und eine EBDITA-Marge von 25% angenommen.

Das Szenario 1 (Data und Mobility Manager) ist für OEMs das lukrativste. Hier hat sich Automotive 4.0 durchgesetzt, die OEMs dominieren mit ihren Premium-Produkten den Markt – entsprechend dem Vorbild von Apple im Bereich der Smartphones samt der „Ökosysteme“ für digitale Dienste. In diesem Szenario erzielt der OEM bis 2025 eine erhebliche Steigerung des EBITDA von +91% gegenüber 2015.

Auch im Szenario 2 (Stagnation) fährt der OEM alles andere als schlecht (EBITDA +62%): Autonomes Fahren und E-Mobilität verzögern sich, etwa durch Lobbyismus und/ oder Image-schädliche Unfälle oder andere Vorfälle, welche die Akzeptanz der Technologie in der Öffentlichkeit behindern. Alles bleibt also für die Industrie vorläufig beim Alten, inklusive der attraktiven Wachstumschancen z.B. in asiatischen Märkten.

Und selbst im Szenario 3 (Platform Provider), dem „Foxconn“-Modell, erreicht der OEM noch ein Plus (EBITDA +33%). Die Technology Giganten haben sich in diesem Szenario durchgesetzt. OEMs liefern lediglich den fahrbaren Untersatz – die Hardware – für Dienste und Systeme externer Player.

Nur im Szenario 4 (Niedergang) sieht es richtig schlecht aus für den OEM: Er gerät in Existenznot (EBITDA -56%). Mobilität ist zur austauschbaren Commodity geworden, die Macht der alten Marken schwindet. Die Umsätze der OEMs werden hier von IT-Playern und Zulieferern als deren Partner stark dezimiert.

Dieses Szenario zeigt zugleich auch: Die Handlungsmöglichkeiten und Sachzwänge der Zulieferer unterscheiden sich natürlich von denen der OEMs. Gerade durch Kooperationen können Zulieferer an Marktmacht gewinnen. Als Partner sind dabei die großen IT-Firmen besonders interessant. Ebenso bieten sich Kooperationen mit einem Partner aus der eigenen Branche an. Besonders wichtig ist aber auch für Zulieferer eine Umstellung des Produktportfolios. Die Frage ist nur, wie sie finanziert wird. In der neuen Deloitte-Studie zum Supplier Industry Outlook 2025 wird das Beispiel eines fiktiven Getriebeherstellers durchgespielt, der künftig Elektroantriebe bauen möchte. Kosteneinsparung im konventionellen Geschäft durch geringere Entwicklungskosten, Industrie-4.0-Lösungen und proaktive Konsolidierung sind nötig, um den auf Jahre negativen Return der neuen Produkte zumindest im Ansatz auszugleichen. Das kann sogar Übernahmen in solchen schrumpfenden Segmenten beinhalten.

Eine Modellrechnung in der Studie zeigt, dass beispielsweise eine geschickt umgesetzte Übernahme eines gestrauchelten Konkurrenten das temporäre Abrutschen in die Verlustzone verhindern kann. Zu den positiven Kosteneffekten dank Spar- und Optimierungspotenzialen kommt hier noch die zu erwartende Marktkonsolidierung gerade im Bereich von allmählich obsolet werdenden Technologien. Weitere, zukunftsstarke Optionen sind auch für Zulieferer datenbasierte Geschäftsmodelle, inklusive neuer Beauftragungsformen und Payment Ansätze wie Pay-per-Use. Eine Veränderung bestimmter Standorte (z.B. näher an die Wachstumsmärkte heran) kann ebenfalls neue Perspektiven bieten, was Kosten- und Vermarktungsaspekte angeht.

Orientierung für den Umbruch: Deloitte hilft bei der Strategiebildung

Deloittes Szenario-Ansatz schlägt einen Pfad durchs Dickicht der aktuellen Unsicherheit und hilft Unternehmen bei der strategischen Orientierung. Die Auswahl des richtigen Szenarios ist entscheidend, muss sich aber natürlich an den individuellen Umständen des Autobauers oder Zulieferers ausrichten. Je nach gewähltem Szenario ergeben sich dann unterschiedliche Prioritäten. So lassen sich initiale „No-regret-moves“ identifizieren, wie etwa Investitionen in Industry 4.0, Elektromobilität und autonomes Fahren, die zur Zukunftssicherung in jedem Fall nötig sind.

Aber auch der Wandel in der Belegschaft muss gestaltet werden: Während die meisten Szenarien einen Rückgang an Stellen in der Produktion voraussehen, sollte für die anspruchsvolle Arbeit an der Transformation zugleich eine digitale Workforce aufgebaut werden. Zudem müssen Anzeichen für die Tendenz der weiteren Entwicklung in Politik und Gesellschaft fortlaufend beobachtet werden, etwa im Bereich Regulierung, um die Strategie eventuell agil anzupassen.

Zentral ist aber in jedem Fall die Entwicklung und konsequente Umsetzung einer klaren strategischen Vision – je schneller, desto besser. So vermeiden Hersteller und Zulieferer das Schicksal von „gestürzten Riesen“ wie Nokia im Smartphone-Bereich und gestalten ihre Zukunft proaktiv. Mit dem detaillierten Modell der Automotive Value Chain und seiner umfassenden Expertise unterstützt Deloitte Unternehmen bei der optimalen strategischen Aufstellung für Automotive 4.0.

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