Im Urteil Porr Építési Kft (EuGH 11.4.2019, C-691/17, nachfolgend Porr) beschäftigt sich der EuGH mit der Frage, ob ein Vorsteuerabzug versagt werden darf, wenn einem Dienstleistungsempfänger irrtümlich Umsatzsteuer in Rechnung gestellt worden ist, die der Dienstleistungsempfänger an seinen Vertragspartner gezahlt hat und ob die Steuerbehörde vor der Versagung des Vorsteuerabzugs prüfen muss, ob eine Berichtigung der Rechnung möglich ist. Weiters beschäftigt sich der EuGH mit der Frage, wann ein direkter Rückerstattungsanspruch des Leistungsempfängers gegenüber der Steuerbehörde gerechtfertigt ist.
Porr hat im Zusammenhang mit dem Bau einer Autobahn von mindestens drei Dienstleistungserbringern Rechnungen, auf welchen Umsatzsteuer ausgewiesen war, angenommen und bezahlt. Betreffend die in der Rechnung ausgewiesenen Vorsteuern hat Porr den Vorsteuerabzug geltend gemacht und eine Erstattung des Guthabens beantragt. Die Steuerverwaltung war jedoch der Ansicht, dass die den Rechnungen zugrundeliegende Haupttätigkeit der Rechnungen Bautätigkeiten waren, bei welchen die Steuerschuld entsprechend den nationalen Vorschriften auf den Empfänger der Leistung übergeht. Die Steuerverwaltung kam daher zu dem Ergebnis, dass Porr der Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen nicht zusteht. Porr erhob gegen diese Entscheidung eine Klage, welche wie folgt begründet wurde:
Das nationale Gericht vertrat die Ansicht, die Steuerverwaltung hätte prüfen müssen, ob der Rechnungsaussteller den Betrag an Porr hätte erstatten können und ob Porr den Betrag direkt von der Steuerverwaltung hätte verlangen können. Dazu hat das nationale Gericht folgende Fragen an den EuGH vorgelegt: Steht es der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem Grundsatz der Steuerneutralität und dem Effektivitätsgrundsatz entgegen, wenn im vorliegenden Fall vor der Versagung des Vorsteuerabzugs nicht geprüft wird, ob der Rechnungsaussteller die Mehrwertsteuer erstatten und die Rechnung berichtigen kann oder die Steuerbehörde die Steuer selbst erstattet.
Zu Beginn widmet sich der EuGH der Frage, ob Porr der Vorsteuerabzug im vorliegenden Fall versagt werden darf. Der EuGH verweist einerseits darauf, dass die Umsatzsteuer betreffend die Bautätigkeit nicht von Porr (an die Steuerbehörde) entrichtet worden ist und somit ein materielles Erfordernis für den korrespondierenden Vorsteuerabzug fehlt. Anderseits steht der Vorsteuerabzug nur für eine geschuldete Umsatzsteuer zu. Da die von den Dienstleistungserbringern entrichtete Steuer aber nicht geschuldet war, steht Porr diesbezüglich auch kein Vorsteuerabzug zu.
Nachfolgend geht der EuGH auf die Frage ein, ob vor der Versagung des Vorsteuerabzugs seitens der Finanzbehörde geprüft werden muss, ob die Rechnungen berichtigt werden können. Der EuGH weist darauf hin, dass im vorliegenden Fall eine Berichtigung der Rechnung auf Grund der nationalen Vorschriften nicht mehr möglich war. Der EuGH verweist auf seine bisherige Rechtsprechung und führt aus, dass ein System, in dem ua der Dienstleistungsempfänger gegen den Erbringer der Dienstleistung eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben kann, die Grundsätze der Neutralität und der Effektivität beachtet. Allerdings kann es der Effektivitätsgrundsatz gebieten, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Erstattungsantrag direkt an die Steuerbehörde richten kann, falls sich die Erstattung durch den Dienstleistungserbringer – insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers – als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist. Sofern das ungarische System somit Porr ermöglicht, die Mehrwertsteuer zurückzuverlangen, ist die Steuerbehörde nicht verpflichtet, vor der Versagung des Vorsteuerabzugs zu prüfen, ob eine Berichtigung noch möglich ist.
Zusammengefasst hat der EuGH die Versagung des Vorsteuerabzugs grundsätzlich bejaht, wenn ein Steuerpflichtiger auf Grund einer fehlerhaften Rechnung Umsatzsteuer an den Leistungserbringer gezahlt hat. Ferner hat der EuGH jedoch im Fall Porr bei Vorliegen bestimmter Umstände einen direkten Rückerstattungsanspruch eines Steuerpflichtigen betreffend Vorsteuerabzug – insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers - gegenüber der Steuerbehörde bejaht (wie auch im EuGH Urteil Tibor Farkas, 26.4.2017, C-564/15). Zusätzlich führt der EuGH im Urteil Porr aus, dass sofern ein direkter Rückerstattungsanspruch des Steuerpflichtigen gegenüber der Steuerbehörde besteht, seitens der Steuerbehörde nicht geprüft werden muss, ob die zu grundlegende Rechnung noch berichtigt werden kann.
Verena Gabler ist Partner im Bereich Steuerberatung und leitet die Tax Management Consulting Abteilung bei Deloitte Österreich. Die Umsatzsteuer-Spezialistin hat sich auf die Prozessberatung spezialisiert und unterstützt ihre Klienten bei der Entwicklung und Implementierung von Steuerkontrollsystemen. Dabei begleitet sie ihre Klienten bei der Analyse und Reduktion von steuerlich relevanten Risiken, der Optimierung von Prozessen und der Erhöhung des Automatisierungsgrades der Steuerfunktion durch den Einsatz von steuerrelevanter Software.