Am 11. April 2019 entschied der EuGH, dass die Mitgliedstaaten zwar betreffend die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit einen festen Bezugszeitraum wählen können, ein gleitender Bezugszeitraum hierdurch aber nicht umgangen werden kann.
Ausgangslage war ein Rechtsstreit zwischen der französischen Gewerkschaft der Führungskräfte der inneren Sicherheit (Syndicat des cadres de la sécurité intérieure) und den französischen Behörden wegen der nationalen Regelung hinsichtlich des Bezugszeitraums für die Berechnung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit. Diese sieht vor, dass die wöchentliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum – unter Berücksichtigung von Überstunden – während eines Kalenderhalbjahrs im Durchschnitt 48 Stunden nicht überschreiten darf.
Die Gewerkschaft brachte vor, dass die Bestimmung gegen die Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung verstoße, weil zur Berechnung ein fester Bezugszeitraum von einem Kalenderhalbjahr (somit von 1.1.bis 30.6. bzw. von 1.7.bis 31.12.) herangezogen wurde, anstatt – entsprechend den Ausnahmebestimmungen der Richtlinie – einen Bezugszeitraum von sechs Monaten mit zeitlich flexiblem Beginn und Ende festzulegen.
Es stellte sich somit die Frage, ob feste Bezugszeiträume – wie im vorliegenden Fall – europarechtskonform sind.
Der EuGH führte hierzu aus, dass die Entscheidung, ob feste oder gleitende Bezugszeiträume zur Anwendung kommen, mangels anderwärtiger Anhaltspunkte in der Richtlinie 2003/88/EG, den Mitgliedsstaaten obliegt. Zu beachten sei hierbei aber, dass jenes Ziel, welches die Richtlinie verfolgt, nämlich ein wirksamer Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer, nicht vereitelt wird.
Feste Bezugszeiträume, wie ein Kalenderhalbjahr, könnten möglicherweise dazu führen, dass ein Arbeitnehmer bei Zusammentreffen dieser festen Bezugszeiträume zu viel arbeitet, wodurch schließlich die wöchentliche Höchstarbeitszeit im Durchschnitt von sechs Monaten überschritten wird. Dieses Ergebnis würde der Richtlinie widersprechen. Demnach ist wesentlich, dass jene Mitgliedstaaten, welche sich für feste Bezugszeiträume entscheiden, Maßnahmen treffen, dass die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in einem Sechsmonatszeitraum auch bei einer Aufeinanderfolge der beiden festen Bezugszeiträume eingehalten wird.
Das österreichische Arbeitszeitgesetz (AZG) schreibt vor, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit innerhalb eines Durchrechnungszeitraums von 17 Wochen das Ausmaß von 48 Stunden nicht überschreiten darf. Die österreichische 60-Stunden-Woche wird somit zusätzlich durch eine unionsrechtliche Grenze von im Schnitt 48 Stunden innerhalb eines Bezugszeitraums von 17 Wochen beschränkt. Es ist daher möglich, dass der Arbeitnehmer zwar mehrere Wochen hindurch 60 Wochenstunden arbeitet, pro Bezugszeitraum die 48-Stunden-Grenze jedoch nicht überschreitet.
Der EuGH fordert somit, dass selbst bei fixen Bezugszeiträumen der Schutz der Arbeitnehmer und die Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden im Durchschnitt sichergestellt wird.
Stefan Zischka ist Partner und leitet den Fachbereich Arbeitsrecht bei Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte (JWO), dem österreichischen Mitglied des globalen Anwaltsnetzwerkes Deloitte Legal. Seine Tätigkeitsschwerpunkte umfassen die Bereiche Arbeits- und Sozialrecht sowie Zivilprozessrecht (Litigation). Im Jahr 2017 schloss er sich JWO als Partner an. Vor JWO war Stefan Zischka als Rechtsanwalt in einer der größten Rechtsanwaltkanzleien Österreichs (CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte) und als Legal Counsel in der Erste Bank tätig.