Posted: 03 Feb. 2020 8 min. read

DIE NICHTEINHALTUNG LEBENSMITTELRECHTLICHER VORSCHRIFTEN ALS INDIZ FÜR DAS WISSEN(-MÜSSEN)  ÜBER EINEN MEHRWERTSTEUERBETRUG

Im Urteil Altic SIA (EuGH 3. Oktober 2019, C-329/18, Altic SIA) hat der EuGH darüber entschieden, ob eine unterlassene Verpflichtung aus einer lebensmittelrechtlichen EU-Verordnung dem Recht auf Vorsteuerabzug entgegensteht, wenn es sich beim entsprechenden Erwerb um einen Umsatz iZm einem Mehrwertsteuerbetrug handelt. Weiters beurteilt er die Relevanz einer fehlenden Überprüfung der lebensmittelrechtlichen Registrierung des Vertragspartners für die Beurteilung, ob der Steuerpflichtige vom Mehrwertsteuerbetrug wissen oder hätte wissen müssen.
 

Sachverhalt

Altic erwarb im Jahr 2011 Rapssaatgut von zwei Gesellschaften, welches auch in Empfang genommen und in einem Lager einer dritten Gesellschaft aufbewahrt wurde. Altic zog sich die bei diesen Käufen angefallene Mehrwertsteuer als Vorsteuer ab. Die Abgabenbehörde kam nach durchgeführter Prüfung jedoch zu dem Ergebnis, dass diese Erwerbsvorgänge nicht stattgefunden haben und verpflichtete Altic, die abgezogene Mehrwertsteuer inklusive Strafzuschlag und Verspätungszinsen zurückzuzahlen. Zwar wurde in einem ersten Schritt der Nichtigkeitsklage von Altic stattgegeben, die Abgabenbehörde legte jedoch eine Beschwerde ein, mit welcher sie geltend machte, dass Altic nicht einmal eine minimale Überprüfung der Vertragspartner vorgenommen hatte und auch nicht kontrolliert hatte, ob die Lieferanten bei der Lebensmittelsicherheits- und Veterinäragentur registriert gewesen seien. Daher schlussfolgerte die Abgabenbehörde, dass Altic gewusst habe oder wissen hätte müssen, dass sie in einen Missbrauch des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems involviert gewesen sei.

Das vorlegende Gericht hielt fest, dass sich Altic in Bezug auf die gegenständlichen Umsätze an die Verordnung 178/2002 für Lebensmittelunternehmer hätte halten müssen. Folglich legte das Gericht folgende Fragen dem EuGH vor:

  • Kann das Vorsteuerabzugsrecht versagt werden, weil ein Steuerpflichtiger seine Verpflichtungen iSd genannten Verordnung nicht eingehalten hat?
  • Ist das Unterlassen der Überprüfung der Registrierung eines Lieferanten auf Grund lebensmittelrechtlicher Vorschriften relevant für die Frage, ob ein Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er in einen Umsatz mit einem Scheinunternehmer verwickelt war?
     

Das EuGH Urteil

Der EuGH hält zunächst fest, dass das Recht auf Vorsteuerabzug ein integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann, sofern die materiellen wie auch formellen Anforderungen und Bedingungen, denen dieses Recht unterliegt, von den Steuerpflichtigen, die es ausüben wollen, eingehalten werden. Unter bestimmten Voraussetzungen haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit weitere Pflichten vorzusehen, die sie für erforderlich halten, um eine genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden. Daher können die nationalen Behörden und Gerichte das Recht auf Vorsteuerabzug versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in missbräuchlicher Weise geltend gemacht wird. Dies gilt auch für den Fall, wenn ein Steuerpflichtiger wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in einer Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war. Diesbezüglich muss ein Unternehmer alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass die Umsätze in keinen Betrug einbezogen sind.

Der EuGH hielt weiters fest, dass die Überprüfung der Vertragspartner iSd VO 178/2002 nicht die Aufdeckung von Mehrwertsteuerbetrug zum Zweck hat und daher die Versagung des Vorsteuerabzugs aufgrund der nicht ausreichenden Überprüfung des Vertragspartners iSd genannten VO als nicht gerechtfertigt anzusehen ist. Wenn der Steuerpflichtige wegen besonderer Umstände ernsthafte Zweifel bezüglich dem tatsächlichen Bestehen oder der wahren Identität des Lieferanten hegen hätte müssen, würde der Sachverhalt aber EuGH anders zu beurteilen sein. Die Nichteinhaltung dieser lebensmittelrechtlichen Verpflichtung kann dann eines von mehreren Indizien darstellen, die gemeinsam darauf hindeuten, dass der Steuerpflichtige wissen oder hätte wissen müssen, dass er an einem missbräuchlichen Umsatzgeschäft beteiligt war. Dies hat das vorlegende Gericht zu prüfen.

Zusammenfassend stellte der EuGH fest, dass eine unterlassene Überprüfung der Registrierung gemäß lebensmittelrechtlicher Vorschriften für die Beurteilung, ob ein Steuerpflichtiger wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einem Mehrwertsteuerbetrug involviert ist, irrelevant ist.
 

Fazit

Der EuGH hat im vorliegenden Urteil die Versagung des Vorsteuerabzugs nicht bestätigt. Er sieht die Nichteinhaltung der angeführten Bestimmungen zum Lebensmittelrecht ggf nur als ein Indiz dafür, dass der Steuerpflichtige wissen oder hätte wissen müssen, dass ein Mehrwertsteuerbetrug vorliegt. Ob dieses Indiz im Einklang mit weiteren Indizien auf solch eine Betrugsbeteiligung hindeutet, hat die Abgabenbehörde im Einzelfall zu prüfen. Somit ist weiterhin im Einzelfall darauf abzustellen, ob ein Unternehmer die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug einbezogen sind.


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Mag. Jutta Schmidt

Mag. Jutta Schmidt

Senior Manager Steuerberatung | Deloitte Österreich

Jutta Schmidt ist Steuerberaterin bei Deloitte Wien. Sie ist als Senior Managerin im Indirect Tax & Global Trade Advisory Team tätig. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Umsatzsteuerrecht, der USt-Compliance sowie der umsatzsteuerlichen Sonderberatung von nationalen und multinationalen Unternehmen.