Posted: 27 May 2020 5 min. read

GLEITZEIT: 12 STUNDEN LAUT BETRIEBSVEREINBARUNG VS 10 STUNDEN LAUT KOLLEKTIVVERTRAG

Die OGH Entscheidung vom 16.12.2019 (8 Ob A 77/18h) behandelt das Verhältnis der Regelungs-kompetenz zwischen Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung im Zusammenhang mit Gleitzeitbe-stimmungen.
 

Hintergrund

§ 4b Abs 4 Arbeitszeitgesetz (AZG) idF BGBl I 53/2018 trat mit 1.9.2018 in Kraft und bestimmt ua, dass eine Verlängerung der täglichen Normalarbeitszeit auf bis zu 12 Stunden täglich unter gewissen Umständen zulässig ist. Davor galt, dass die tägliche Normalarbeitszeit 10 Stunden nicht überschreiten durfte. Eine Vorgängerversion dieser Bestimmung, die bis Ende 2007 in Kraft war, enthielt zudem eine Ermächtigungsbestimmung für die Kollektivvertragsparteien zur Verlänge-rung der Normalarbeitszeit (damals: auf bis zu 10 Stunden).

Der Kollektivvertrag für Angestellte des Metallgewerbes („KV Metall“) idF vom 1.1.2018 sah vor, dass die „tägliche Normalarbeitszeit gemäß § 4b Abs 4 AZG (Gleitzeitvereinbarung) bis auf 10 Stun-den verlängert werden“ kann. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Fassung galt noch § 4b AZG (alt), wonach die Normalarbeitszeit max 10 Stunden betragen durfte. Weiters regelte der KV Metall auch, dass außerhalb der Normalarbeitszeit liegende Stunden als Überstunden anzusehen seien, für die ein Zuschlag gebühre.
 

Feststellungsantrag

Die Wirtschaftskammer Österreich (als Antragstellerin; kurz „WKÖ“) stellte daraufhin einen Feststellungsantrag an den OGH. Sie begehrte darin, festzustellen, dass der KV Metall einer betriebsvertraglichen Regelung über eine tägliche Normalarbeitszeit von bis zu 12 Stun-den nicht entgegenstehe. Weiters begehrte sie die Feststellung, der KV Metall stehe auch einer be-triebsvertraglichen Regelung nicht entgegen, dass folglich die zusätzlichen Arbeitsstunden nicht als Überstunden zu bewerten seien, sondern als zuschlagsfreie Arbeitsstunden.

Die WKÖ argumentierte, dass die entsprechende Bestimmung im KV Metall nur mehr historische Bedeutung habe und gegenstandslos geworden sei – und zwar bereits seit dem Wegfall der oben erwähnten Ermächtigungsbestimmung des § 4b Abs 4 AZG Ende 2007, die die gesetzliche Grundla-ge hierfür gewesen sei. Die Kollektivvertragsparteien hätten nicht die Kompetenz, die gesetzlich zu-gelassene Normalarbeitszeit zu beschränken. Zudem sei die Bestimmung nicht wörtlich zu verste-hen, sondern sinngemäß; die Kollektivvertragsparteien hätten die Absicht gehabt, den gesetzlich gewährten Freiraum voll auszuschöpfen. Eine Beschränkung der möglichen Normalarbeitszeit sei daher nicht gewollt gewesen, sondern vielmehr eine Erweiterung. Dies sei auch im Sinne der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer, die von einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung profitierten.

Die Gewerkschaft für Privatangestellte (als Antragsgegnerin; kurz „GPA“) begehrte die Abweisung des Antrags. Sie führte aus, dass die Kollektivvertragsparteien schon seit 2004 über eine Normalar-beitszeiterhöhung verhandelt hätten und diese Debatte daher bei sämtlichen Verhandlungen über diverse Ergänzungen und Neuabschlüsse des KV Metall mitbedacht worden sei. Eine Änderung sei nicht gewollt gewesen, vielmehr habe man sich zu der programmatischen Erklärung entschlossen, die nicht geänderten Regelungen des Kollektivvertrags ausdrücklich in Geltung zu belassen. Zudem sei die entsprechende Bestimmung im KV Metall die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer güns-tigere Regelung gegenüber § 4 Abs 4 AZG und daher wirksam. Zur Kompetenzfrage erläuterte die GPA, dass Regelungen zur Gleitzeit sowie Entgeltfragen von der Regelungskompetenz der Kollek-tivvertragsparteien umfasst seien; auch eine Kompetenzüberschneidung zwischen Kollektivvertrags- und Betriebsvereinbarungsparteien sei nicht unzulässig.
 

Rechtliche Beurteilung

Zunächst hielt der OGH fest, dass normative Kollektivvertragsbestimmun-gen wie Gesetze ausgelegt werden müssten. Daher sei der Wortsinn ausschlaggebend, der die Möglichkeit einer 11. und 12. Stunde unmissverständlich ausschließen muss, was gegenständlich nicht der Fall war.

Hinsichtlich der Frage, ob für eine längere Arbeitszeit Zuschläge gebühren, hielt der OGH fest, dass eine Einschränkung der Kompetenz der Kollektivvertragsparteien jedenfalls nicht ersichtlich sei. Den Kollektivvertragsparteien stehe es frei, alles zu regeln, was „typischer, wesentlicher oder regelmäßig wiederkehrender Inhalt“ eines Arbeitsverhältnisses sei, insbesondere auch Regelungen über Ar-beitszeit und Entgelt.

Bezüglich des normativen Inhalts einer Gleitzeitvereinbarung, die ja explizit den Betriebsvereinba-rungsparteien zur Regelung zugewiesen wurde, führte der OGH an, dass die Kompetenzen der Kol-lektivvertragsparteien hierdurch nicht eingeschränkt werden könnten. Gleichzeitig könne aber auch per Kollektivvertrag nicht die Regelungskompetenz der Betriebs- bzw. Einzelvertragsparteien einge-schränkt oder gar entzogen werden. Es gelte daher das Günstigkeitsprinzip): Bei einer Regelungs-konkurrenz seien demnach Sondervereinbarungen in Betriebsvereinbarungen nur gültig, soweit sie für die Arbeitnehmerin bzw den Arbeitnehmer günstiger seien. Die Beurteilung der Günstigkeit habe nach objektiven Kriterien zu erfolgen; und unter Beachtung der Wertungen der Übergangsbestim-mungen des AZG sei hier der Kollektivvertrag günstiger als die der beschriebenen Betriebsvereinba-rung und habe daher Vorrang.
 

Ergebnis

Der OGH hat daher den Antrag, soweit er die Feststellung der Zulässigkeit der Erlassung von Betriebsvereinbarungen nach § 4b AZG umfasst, als berechtigt erachtet und festgestellt, dass der KV Metall einer Regelung über eine tägliche Normalarbeitszeit von bis zu 12 Stunden in einer Gleitzeitbetriebsvereinbarung gemäß § 4b AZG nicht entgegenstehe. Soweit der Antrag allerdings die Zulässigkeit der Festlegung einer zuschlagsfreien 11. oder 12. Stunde als Normalarbeitszeit ent-gegen den Regelungen des Kollektivvertrags umfasst, hat der OGH diesen abgelehnt.

Das bedeutet, dass sowohl Kollektivverträge als auch Betriebsvereinbarungen Bestimmungen zur Gleitzeit enthalten können, was zu einer Regelungskonkurrenz führen kann. In diesem Fall ist die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer günstigere Regelung anzuwenden. Allerdings ist es nicht mög-lich, im Widerspruch zum Kollektivvertrag eine Bestimmung in die Betriebsvereinbarung aufzuneh-men, durch welche die Normalarbeitszeit zuschlagsfrei erweitert werden soll.
 

Fazit

Obwohl der Gesetzgeber die Vereinbarung von Gleitzeit ausdrücklich den Betriebsvereinba-rungsparteien zugewiesen hat, kann ein Kollektivvertrag dennoch Bestimmungen zur Gleitzeit ent-halten. Bei der Einführung oder Änderung von Gleitzeitvereinbarungen ist es daher sinnvoll, zuerst einen Blick in den Kollektivvertrag zu werfen. Bei der Gestaltung einer entsprechenden Vereinbarung unterstützen Sie die Expertinnen und Experten von Deloitte Legal sehr gerne.


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Dr. Stefan Zischka

Dr. Stefan Zischka

Deloitte Legal | Jank Weiler Operenyi RA

Stefan Zischka ist Partner und leitet den Fachbereich Arbeitsrecht bei Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte (JWO), dem österreichischen Mitglied des globalen Anwaltsnetzwerkes Deloitte Legal. Seine Tätigkeitsschwerpunkte umfassen die Bereiche Arbeits- und Sozialrecht sowie Zivilprozessrecht (Litigation). Im Jahr 2017 schloss er sich JWO als Partner an. Vor JWO war Stefan Zischka als Rechtsanwalt in einer der größten Rechtsanwaltkanzleien Österreichs (CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte) und als Legal Counsel in der Erste Bank tätig.