Der Betriebsrat (BR) kann auf Verlangen gekündigter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer binnen einer Woche nach Verständigung vom Ausspruch der Kündigung diese beim Gericht anfechten, wenn er der Kündigungsabsicht ausdrücklich widersprochen hat. Kommt der BR dem Verlangen nicht nach, so können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der für den BR geltenden Frist die Kündigung selbst beim Gericht anfechten.
Der OGH beschäftigte sich in der Entscheidung vom 24.1.2020 (8 ObA 48/19w) mit der Frage, ob ein Arbeitnehmer die Kündigungsanfechtung auch dann hätte „verlangen müssen“, wenn während des Gerichtsverfahrens hervorkommt, dass der BR nur Anfechtungen für Gewerkschaftsmitglieder vornimmt.
Der Kläger wurde vom beklagten Arbeitgeber gekündigt. Der BR hatte der Kündigung ausdrücklich widersprochen, was dem Kläger auch gesagt wurde. Der Kläger wollte die Kündigung jedenfalls anfechten und versuchte mehrfach die Vorsitzende des BR telefonisch zu erreichen, da er hoffte, von ihr Gründe für die Kündigung zu erfahren. Hätte er sie erreicht, hätte er ihr mitgeteilt, dass er die Kündigung selbst anfechten möchte. In der Folge wandte er sich an seinen Rechtsanwalt, dem er am 22.5.2018 beim ersten Besprechungstermin den Auftrag zur Kündigungsanfechtung erteilte. Kontakt zum BR bestand zu keiner Zeit. Erst während des Gerichtsverfahrens nahm der Rechtsanwalt des Klägers Kontakt zur Vorsitzenden des BR auf, die ihm mitteilte, dass der BR nur Anfechtungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vornehme, wenn diese Gewerkschaftsmitglieder seien, was auf den Kläger nicht zutreffe. Im weiteren Verfahren behauptete der Kläger, er habe nicht gewusst, dass er bei einem Widerspruch des BR gegen die Kündigung innerhalb einer Frist vom BR verlangen müsse, dass dieser die Kündigung anfechte. Hätte er dies gewusst, hätte er den BR zur Anfechtung aufgefordert.
Laut OGH komme nach der Konzeption des Gesetzes das Anfechtungsrecht im Falle eines Widerspruchs des BR zur Kündigung primär und ausschließlich dem BR zu. Zusätzlich setze das Recht auf Kündigungsanfechtung durch den BR ein "Verlangen" der Arbeitnehmerin bzw des Arbeitnehmers voraus, da das Kündigungsschutzverfahren nicht gegen deren Willen eingeleitet werden soll. Dies setze aber voraus, dass dem BR in irgendeiner Form während der ihm für die Anfechtung zur Verfügung stehenden Frist bekannt wird, dass die betroffene Person eine Anfechtung wünscht oder zumindest mit einer solchen einverstanden ist. Nur so kann ein Anfechtungsanspruch des BR entstehen und nur dann ein solcher Anspruch auf die betroffene Arbeitnehmerin bzw den betroffenen Arbeitnehmer übergehen.
An das Verlangen an den BR, die Kündigung anzufechten, sind nach der Rechtsprechung keine besonderen formellen Ansprüche zu stellen. Wesentlich ist, dass aus den Erklärungen der Arbeitnehmerin bzw des Arbeitnehmers insgesamt der Wille zur Aufhebung der Kündigung durch Ausübung des Anfechtungsrechts hervorgeht.. Dieser Wunsch kann sich insbesondere in (auch vor ausgesprochener Kündigung erfolgten) Erklärungen und Verhaltensweisen, wie etwa Gesprächen mit dem BR und Befassung eines Vertreters der Arbeiterkammer, manifestieren.
Die Möglichkeit, im Nachhinein hypothetisch nachzuvollziehen, ob man mit einer Anfechtung einverstanden gewesen wäre bzw ob der BR im Fall eines ihm bekannt gewordenen Einverständnisses selbst eine Kündigungsanfechtung vorgenommen hätte, entspricht damit nicht dem Gesetz.
Da der Kläger weder vor der Kündigung noch nach Ausspruch der Kündigung innerhalb der dem BR zur Klagseinbringung zur Verfügung stehenden Frist ein dem BR bekannt gewordenes Verhalten setzte, aus dem auf ein Verlangen der Anfechtung geschlossen werden hätte können, hatte weder der BR noch in der Folge der Kläger ein Recht auf Anfechtung der Kündigung.
Obwohl der OGH den dargestellten Sachverhalt schlussendlich zum Nachteil des betroffenen Arbeitnehmers ausgelegt hat, zeigt sich, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gut beraten sind, wenn sie sich mit den Bestimmungen des betriebsverfassungsrechtlichen Vorverfahrens vertraut machen. Ein Verstoß gegen die gesetzlichen Regelungen kann nicht nur zu einem Ausschluss des Anfechtungsrechts betroffener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führen, sondern auch zur Unwirksamkeit einer Kündigung. Unsere Arbeitsrechtsexpertinnen und -experten von Deloitte Legal beraten Sie gerne zu allen rechtlichen Fragestellungen iZm der Auflösung von Arbeitsverhältnissen und vertreten Sie im Falle der Anfechtung einer Beendigung vor Gericht.
Stefan Zischka ist Partner und leitet den Fachbereich Arbeitsrecht bei Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte (JWO), dem österreichischen Mitglied des globalen Anwaltsnetzwerkes Deloitte Legal. Seine Tätigkeitsschwerpunkte umfassen die Bereiche Arbeits- und Sozialrecht sowie Zivilprozessrecht (Litigation). Im Jahr 2017 schloss er sich JWO als Partner an. Vor JWO war Stefan Zischka als Rechtsanwalt in einer der größten Rechtsanwaltkanzleien Österreichs (CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte) und als Legal Counsel in der Erste Bank tätig.