Posted: 22 Jun. 2020 7 min. read

VORSTEUERABZUG EINER (GESCHÄFTSFÜHRUNGS-)HOLDING TROTZ GESCHEITERTER ÜBERNAHME (EUGH 17.10.2018, C-249/17, RYANAIR)

Gegenstand dieses Urteils war erneut die Auslegung des Begriffs „Steuerpflichtiger“ und die Frage nach der Ausübung einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ für umsatzsteuerliche Zwecke. Trotz der gescheiterten Übernahme einer Zielgesellschaft gestand der EuGH einer sonst nur als Finanzholding zu qualifizierenden Gesellschaft den vollen Vorsteuerabzug zu – die Absicht, bei der Zielgesellschaft zukünftig geschäftsführenden Einfluss auszuüben und später steuerpflichtige Leistungen zu erbringen, reicht für die Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug aus. Nicht relevant ist hingegen, ob die Leistungen zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich erbracht werden.
 

Sachverhalt

Die irische Fluggesellschaft Ryanair plante, alle Anteile an der irischen Fluggesellschaft Aer Lingus zu erwerben. Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen kam es jedoch nur zu einem Teilerwerb der Anteile, die Übernahme von Aer Lingus scheiterte. Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der ursprünglich geplanten Übernahme waren zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits umfangreiche Ausgaben für Beratungs- und andere Dienstleistungen entstanden. Ryanair machte den auf diese Leistungen entfallenden Vorsteuerabzug geltend und berief sich auf ihre ursprüngliche Absicht, nach Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft in deren Verwaltung einzugreifen, indem sie für Aer Lingus steuerpflichtige Geschäftsführungsleistungen erbringen würde. Die irische Finanzverwaltung versagte den Vorsteuerabzug für die getätigten Ausgaben.

Das Verfahren wurde ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die bloße Absicht der zukünftigen Erbringung von Geschäftsführungsleistungen für die Begründung einer wirtschaftlichen Tätigkeit iSd Mehrwertsteuerrichtlinie ausreiche, sodass die im Rahmen des Übernahmeangebots in Anspruch genommenen Leistungen auch dann zum Vorsteuerabzug berechtigen, wenn diese wirtschaftliche Tätigkeit – die Erbringung steuerpflichtiger Geschäftsführungsleistungen – letztlich nicht ausgeübt wird.
 

Das EuGH Urteil

Zunächst geht der EuGH der Frage nach, ob Ryanair als Steuerpflichtiger iSd Mehrwertsteuerrichtlinie qualifiziert und somit grundsätzlich das Recht auf Vorsteuerabzug besteht. Da Ryanair mit dem angestrebten Erwerb von Anteilen der Zielgesellschaft beabsichtigte, dieser gegenüber steuerpflichtige Geschäftsführungsleistungen zu erbringen, und damit eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, sei Ryanair im Rahmen dieses Erwerbs als Steuerpflichtiger anzusehen. Auch vorbereitende Handlungen seien der (späteren) wirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen. Relevant für die Beurteilung sei der Zeitpunkt, zu dem Ryanair die Ausgaben für die Eingangsleistungen tätigte. Da Ryanair zu diesem Zeitpunkt als Steuerpflichtiger gehandelt habe – sie beabsichtigte die Erbringung steuerpflichtiger Geschäftsführungsleistungen –, steht Ryanair grundsätzlich das Recht auf Vorsteuerabzug zu, unabhängig davon, ob diese wirtschaftliche Tätigkeit letztlich ausgeübt werden konnte oder nicht.

Für den EuGH folgt diese Auslegung aus dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer: Eine andere Auslegung könnte zu einer unterschiedlichen Behandlung von Unternehmern führen, die bereits steuerbare Umsätze tätigen und Unternehmern, welche Investitionen für die zukünftige Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit vornehmen. Beiden Gruppen von Steuerpflichtigen müsse das Recht auf Vorsteuerabzug jedoch gleichermaßen zustehen.

Hinsichtlich des Umfangs des Rechts auf Vorsteuerabzug aus den betreffenden Eingangsleistungen äußert sich der EuGH ebenfalls. Auch bei Fehlen eines direkten Zusammenhangs zwischen bestimmten Ein- und steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen ist ein Vorsteuerabzug insofern möglich, als die Kosten der betreffenden Eingangsleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören, da sie insoweit direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammenhängen.
 

Fazit

Der Ausgang des Urteils stellt eine konsequente Fortsetzung der Rechtsprechung des EuGH zum Vorsteuerabzugsrecht für Vorbereitungshandlungen einerseits, und zum Vorsteuerabzug für geschäftsleitende Holdinggesellschaften andererseits dar: Im Ergebnis steht der Vorsteuerabzug Steuerpflichtigen auch dann zu, wenn die ursprünglich beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit letztlich nicht ausgeübt wird. Es ist auf die Absicht des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Investition abzustellen: Nachdem Ryanair im Zeitpunkt des Bezugs der Eingangsleistungen beabsichtigte, die gesamten Anteile zu erwerben und anschließend an die Zielgesellschaft steuerpflichtige Geschäftsführungsleistungen zu erbringen, könne sie auch die Umsatzsteuer auf die in diesem Zusammenhang in Anspruch genommenen Eingangsleistungen in vollem Umfang als Vorsteuer abziehen. Und zwar auch dann, wenn die damit im Zusammenhang stehende wirtschaftliche Tätigkeit letztlich nicht ausgeübt wird. Dies entspricht auch der Ansicht der österreichischen Finanzverwaltung.


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Sabine Mandahus, LL.M.(WU) MSc (WU)

Sabine Mandahus, LL.M.(WU) MSc (WU)

Senior Steuerberatung | Deloitte Österreich

Sabine Mandahus ist als Steuerberaterin in den Bereichen Indirect Tax und Tax CMS tätig. Neben der Spezialberatung von umsatzsteuerlichen Fragestellungen unterstützt sie Unternehmen bei der Implementierung und Optimierung von einzelnen steuerlichen Prozessen bis hin zur ganzheitlichen Einführung bzw. Analyse von Steuerkontrollsystemen.