Posted: 09 Jun. 2021 6 min. read

EUGH: KEINE FESTE NIEDERLASSUNG OHNE EIGENES PERSONAL?

Zum Begriff feste Niederlassung

Im Jahr 2019 hat das BFG ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Klärung des Begriffs der festen Niederlassung - dem umsatzsteuerlichen Äquivalent zur Betriebsstätte - gerichtet (siehe Tax & Legal News vom 6.3.2020). Im Juni 2021 entschied der EuGH nun in diesem, als Rs Titanium bekannten, Verfahren, dass eine feste Niederlassung eigenes Personal im Bestimmungsland voraussetzt.

Sachverhalt

Im konkreten Sachverhalt vermietete eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Jersey eine Liegenschaft in Wien an zwei inländische Unternehmer (steuerpflichtige Vermietung für Geschäftszwecke). Mit der Hausverwaltung war ein inländisches Unternehmen beauftragt; die wesentlichen Entscheidungen (zB Begründung und Auflösung von Mietverhältnissen, Durchführung von Investitionen und laufenden Instandhaltungsmaßnahmen) behielt sich die Liegenschaftseigentümerin jedoch selbst vor. Strittig vor dem BFG war, ob die Liegenschaftseigentümerin österreichische Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen hat oder die Steuerschuld auf Basis der Reverse Charge-Bestimmungen auf die Mieter übergeht. Ein Übergang der Steuerschuld auf die Mieter setzt bei einem im Ausland ansässigen Vermieter voraus, dass dieser über keine umsatzsteuerliche Betriebstätte im Inland verfügt, die an der Leistungserbringung beteiligt ist. Vor dem BFG und auch EuGH war daher fraglich, ob eine vermietete Liegenschaft eine derartige umsatzsteuerliche Betriebsstätte des Vermieters in Österreich begründet.

EuGH: vermietete Liegenschaft keine feste Niederlassung

Der EuGH kommt mit außergewöhnlich kurzer Begründung zum Ergebnis, dass die vermietete Liegenschaft keine feste Niederlassung für den Vermieter darstellt. Nach der Definition in der EU-MwSt-Durchführungsverordnung als auch der EuGH-Rechtsprechung setzt eine feste Niederlassung eine personelle und technische Ausstattung voraus, die eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht. Eine Immobilie, bei der „keinerlei personelle Ausstattung vorhanden ist, die zu autonomem Handeln befähigt“, erfüllt nach Ansicht des EuGH diese Voraussetzungen nicht. Letzteres ist nach Ansicht des EuGH hier gegeben: Die Liegenschaftseigentümerin verfügt in Österreich nämlich über kein eigenes Personal, sondern hat lediglich eine inländische Hausverwaltung beauftragt; wichtige Entscheidungen betreffend die Vermietung der in Rede stehenden Immobilie hatte die Vermieterin sich zudem weiterhin selbst vorbehalten.

Die Voraussetzung des eigenen Personals

In den Rs DFDS (1997), Welmory (2014) und Dong Yang (2020) hat der EuGH festgestellt, dass das Personal einer Tochtergesellschaft für Zwecke der Beurteilung des Vorliegens einer festen Niederlassung im Einzelfall der Muttergesellschaft zurechenbar sein kann (substance over form). Es ist zweifelhaft, ob der EuGH mit dem Urteil Titanium diese Rechtsprechung gänzlich aufgeben wollte. Im Lichte dieser Judikatur dürfte die Wortfolge eigenes Personal vielmehr nicht strikt förmlich zu verstehen sein, sondern eine wirtschaftliche Betrachtungsweise erfordern. Hat ein Unternehmer daher faktische Verfügungs- und Instruktionsgewalt über Personal ähnlich einem Arbeitgeber, obwohl er im Arbeitsvertrag nicht als Arbeitgeber aufscheint, so kann ihm dieses Personal im Einzelfall wohl dennoch zugerechnet werden. Bei Mitarbeitern eines vertraglich beauftragten Dienstleisters (zB Hausverwaltung, Lagerhalter), der in keinem Konzernverhältnis zum Auftraggeber steht, wird eine derartige wirtschaftliche Zurechnung der Mitarbeiter zum Auftraggeber in aller Regel jedoch ausscheiden. Fraglich ist, ob auch reines Leihpersonal, das von einem fremden dritten Arbeitskräftegesteller bereit gestellt wird, eigenes Personal darstellt und damit eine feste Niederlassung im mehrwertsteuerlichen Sinn begründen kann. Würde man dies generell verneinen, könnte die Begründung einer festen Niederlassung wohl leicht umgangen werden, indem nicht eigene Angestellte beschäftigt werden, sondern Personal lediglich geliehen wird.

Auswirkungen auf vergleichbare Vermietungsfälle

Die österreichische Finanzverwaltung ging bisher davon aus, dass eine vermietete Liegenschaft eine feste Niederlassung des Vermieters begründet und es daher für Zwecke der B2B-Vermietungsumsätze zu keinem Übergang der Steuerschuld auf den Mieter kommt. Im Lichte des oa EuGH-Urteils kann diese Ansicht nicht weiter aufrecht erhalten werden. Vermieter, die im Inland über kein eigenes Personal verfügen, müssen sich daher für Zwecke der Deklarierung der B2B-Vermietungsumsätze zukünftig nicht mehr in Österreich zur Umsatzsteuer registrieren lassen und auch keine Umsatzsteuer in Rechnung stellen. Die umsatzsteuerlichen Pflichten treffen den Mieter. Dies bringt für den Vermieter einen reduzierten Verwaltungsaufwand und für den Mieter Cashflow-Vorteile mit sich.

Weitere Auswirkungen

Entgegen der bisherigen deutschen Rechtsprechung und anders als im Bereich der direkten Steuern, begründen rein technische Anknüpfungspunkte (zB Windräder, Server, Automaten) keine feste Niederlassung für Umsatzsteuerzwecke. Diese Auslegung sollte neben den Reverse Charge-Bestimmungen auch für eine Vielzahl anderer Bestimmungen, die auf den selben Begriff Bezug nehmen, relevant sein:

  • Leistungsort bei B2B-Dienstleistungen: Verfügt der Leistungsempfänger von Dienstleistungen, die unter die B2B-Grundregel fallen, im Inland nur über eine Liegenschaft oder technische Ausstattung, aber über kein eigenes Personal, so sollte im Regelfall keine österreichische Umsatzsteuer anfallen.
  • Leistungsort bei B2C-Dienstleistungen: Verfügt der Leistungserbringer von Dienstleistungen, die unter die B2C-Grundregel fallen, im Inland nur über eine Liegenschaft oder technische Ausstattung, aber über kein eigenes Personal, so sollte im Regelfall keine Registrierungspflicht in Österreich bestehen und keine österreichische Umsatzsteuer anfallen.
  • Konsignationslagerregelung: Im Lichte des EuGH-Urteils kann das Warenlager selbst für den Lieferer keine feste Niederlassung begründen und daher nicht zum Ausschluss der Konsigationslagerregelung führen.
  • One-Stop-Shop-System: Rein technische Ausstattung oder eine Liegenschaft eines nicht ansässigen EU-Unternehmers im Bestimmungsland sollte der Abfuhr der Umsatzsteuer über das OSS-System im Heimat-Mitgliedstaat nicht entgegenstehen.

Zu beachten ist, dass der Begriff der Betriebsstätte einer anderen Auslegung folgt; es ist nicht ausgeschlossen, dass auch rein technische Anknüpfungspunkte für Zwecke dieser Bestimmung betriebsstättenbegründend sein können.

Ausblick

Derzeit ist vor dem EuGH ein weiteres Verfahren zum Begriff der festen Niederlassung aus Rumänien anhängig. In der anhängigen Rechtssache Berlin Chemie (C-333/20) hat der EuGH erneut zu beurteilen, unter welchen Voraussetzungen Personal und technische Ausstattung einer Konzerngesellschaft für Zwecke der Umsatzsteuer einer anderen, sie kontrollierenden Konzerngesellschaft zugerechnet werden und zu einer festen Niederlassung für letztere führen kann. Der EuGH wird daher erneut Gelegenheit haben, den Ausdruck eigenes Personal zu präzisieren.


Ihr Kontakt

Univ. Prof. Dr. Karoline Spies

Univ. Prof. Dr. Karoline Spies

Manager Steuerberatung | Deloitte Österreich

Univ. Prof. Dr. Karoline Spies ist Manager bei Deloitte Wien und Professorin am Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der WU Wien. Ihr Schwerpunkt liegt im Umsatzsteuerrecht und Rechtsfragen im Bereich des Europäischen Steuerrechts.