Posted: 22 Oct. 2021 8 min. read

HAFTUNG DES FAKTISCHEN GESCHÄFTSFÜHRERS BEI INSOLVENZVERSCHLEPPUNG

Überblick

Die Abgrenzung zwischen faktischer Geschäftsführung und bloßer Aufgabendelegierung ist oft nicht einfach, das Haftungspotential eines faktischen Geschäftsführers jedoch groß. Der Oberste Gerichtshof (OGH) beschäftigte sich in der Entscheidung zu 17 Ob 5/21s vom 19.5.2021 neuerlich mit den Kriterien der faktischen Geschäftsführung und in weiterer Folge mit der Haftung des faktischen Geschäftsführers in Zusammenhang mit einer Insolvenzverschleppung.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine große Versicherungsanstalt, vermietete Geschäftsräumlichkeiten an eine GmbH. Der Erstbeklagte war Alleingeschäftsführer dieser GmbH und die Zweitbeklagte war die Mutter der im Ausland lebenden Alleingesellschafterin der GmbH. Die Zweitbeklagte war bei der GmbH teilzeitbeschäftigt, jedoch nicht in die Geschäftstätigkeiten und finanzielle Angelegenheiten der GmbH involviert. Allerdings führte sie für die später insolvente GmbH in diversen Besprechungen mit der Klägerin und dem Erstbeklagten das Wort, agierte dabei oftmals emotional und setze sich für die Gesellschaft ein, indem sie – unter anderem – die Klägerin um eine Reduktion der Kaution ersuchte. Der Erstbeklagte und eigentliche Geschäftsführer hingegen äußerte sich wenig und trat eher passiv und bedächtig auf. In weiterer Folge wurde auf Antrag der GmbH ein Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet, wobei die entsprechende Zahlungsunfähigkeit bereits drei Jahre zuvor vorlag und bei ordnungsgemäßer Buchführung erkennbar gewesen wäre. Die Klägerin begehrte schließlich nicht nur vom Erstbeklagten als handelsrechtlichen Geschäftsführer, sondern auch von der Zweitbeklagten als faktische Geschäftsführerin, zur ungeteilten Hand den Ersatz des Schadens, der ihr durch unterlassene Insolvenzantragstellung verursacht worden sei.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren gegenüber der Zweitbeklagten ab. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass sich Lehre und Rechtsprechung zu den Kriterien der faktischen Geschäftsführung noch nicht im Klaren wären.

Entscheidung des OGH

Der OGH stellte klar, dass der faktische Geschäftsführer bzw die faktische Geschäftsführerin auf den handelsrechtlichen Geschäftsführer bzw die handelsrechtliche Geschäftsführerin aktiv einzuwirken habe, damit dieser seiner bzw ihre Pflicht nach § 69 IO (Insolvenzordnung) zur Beantragung eines Insolvenzverfahrens nachkomme. Unterlässt der faktische Geschäftsführer bzw Geschäftsführerin dies, setzt er sich einer möglichen Haftung aus. Nach den Ausführungen des OGH wird als faktischer Geschäftsführer bzw Geschäftsführerin jene Person angesehen, die das Unternehmen leitet oder zumindest maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung nimmt, ohne wirksam als Geschäftsführer bzw Geschäftsführerin bestellt worden zu sein. Dabei ist nicht von Relevanz, ob es sich bei dieser Person um Angestellte, Angehörige oder gar Außenstehende handelt. Regelmäßig wird faktische Geschäftsführung für den Fall angenommen, dass der tatsächlich bestellte Geschäftsführer bzw Geschäftsführerin als "Strohmann" seine bzw ihre Funktion nicht ausübt und stattdessen eine andere Person die Leitung der Gesellschaft übernommen hat. Zumeist ist auch ein nach außen erkennbares Auftreten als Geschäftsführer bzw Geschäftsführerin erforderlich.

Betreffend die im vorliegenden Fall aufgeworfene Insolvenzverschleppungshaftung ist allerdings aufgrund der § 69 Abs 3 IO innewohnenden Teleologie eine Orientierung an der formellen Organfunktion erforderlich. Es muss sich daher bei der faktischen Geschäftsführung um eine Person handeln, die dauerhaft und ausgeprägt den Platz eines zum Insolvenzantrag legitimierten Organs einnimmt.

Der OGH kam – wie auch die Vorinstanzen – zum Ergebnis, dass der Erstbeklagte als formeller Geschäftsführer durch die Aufgabendelegierung an die Zweitbeklagte nicht derartig in den Hintergrund gerückt wurde, dass sein eigener Aufgabenkreis in der GmbH vernachlässigbar gewesen wäre. Es sei durchaus üblich, dass Angestellte mit Aufgaben betraut werden, im Rahmen derer sie das Unternehmen selbst nach außen vertreten. Auch die selbständige Entscheidungsfindungen seitens der Zweitbeklagten betreffend die ihr übertragenen Bereiche, führe nicht zur Annahme der faktischen Geschäftsführung. Wesentliche Finanzangelegenheiten, die für die Verantwortlichkeit gemäß § 69 IO entscheidend sind, verblieben weiterhin in der Zuständigkeit des Erstbeklagten. Selbst die Anwesenheit und Wortführung der Zweitbeklagten in den eingangs erwähnten Besprechungen begründe keine faktische Geschäftsführung. Folglich verneinte der OGH die faktische Geschäftsführung und Haftung der Zweitbeklagten.

Fazit

Im konkreten Fall haftet somit für den von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzanspruch wegen Insolvenzverschleppung lediglich der wirksam bestellte handelsrechtliche Geschäftsführer. Die Zweitbeklagte haftet aufgrund mangelnder Charakterisierung als faktische Geschäftsführerin nicht. Sollte die faktische Geschäftsführung vom Gericht im Einzelfall bejaht werden, könnte diese wegen Insolvenzverschleppung zur Haftung gezogen werden, ohne dass sich die betroffenen Personen dessen oftmals bewusst sind. Die vorliegende Entscheidung hebt abermals deutlich hervor, welche Risiken in haftungsrechtlicher Hinsicht mit einer faktischen Geschäftsführung einhergehen können. Im Hinblick auf das bestehende Haftungsrisiko ist somit große Vorsicht und Achtsamkeit geboten.


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Mag. Gerald Hendler, LL.M

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Deloitte Legal | Jank Weiler Operenyi RA

Gerald Hendler ist Rechtsanwaltsanwärter bei Jank Weiler Operenyi RA | Deloitte Legal und Mitglied des Praxisteams Corporate/M&A. Seine Tätigkeitssschwerpunkte liegen in den Bereichen Gesellschaftsrecht und M&A.

Mag. Ella Peric

Mag. Ella Peric

Jank Weiler Operenyi RA | Deloitte Legal

Ella Peric ist Rechtsanwaltsanwärterin bei Jank Weiler Operenyi RA | Deloitte Legal und Mitglied des Praxisteams Corporate/M&A. Ihre Tätigkeitssschwerpunkte liegen in den Bereichen Gesellschaftsrecht und M&A.