Das Regierungsprogramm 2020 bis 2024 sieht einen stetigen Umbau unseres Rechtssystems zu einer klimaverträglichen Gesellschaft vor. Eine wesentliche Rolle soll dabei auch eine Modernisierung des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) einnehmen. Eine fundamentale Reform des Wohnungseigentumsrechts wird es allerdings nicht geben. Der Ministerialentwurf sieht lediglich eine vereinzelte Novellierung bestimmter Normen vor. Allgemeine Regelungsfragen und Novellierungsanliegen wurden bewusst nicht behandelt.
Die wesentlichen Ziele sind unter anderem Maßnahmen zur Dekarbonisierung sowie den Umstieg auf elektrisch betriebene Fahrzeuge voranzutreiben. Daher ist ein sog „Right-to-Plug“ vorgesehen, wodurch die Rahmenbedingungen für die Errichtung von Ladestationen für E-Fahrzeuge im Wohnungseigentumsrecht verbessert werden sollen. Weitere Änderungen sollen zur Verringerung des Energiebedarfes beitragen und den Umstieg auf umweltfreundlichere Technologien forcieren. Zudem sind Erleichterungen bei der Umsetzung von unterstützungswürdigen Vorhaben sowie optimierte Voraussetzungen in wärme-, klima- und energietechnischer Hinsicht vorgesehen.
Für bestimmte privilegierte Änderungsmaßnahmen, wie etwa
die bislang nur einstimmig oder auf dem Ersatzweg durch richterlichen Beschluss durchgesetzt werden konnten, soll fortan eine Zustimmungsfiktion gelten. Die Zustimmung eines Wohnungseigentümers für die im künftigen § 16 Abs 5 WEG explizit genannten Änderungen gilt als erteilt, wenn nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Verständigung widersprochen wird. In der Verständigung müssen die geplanten Änderungen klar und verständlich beschrieben und die Rechtsfolgen des Unterbleibens des Widerspruches genannt werden. Jedoch soll ein Wohnungseigentümer trotz unterlassenem Widerspruch nicht gezwungen sein, eine durch die Änderung verursachte für ihn „wesentliche und dauernde Beeinträchtigung“ seines Wohnungseigentumsrechts zu dulden. Was konkret unter einer „wesentlichen und dauernden Beeinträchtigung“ zu verstehen ist, bedarf allerdings noch der richterlichen Auslegung. Der Gesetzgeber geht grundsätzlich nicht davon aus, dass bei den privilegierten Maßnahmen derartige Beeinträchtigungen vorliegen werden.
Die Novelle sieht weiters vor, dass Einzelladestationen einer späteren Inbetriebnahme einer gemeinsamen Ladeinfrastruktur der Eigentümergemeinschaft für eine größere Anzahl an E-Fahrzeugen nicht im Weg stehen. Beschließt die Eigentümergemeinschaft die Errichtung einer gemeinsamen Ladeanlage, so kann sie die Unterlassung der Nutzung der Einzelladestation verlangen, wenn die elektrische Versorgung der Liegenschaft durch eine Beteiligung an der gemeinsamen Anlage besser genutzt werden kann. Um die Rechte des Einzelnen nicht zu sehr einzuschränken, soll die Unterlassungspflicht frühestens fünf Jahre nach Errichtung der Einzelladestation eintreten.
Eine für die Praxis spannende Modifikation betrifft die Erleichterung der Willensbildung der Eigentümergemeinschaft für Mehrheitsbeschlüsse gemäß § 24 Abs 4 WEG. Neben die bisherige Regelung, wonach für die Mehrheit der Stimmen der Wohnungseigentümer die Mehrheit aller Miteigentumsanteile erforderlich ist (daher zählten nicht abgegebene Stimmen bisher wie Nein-Stimmen), tritt nun eine zweite Variante: Für einen wirksamen Mehrheitsbeschluss soll nun auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen (nach Miteigentumsanteilen) ausreichend sein, sofern diese Mehrheit zumindest einem Drittel aller Miteigentumsanteile entspricht. Künftig ist bei Unterbreiten eines Beschlussvorschlags zu informieren, dass ein auch mehrheitliches Unterbleiben der Stimmabgabe eine wirksame Beschlussfassung nicht jedenfalls verhindert. Durch diese Novellierung haben fortan Wohnungseigentümer, die sich nicht an Abstimmungen beteiligen, eine weniger bremsende Wirkung als bisher, da ihre Stimmen nicht zwingend wie Nein-Stimmen zu werten sind. Dies ist insbesondere im Bereich der außerordentlichen Verwaltung von Relevanz, da hier eine Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft unumgänglich ist. Schließlich soll auch eine Teilnahme an Eigentümerversammlungen per Videokonferenz gesetzlich ermöglicht werden.
Um Beschlussfassungen weiter zu erleichtern, ist in der Novelle eine Auskunftspflicht des Verwalters hinsichtlich Namen und Zustelladressen der Wohnungseigentümer vorgesehen. Damit soll die Kontaktaufnahme bei Änderungsvorhaben durch einzelne Wohnungseigentümer effizienter ermöglicht werden.
Um die Dekarbonisierung und Reduzierung des Energiebedarfes in Gebäuden voranzutreiben, soll die Bestimmung zur Bildung einer angemessenen Mindestrücklage reformiert werden. Bei deren Festsetzung soll künftig auch auf anstehende Aufwendungen zur thermischen Sanierung und energietechnischen Verbesserung Bedacht genommen werden. Die Novelle sieht eine Mindestdotierung der Rücklage vor, die sich an dem im Mietrechtsgesetz (MRG) normierten Kategoriebetrag von Wohnungen der Ausstattungskategorie D orientiert. Dieser beträgt gemäß § 15a Abs 3 Z 4 MRG aktuell EUR 0,90 je m² Nutzfläche. Die Unterschreitung der Mindestdotierung ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wie wegen des besonderen Ausmaßes der bereits vorhandenen Rücklage oder einer erst kurz zurückliegenden durchgreifenden Sanierung des Gebäudes.
In Zukunft sollen die Wohnungseigentümer bei anstehenden größeren Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten ein Wahlrecht haben, ob sie diese Arbeiten mit einem Kredit oder aus Eigenmittel bezahlen. Die Aufwendungen für die Kreditfinanzierung sind dann ausschließlich durch jene Wohnungseigentümer zu tragen, die mittels Kredit finanzieren.
Mitte August ging die Begutachtung des Ministerialentwurfes zur WEG-Novelle samt Expertengespräche im Justizministerium zu Ende. Die parlamentarische Beschlussfassung soll noch im Herbst erfolgen, sodass die Novelle mit 1. Jänner 2022 in Kraft treten kann. Es bleibt abzuwarten, wie sehr die Novelle zur Erreichung der klimapolitischen Ziele beiträgt. Allerdings sind die geplanten Erleichterungen für den einzelnen Wohnungseigentümer als erfreulich anzusehen.
Gabriele Etzl ist Partnerin bei Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte (JWO), dem österreichischen Mitglied des globalen Anwaltsnetzwerkes Deloitte Legal, und leitet die Praxisgruppe Real Estate. Zuvor war sie 14 Jahre lang Partnerin im Immobilienbereich einer der größten Anwaltskanzleien Österreichs. Sie ist Expertin für Immobilienrecht mit dem Schwerpunkt nationale und internationale Immobilientransaktionen, Immobilienfinanzierung, Immobilienrestrukturierung, gewerbliches und privates Miet- und Wohnrecht, Bauträgervertragsrecht, sowie öffentliches Immobilienrecht. Sie spricht fließend Deutsch und Englisch und verfügt über Grundkenntnisse der spanischen und französischen Sprache. Gabriele Etzl ist Lehrbeauftragte für Immobilienrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Wien und Autorin mehrerer immobilienbezogener Publikationen, insbesondere auch zu Immobilienrecht und Immobilienfinanzierungen in Österreich und CEE.
Kevin Nager ist Rechtsanwaltsanwärter bei Jank Weiler Operenyi RA | Deloitte Legal, der österreichischen Rechtsanwaltskanzlei im globalen Deloitte Legal Netzwerk. Seine Tätigkeitsschwerkpunkte liegen vor allem im Bereich Real Estate und Real Estate Finance.