Posted: 20 Jan. 2021 6 min. read

WANN SIND KÜNDIGUNGEN DEM AMS ZU MELDEN?

Der OGH hat in zwei im Herbst 2020 ergangenen Entscheidungen zu GZ 9 ObA 74/20b und 8 ObA 83/20v Klarstellungen zu den das gesetzliche Frühwarnsystem nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) auslösenden Faktoren getroffen. Dabei muss die Meldung von beabsichtigten Kündigungen an die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) nicht immer für alle von ein und demselben Kündigungsvorgang betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten.
 

Frühwarnsystem

Nach § 45a Abs 1 AMFG haben Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben das AMS zu verständigen, wenn sie beabsichtigen Arbeitsverhältnisse

  • von mindestens fünf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Betrieben mit mehr als 20 und weniger als 100 Beschäftigten (Z 1) oder

  • von mindestens 5 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betrieben mit 100 bis 600 Beschäftigten (Z 2) oder

  • von mindestens 30 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Betrieben mit mehr als 600 Beschäftigten (Z 3) oder

  • von mindestens fünf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet haben (Z 4),

innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen aufzulösen.

Die entsprechende Meldung ist mindestens 30 Tage vor der ersten Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zu erstatten. Werden bestehende Meldepflichten nicht eingehalten, sind die dennoch ausgesprochenen Kündigungen unwirksam (§ 45a Abs 5 AMFG).


Rechtsprechung

In den dargestellten Gerichtsverfahren war jeweils der Tatbestand des § 45a Abs 1 Z 4 AMFG relevant, zumal vom Kündigungsvorgang unter anderen auch Arbeitnehmer betroffen waren, die das 50. Lebensjahr bereits vollendet hatten.

Ein Unternehmen, das am 30.09.2019 rund 300 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigte, löste an diesem Tag insgesamt 10 Arbeitsverhältnisse auf, ohne diesen Vorgang dem AMS anzuzeigen. Sieben Arbeitskräfte deren Arbeitsverhältnisse aufgelöst wurden, hatten zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung das 50. Lebensjahr bereits vollendet. Auf die restlichen drei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer traf dies nicht zu. Hiervon klagten zwei ihren Arbeitgeber in weiterer Folge auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, weil die Anzeigeverpflichtung nicht eingehalten worden sei.

In beiden Verfahren urteilte der OGH, dass diese im konkreten Fall vom Kündigungsschutz nach dem AMFG nicht erfasst sind. Nach den Ausführungen des OGH dient das Frühwarnsystem dazu, eine bessere Abstimmung der personalpolitischen Maßnahmen der Betriebe auf die arbeitsmarktpolitischen Verpflichtungen und Voraussetzungen für einen optimalen Einsatz des Instrumentariums nach dem AMFG zu schaffen. Schutzobjekt ist nicht primär die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer, sondern vielmehr das AMS. Durch das Implementieren des Frühwarnsystems soll das AMS in die Lage versetzt werden, frühzeitig durch Einleitung geeigneter Maßnahmen die beabsichtigte Kündigung zu verhindern oder zumindest die Vorbereitung für die Erfassung und Betreuung dieser zusätzlich am Arbeitsmarkt als arbeitssuchend auftretenden Personen zu treffen.

Die gleichzeitige Kündigung von jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und solchen, die das 50. Lebensjahr bereits vollendet haben, löst das Frühwarnsystem für die jüngeren Arbeitskräfte nicht aus, sofern die Anzahl der Kündigungen die Schwellenwerte nach § 45a Abs 1 Z 1 bis 3 AMFG nicht  erreicht. Eine Ausdehnung der Rechtsfolge des § 45a Abs 5 AMFG auf alle im selben Zeitraum mit einer anzeigepflichtigen Massenkündigung nach § 45a Abs 1 Z 4 AMFG ausgesprochenen Kündigungen, unabhängig vom Alter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, findet im Wortlaut des Gesetzes keine Deckung. Das Frühwarnsystem des AMFG kann nur bei Erreichen der gesetzlich normierten Schwellenwerte oder bei Kündigung von mindestens fünf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung das 50. Lebensjahr bereits beendet haben, ausgelöst werden.
 

Fazit

Der OGH hat mit diesen Entscheidungen klargestellt, dass sich der Kündigungsschutz nach dem  des § 45a Abs 1 Z 4 AMFG bei gleichzeitiger Kündigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die über und unter 50 Jahren alt sind, nicht automatisch auf alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erstreckt. Vielmehr können sich nur jene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer  auf die Anzeigepflicht nach § 45a Abs 1 Z 4 AMFG berufen, die im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung das 50. Lebensjahr bereits vollendet haben. Hinsichtlich der übrigen jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnhmer muss einer  der übrigen zuvor angeführtenüssen die Schwellenwerte des § 45 Abs 1 Z 1 bis 3 AMFG erfüllt sein.
 

Praxis

Eine Zusammenrechnung von Auflösungen hinsichtlich der Tatbestandvoraussetzungen des in § 45a AMFG normierten Frühwarnsystems bei Kündigungen hat daher stets differenziert zu erfolgen. Um im Fall geplanter Kündigungen keine Schwellenwerte und potentiellen Anzeigepflichten zu übersehen, empfiehlt es sich daher rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen, um als Arbeitgeber die Gefahr nachträglicher kostenintensiver Gerichtsverfahren zu verhindern. Unsere Arbeitsrechtsexpertinnen und Arbeitsrechtsexperten von Deloitte Legal unterstützen Sie hierbei sehr gerne.


Ihr Kontakt

Dr. Stefan Zischka

Dr. Stefan Zischka

Deloitte Legal | Jank Weiler Operenyi RA

Stefan Zischka ist Partner und leitet den Fachbereich Arbeitsrecht bei Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte (JWO), dem österreichischen Mitglied des globalen Anwaltsnetzwerkes Deloitte Legal. Seine Tätigkeitsschwerpunkte umfassen die Bereiche Arbeits- und Sozialrecht sowie Zivilprozessrecht (Litigation). Im Jahr 2017 schloss er sich JWO als Partner an. Vor JWO war Stefan Zischka als Rechtsanwalt in einer der größten Rechtsanwaltkanzleien Österreichs (CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte) und als Legal Counsel in der Erste Bank tätig.