Posted: 17 Nov. 2022 6 min. read

VwGH zur Verfügungsmacht als Voraussetzung der Betriebsstättenbegründung – Auswirkungen auf die Homeoffice-Betriebsstätte?

Überblick

 

In seiner Entscheidung vom 22.6.2022, Ro 2020/13/0004-7, betonte der VwGH, dass die Möglichkeit der Benutzung eines Schreibtisches in Büroräumlichkeiten eines anderen Steuerpflichtigen nicht ausreichend ist, um die Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung – und damit die Begründung einer Betriebsstätte – zu bejahen. In der Literatur wurde diese Aussage des VwGH als „Absage an das Gespenst der Homeoffice-Betriebsstätte“ verstanden. In der Tat liefert die Entscheidung noch einen weiteren Grund dafür, die – in der Literatur bereits zuvor überwiegend abgelehnte –Betriebsstättenbegründung durch eine Tätigkeit im Homeoffice kritisch zu sehen. Ob durch die Entscheidung allerdings tatsächlich ein Umdenken in der Betriebsprüfungspraxis stattfinden wird, ist fraglich. Solange das BMF nicht eine Abkehr von seiner bisher vertretenen Meinung erkennen lässt, gilt es weiterhin in jedem Einzelfall zu prüfen, ob das steuerliche Risiko einer Betriebsstättenbegründung durch eine Tätigkeit im Homeoffice besteht.

 

Sachverhalt

 

Eine in Ungarn ansässige Person war als Dolmetscherin tätig und bat Sprachdienstleistungen vorwiegend an ungarische Staatsbürger an, die in Österreich ihren Mittelpunkt der Lebensinteressen hatten (zB Dolmetschen bei einem Amtsbesuch in Österreich). Am Standort einer ihrer Auftraggeber konnte sie einen Schreibtisch für Übersetzungstätigkeiten (mit)benutzen. Insgesamt hielt sich die Dolmetscherin zur Erbringung ihrer Geschäftstätigkeit aber nur geringfügig in diesen Räumlichkeiten auf (täglich ein bis zwei Stunden). Eine jederzeitige Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten des Auftraggebers – bspw. Zutritt mit eigenem Schlüssel auch außerhalb der Betriebszeiten – wurde von der Dolmetscherin weder behauptet noch glaubhaft gemacht.

Das Finanzamt lehnte entsprechende Anträge der Dolmetscherin auf Veranlagung zur Einkommensteuer mit der Begründung ab, dass eine Betriebsstätte in Österreich nicht vorliege (Anm: weshalb die Dolmetscherin ein Interesse an einer Betriebsstättenbegründung in Österreich hatte, ist aus den Gerichtsentscheidungen nicht ergründbar). Die gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde wurde vom BFG aus demselben Grund – Nichtvorliegen einer Betriebsstätte – als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig ließ das BFG die ordentliche Revision an den VwGH mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung betreffend die Voraussetzungen für Betriebsstätten einer Dolmetscherin zu.

 

Entscheidung des VwGH

 

Der VwGH wies die erhobene ordentliche Revision mittels Beschluss als unzulässig zurück. Er betonte, dass gegenständlich sehr wohl höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege, wonach zu den „Voraussetzungen für das Vorliegen einer Betriebsstätte […] u.a. die Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen über die für die unternehmerische Tätigkeit genutzten Räumlichkeiten [gehört]. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist die Möglichkeit der Mitbenutzung eines Schreibtisches in Büroräumlichkeiten eines anderen Steuerpflichtigen nicht ausreichend, um die Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung zu bejahen“.

 

Fazit

 

Nach Ansicht des BMF kann ein:e Arbeitnehmer:in dem:der Arbeitgeber:in durch die Ausübung einer Tätigkeit im Homeoffice die faktische Verfügungsmacht über dessen Wohnung verschaffen, sodass durch die Homeoffice-Tätigkeit eine Betriebsstätte begründet werden kann. In der Literatur wird die gegenständliche Entscheidung des VwGH nun dahingehend interpretiert, dass eine entsprechende Verfügungsmacht des Arbeitgebers über die Räumlichkeiten, die der Arbeitnehmer zur Ausübung seiner Tätigkeit im Homeoffice verwendet, regelmäßig nicht vorliege. Folglich werde auch keine Betriebsstätte begründet. Argumentiert wird anhand eines Größenschlusses: „Wenn der VwGH schon bei einer bloßen Mitbenutzungsmöglichkeit das Vorliegen von Verfügungsmacht verneint, vermag ein Homeoffice […] das Tatbestandsmerkmal der Verfügungsmacht kaum zu erfüllen. Denn dass dem Arbeitgeber an den privaten Räumlichkeiten des Arbeitnehmers mehr als eine bloße Mitbenutzungsmöglichkeit zukommt, wäre nur bei Wohnräumen denkbar, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber lediglich zur Ausübung von Heimarbeit (etwa eine Dienstwohnung) zur Verfügung gestellt werden“. Selbst wenn diese Argumentation überzeugend ist, bleibt in der Praxis abzuwarten, ob das BMF von seiner bisher vertretenen Rechtsauffassung zur Betriebsstättenbegründung durch eine Homeoffice-Tätigkeit abkehren wird. Eine diesbezügliche Klarstellung durch das BMF ist höchst wünschenswert. Solange das nicht der Fall ist, ist weiterhin in jedem Einzelfall zu prüfen, ob das steuerliche Risiko einer Betriebsstättenbegründung durch eine Tätigkeit im Homeoffice besteht. Deloitte unterstützt Sie gerne bei der Vornahme einer entsprechenden Risikoanalyse.

 

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Dr. Florian Navisotschnigg, BSc (WU)

Dr. Florian Navisotschnigg, BSc (WU)

Senior Consultant Steuerberatung | Deloitte Österreich

Florian Navisotschnigg ist in der Steuerberatung im Transfer Pricing Team bei Deloitte Wien beschäftigt. Dabei berät er multinationale Unternehmen bei verrechnungspreisspezifischen Fragestellungen.

Wolfgang Prehal, MA

Wolfgang Prehal, MA

Senior Consultant Steuerberatung | Deloitte Österreich

Wolfgang Prehal ist Steuerberater bei Deloitte Wien. Sein Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der laufenden steuerlichen Beratung nationaler und internationaler Unternehmen und Konzernen. Als Teil des Verrechnungspreis Teams unterstützt er zudem in der Beratung von multinational agierenden österreichischen Unternehmen und österreichischen Geschäftseinheiten ausländischer Unternehmensgruppen.