Posted: 18 Aug. 2022 6 min. read

EuGH: Altersrente - Kindererziehungszeiten innerhalb der EU

Überblick

Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, welches durch den OGH initiiert wurde, beschäftigte sich der EuGH in der Rs C-576/20 „CC v Pensionsversicherungsanstalt“ vom 7.7.2022 mit der Frage, ob in anderen EU-Mitgliedstaaten zurückgelegte Kindererziehungszeiten bei der Berechnung der Altersrente in Österreich zu berücksichtigen sind. Dabei hatte sich der Gerichtshof im Wesentlichen mit der Auslegung der unionsrechtlichen Vorschrift des Art 44 Abs 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 zu befassen, welche die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten regelt. Diesbezüglich diskutierte der Gerichtshof auch das grundlegende Ziel der betreffenden Bestimmung, nämlich die Freizügigkeit nach Art 21 AEUV zu wahren.

Sachverhalt

CC war jahrelang in Österreich selbständig erwerbstätig. Im Jahr 1987 zog sie nach Belgien, wo sie zwei Kinder zur Welt brachte. Im Jahr 1991 zog sie mit ihren Kindern nach Ungarn. Ab der Geburt ihres ersten Kindes widmete sie sich ausschließlich der Erziehung ihrer Kinder. CC war weder in Belgien noch in Ungarn erwerbstätig. Sie erwarb weder Versicherungszeiten außerhalb von Österreich noch bezog sie Leistungen für ihre Erziehung.

Im Jahr 1993 zog CC zurück nach Österreich, wo sie sich zunächst weiterhin der Kindererziehung widmete und anschließend bis zum Eintritt in den Ruhestand selbständig erwerbstätig war. In Österreich unterlag sie der Pflichtversicherung und entrichtete Beiträge zum österreichischen Sozialversicherungssystem. CC beantragte im Jahr 2017 anlässlich ihres Ruhestands bei der österreichischen PVA eine Altersrente. In dem darauf ergangenen Bescheid berücksichtigte die PVA die in Österreich zurückgelegten Kindererziehungszeiten, jene, die in Belgien und Ungarn zurückgelegt wurden, hingegen nicht. Diesen Bescheid focht CC an. Nachdem ihre Berufung zurückgewiesen wurde, legte sie Revision beim OGH ein.

Der OGH hatte Zweifel daran, ob in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegte Kindererziehungszeiten bei der Berechnung der Altersrente zu berücksichtigen sind. Aufgrund dessen hat er den EuGH um Auslegung der Bestimmung des Art 44 Abs 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 ersucht. Sein Vorabentscheidungsversuchen begründete der OGH damit, dass nicht ausgeschlossen sei, dass die betreffende Bestimmung die Voraussetzungen für eine solche Berücksichtigung abschließend vorsehe. CC erfülle nämlich die Voraussetzungen der Bestimmung nicht, da sie zum Zeitpunkt, zu dem die Kindererziehung begonnen hatte, keine Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit in Österreich ausgeübt hatte. Der OGH ersuchte um Beantwortung der Frage, ob, wie in dem vergleichbaren Sachverhalt des Urteils „Reichel-Albert“, im Falle einer nicht abschließenden Regelung die Zeiträume dennoch nach Art 21 AEUV berücksichtigt werden müssten.

Entscheidung des EuGH

Zunächst hält der Gerichtshof fest, dass Art 44 der VO (EG) Nr. 987/2009 in Anbetracht seines Wortlautes, des Zusammenhangs, in den er sich einfügt, und der Ziele, die mit der Regelung, zu der er gehört, verfolgt werden, auszulegen ist. Jede dieser Interpretationsmethoden unterstützt die Auslegung dahingehend, dass die Bestimmung die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten, die ein und dieselbe Person in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegt hat, nicht abschließend regelt. Es handelt sich vielmehr um eine zusätzliche Regelung, welche die Wahrscheinlichkeit der vollständigen Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten erhöht. Eine gegenteilige Auslegung liefe darauf hinaus, dass der rentenzahlungspflichtige Mitgliedstaat die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten, die diese Person in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt hat, verweigern und diese folglich benachteiligen könnte, nur weil sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat. Dies liefe den der Verordnung zugrunde liegenden Zielen, besonders jenem der Beachtung des Grundsatzes der Freizügigkeit, entgegen.

Weiters führt der Gerichtshof aus, dass die Erkenntnisse aus dem Urteil Reichel-Albert auf einen Fall wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden übertragbar sind. Der rentenzahlungspflichtige Mitgliedstaat ist folglich verpflichtet, zurückgelegte Kindererziehungszeiten bei der Gewährung einer Altersrente zu berücksichtigen. Dies unter der Prämisse, dass die betroffene Person sowohl vor als auch nach Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat ausschließlich im rentenzahlungspflichtigen Mitgliedstaat gearbeitet und Beiträge entrichtet hat.

Wenn CC Österreich nicht verlassen hätte, wären ihre Kindererziehungszeiten bei der Berechnung ihrer österreichischen Altersrente berücksichtigt worden. Folglich ist CC wie die betroffene Person in der Rechtssache, in der das Urteil Reichel-Albert ergangen ist, nur deshalb benachteiligt, weil sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Dies ist ein Verstoß gegen Art 21 AEUV. Der rentenzahlungspflichtige Mitgliedstaat ist damit verpflichtet, die Zeiten der Kindererziehung in anderen Mitgliedstaaten gemäß Art 21 AEUV für die Gewährung der Altersrente zu berücksichtigen.

Fazit

Zusammengefasst hat der EuGH im vorliegenden Fall seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach der rentenzahlungspflichtige Mitgliedstaat, in dem Begünstigte sowohl vor als auch nach der Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat, in dem sie sich der Erziehung ihrer Kinder gewidmet haben, ausschließlich gearbeitet und Beiträge entrichtet haben, diese Kindererziehungszeiten berücksichtigen muss. Vor dem Hintergrund des Rechts auf Freizügigkeit des Art 21 AEUV überzeugt diese Auslegung der betroffenen Bestimmung, andernfalls das Recht, sich in einem anderen Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, beeinträchtigt werden würde. Dies würde folglich zu einer Ungleichbehandlung führen, die den Grundsätzen widerspricht, auf denen der Status von Unionsbürgern:Unionsbürgerinnen bei der Ausübung ihrer Freizügigkeit beruht. 


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Nicole Schönfellner, LL.M. (WU)

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Consultant Steuerberatung | Deloitte Österreich

Nicole Schönfellner ist als Consultant in der Steuerberatung bei Deloitte Wien tätig. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Beratung iZm dem internationalen Einsatz von Mitarbeitern.

Mag. Arnold Binder

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Arnold Binder ist Partner in der Steuerberatung und Experte für Auslandsentsendungen sowie Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Compliance. Er ist mit zunehmender Spezialisierung im Bereich Global Employer Services tätig, wo er sich verstärkt den digitalen Potenzialen annimmt.