Posted: 27 Oct. 2022 7 min. read

Indexierte Familienbeihilfe: Änderung des FLAG

Ausgangslage

 

Seit 1.1.2019 wurden in Österreich die Familienbeihilfe sowie der Kinderabsetzbetrag (als Familienleistungen) derart angepasst, als diese dem allgemeinen Preisniveau der EU, EWR oder der Schweiz entsprachen, in dem sich das Kind der bzw des Familienbeihilfeberechtigten ständig aufhält. Weiters wurden der Familienbonus Plus sowie der Unterhalts-, Alleinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrag entsprechend indexiert. Die EU-Kommission war der Ansicht, dass diese Indexierung gegen das Unionsrecht verstoße. Daher erhob sie beim EuGH eine Vertragsverletzungsklage gegen Österreich. Nachdem sich der EuGH der Ansicht der EU-Kommission anschloss, wurde nunmehr mittels einer Änderung des FLAG die indexierte Familienbeihilfe rückwirkend abgeschafft.

 

Unionsrecht und bisheriges österreichisches Recht im Überblick

 

Das Unionsrecht sieht in vielen Bestimmungen vor, dass jegliche Diskriminierungen aus den nationalen Rechtsvorschriften beseitigt werden. Hinsichtlich von EU-Bürgern dürfen keine Leistungen (auch nicht die Ansprüche der sozialen Sicherheit) von ihrem Wohnort oder von der Staatsbürgerschaft abhängig gemacht werden. Dabei spielt der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung eine zentrale Rolle. Zur Gewährleistung der sozialen Sicherheit wird in den EU-Rechtsvorschriften einerseits der Begriff der „Familienleistungen“ definiert und andererseits die Aufhebung der sogenannten Wohnortklausel auch auf die Familienangehörigen des Anspruchsberechtigten erstreckt. Insbesondere wird der Schutz der Wanderarbeitnehmer:innen vor der unmittelbaren und vor allen Formen der mittelbaren Diskriminierung gesichert. Sämtliche Begünstigungen werden nicht nur auf soziale, sondern auch auf steuerliche Vergünstigungen erstreckt.

Gemäß den österreichischen Rechtsvorschriften sind Ansprüche auf jene Leistungen, die den Familienlastenausgleich herbeiführen sollen (die Familienbeihilfe), zunächst vom Wohnsitz bzw dem gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich abhängig. Das heißt, dass Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten, grundsätzlich keinen (gleichwertigen) Anspruch auf diese Leistungen vermitteln würden; wie die ständig im Bundesgebiet wohnenden Kinder. Von der österreichischen Sozialversicherung umfasste Arbeitnehmer:innen haben basierend auf den unionsrechtlichen Vorschriften und der Qualifikation der Familienbeihilfe als Familienleistung jedoch auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf die österreichischen Familienleistungen, als ob diese Familienangehörigen in Österreich wohnen würden. Steuerliche Vergünstigungen, wie der Familienbonus Plus, der Kinderabsetzbetrag, der Alleinverdienerabsetzbetrag, der Alleinerzieherabsetzbetrag sowie der Unterhaltsabsetzbetrag werden nach den österreichischen Vorschriften ebenso aufgrund des Anspruches auf Familienbeihilfe gewährt.

 

Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich

 

Bereits kurze Zeit nach dem Inkrafttreten der Indexierung äußerte die EU-Kommission gegenüber der Republik Österreich ihre Bedenken zum eingeführten Anpassungsmechanismus.

Zum einen brachte die Kommission vor, dass nach den österreichischen Rechtsvorschriften kein Zusammenhang zwischen der Höhe der Familienbeihilfe samt damit zusammenhängendem Kinderabsetzbetrag und dem sozialen Umfeld und damit verbundenen Kosten für den Unterhalt des Kindes bestehe. Die Höhe der Familienbeihilfe würde lediglich dem Alter des Kindes angepasst. Daher dürften keine Anpassungen der Höhe nach unternommen werden, nur weil Familienangehörige des/der Arbeitnehmer:in in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Diese Leistungen unterlägen der allgemeinen Regel der so genannten „Aufhebung der Wohnortklauseln“. Anderenfalls würden EU-Bürger, insbesondere Wanderarbeitnehmer:Innen, in ihrem Recht auf Freizügigkeit verletzt.

Zum anderen monierte die Kommission die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, indem die Anpassung der österreichischen Familienleistung vom Wohnort des Kindes abhängig gemacht wird. Die Kommission vertrat die Auffassung, dass die Anpassung der oben genannten Leistungen insbesondere Wanderarbeitnehmer:innen beträfe, deren Familienangehörige sich außerhalb der Mitgliedsstaaten aufhalten, in dem die Leistungen erbracht werden. Als Begründung, die Familienbeihilfe basierend auf dem Preisniveau des Wohnsitzstaates der Kinder anzupassen, führte die Republik Österreich Verzerrungen im Leistungssystem an. Diese Begründung ließ die Kommission jedoch nicht gelten, da die Fälle, die durch die Anpassung betroffen sind, lediglich 6% der gesamten Familienleistungen darstellen. Nach Ansicht der Kommission mangelte es vielmehr an entsprechenden Kontrollen für die Gewährung der Leistungen durch die österreichischen Behörden.

Neben der offenkundigen Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet das EU-Recht auch weitere verstecke Formen der Diskriminierung. Dies würde im vorliegenden Fall zutreffen, da die Indexierung überwiegend Wanderarbeitnehmer:innen betrifft. Die Republik Österreich unternahm den Versuch, diese Bedenken zu beseitigen, indem sie ua auf die im Unionsrecht bereits existenten vergleichbaren Anpassungsmechanismen hinwies.

In seinem Schlussantrag stimmte Generalanwalt de la Tour der Auffassung der Kommission zu. Auch aus seiner Sicht verletze die Anpassung der Familienbeihilfe bzw der damit verbundenen steuerlichen Begünstigungen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung. Nach diesem Grundsatz gebühre den Personen, die nicht in dem Beschäftigungsmitgliedsstaat wohnen, die gleichen Rechte und Pflichten wie den Staatsangehörigen dieses Staates. Weiters bestätigt der Generalanwalt den Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer:innen innerhalb der EU. Wanderarbeitnehmer:innen aus anderen EU-Staaten tragen in gleicher Weise zur Finanzierung des österreichischen Sozial- und Steuersystems bei wie österreichische Arbeitnehmer:innen. Der ständige Aufenthaltsort des Kindes dürfe keine Rolle spielen und keinen Grund für diese Diskriminierung darstellen. Letztendlich seien die angeführten Rechtfertigungsgründe, die eine solche Diskriminierung zulassen würden, nicht zulässig. Den Arbeitnehmer:innen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten stünden - unabhängig vom Aufenthaltsort ihrer Kinder - in Österreich somit die gleichen Ansprüche auf Familienleistungen zu wie österreichischen Arbeitnehmer:innen.

Der EuGH teilte die Auffassung der Kommission und des Generalanwalts. Mit Urteil vom 16.6.2022 wurde die Unionsrechtswidrigkeit der Indexierung der Familienbeihilfe, des Familienbonus Plus und weiterer damit verbundener familienbezogener Absetzbeträge bestätigt.

 

Rückwirkende Änderung des FLAG

 

Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH wurden vom österreichischen Gesetzgeber die gesetzlichen Grundlagen für die Nachzahlungen an Familienbeihilfe geschaffen. Hinsichtlich jener Staaten, die geringere Lebenshaltungskosten aufweisen als Österreich, ist grundsätzlich eine amtswegige Nachzahlung der Familienbeihilfenbeträge vorgesehen. Gleichzeitig soll hinsichtlich der Staaten mit höheren Lebenserhaltungskosten eine Rückforderung der überhöhten Familienbeihilfenbeträge jedoch nicht stattfinden.

 

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Mag. Arnold Binder

Mag. Arnold Binder

Partner Steuerberatung | Deloitte Österreich

Arnold Binder ist Partner in der Steuerberatung und Experte für Auslandsentsendungen sowie Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Compliance. Er ist mit zunehmender Spezialisierung im Bereich Global Employer Services tätig, wo er sich verstärkt den digitalen Potenzialen annimmt.

Mag. Aziza Avizova, LLB.oec

Mag. Aziza Avizova, LLB.oec

Senior Consultant Steuerberatung | Deloitte Österreich

Aziza Avizova ist als Senior Consultant in der Steuerberatung bei Deloitte Wien tätig. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Beratung iZm dem internationalen Einsatz von Mitarbeitern.