Am 14.3.2023 hat die europäische Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts (Regulation on Wholesale Energy Market Integrity and Transparency; REMIT) veröffentlicht. Mit dieser Änderung soll – in Reaktion auf den europaweiten Anstieg der Energiepreise in den Jahren 2021 und 2022 – (besser) gewährleistet werden, dass „Preise ein faires und kompetitives Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage abbilden und kein Gewinn aus Markmissbrauch gezogen werden kann.“
Die REMIT verbietet Insider-Handel und Marktmanipulation auf dem „Energiegroßhandelsmarkt“, also jedem Markt in der Union, auf dem „Energiegroßhandelsprodukte“ gehandelt werden. Diese Produkte umfassen (i) Verträge für die Versorgung (von Händlern) mit Strom oder Erdgas, deren Lieferung in der Union erfolgt, (ii) Derivate auf Strom oder Erdgas, der/das in der Union erzeugt, gehandelt oder geliefert wurde, (iii) Verträge, die den Transport von Strom oder Erdgas in der Union betreffen, sowie (iv) Derivate auf den Transport von Strom oder Erdgas in der Union. Die REMIT sieht auch die Pflicht von Marktteilnehmern auf dem Energiegroßhandelsmarkt vor, Transaktionsdaten an den europäischen Energieregulator ACER zu melden und sich (als Marktteilnehmer) in einer Datenbank zu registrieren.
Aufgrund der immer enger werdenden Verflechtung zwischen den Finanz- und Energiemärkten schlägt die Kommission vor, die Definition von „Markmanipulation“ und „Insider-Information“ an die entsprechenden Definitionen der – für Finanzinstrumente geltenden – Marktmissbrauchsrichtlinie (Market Abuse Regulation; MAR) anzugleichen. So soll zB die Definition von Marktmanipulation so erweitert werden, dass sie ausdrücklich auch die Erteilung falscher oder irreführender Informationen in Bezug auf Referenzwerte (benchmarks; zB Indizes) erfasst. Entsprechend der MAR soll nach dem Vorschlag der Kommission nun auch in der REMIT klargestellt werden, dass Insider-Handel auch durch die Stornierung oder Änderung eines bereits erteilten Auftrags verwirklicht werden kann.
Die Kommission schlägt weiters vor, ACER – zur Durchsetzung der Verbote des Insider-Handels und der Marktmanipulation – zu grenzüberschreitenden Ermittlungen in Kooperation mit nationalen Regulierungsbehörden (in Österreich: E-Control) zu ermächtigen. Dadurch soll die Rechtsdurchsetzung durch die nationalen Regulierungsbehörden unterstützt und ergänzt werden. In diesem Zusammenhang soll ACER auch mit eigenen Ermittlungsbefugnissen in den Mitgliedsstaaten ausgestattet werden (Anlageninspektionen; Aufforderung an „jegliche Person“ zur Bereitstellung von Informationen).
Der Vorschlag der Kommission zur Änderung der REMIT sieht weiters eine EU-weite Harmonisierung der Strafen für Verstöße gegen die REMIT vor. So sollen Verstöße juristischer Personen gegen die Verbote des Insider-Handels oder der Marktmanipulation mit einer Geldbuße von mindestens 15% des Gesamtumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahres bedroht werden. Das österreichische Recht (ElWOG 2010 bzw GWG 2011) sieht für derartige Verstöße juristischer Personen derzeit nur eine Verwaltungsstrafe von bis zu EUR 150.000 vor.
In den letzten Jahren hat die Verwendung von automatisierten Handelssystemen auch auf dem Energiegroßhandelsmarkt stark zugenommen. Nach dem Vorschlag der Kommission müssen Marktteilnehmer, die derartigen „algorithmischen Handel“ betreiben, effektive Systeme und geeignete Risikokontrollen einrichten, um sicherzustellen, dass ihre Handelssysteme über ausreichende Kapazität verfügen sowie angemessenen Handelsschwellen und -limits unterliegen und die Versendung irrtümlicher Handelsaufträge vermieden wird. Der Vorschlag sieht auch die Verpflichtung von Marktteilnehmern vor, den Betrieb algorithmischen Handels an ACER bzw die nationale Regulierungsbehörde zu melden und nachvollziehbare Aufzeichnungen zu diesem Handel zu führen und aufzubewahren.
Im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens müssen dem Vorschlag der Kommission das Europäische Parlament und der Rat zustimmen. Dieses Gesetzgebungsverfahren, im Zuge dessen es noch zu Änderungen kommen kann, wird voraussichtlich etwa 12 Monate dauern.
Der Vorschlag der Kommission ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur immer stärkeren Regulierung des Energiesektors. Die vorgeschlagene Änderung läuft auf eine deutliche Zunahme des Compliance-Aufwands von Energieunternehmen und eine Erhöhung ihres wirtschaftlichen Risikos im Falle von Verstößen gegen die REMIT hinaus.
Bernhard Köck ist Counsel bei Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte (JWO), dem österreichischen Mitglied des globalen Anwaltsnetzwerkes Deloitte Legal, und konzentriert sich auf die wirtschaftsbezogene Konfliktlösung (Commercial Litigation). Köck vertritt neben namhaften Mandanten aus dem Finanzsektor vor allem mittelständische Unternehmen in komplexen nationalen und internationalen Auseinandersetzungen. Die von ihm betreuten streitigen Verfahren berühren sämtliche Bereiche des Wirtschaftsrechts, insbesondere das Bankvertragsrecht, das Schadenersatz- und Gewährleistungsrecht, das Gesellschaftsrecht, das Vertriebsrecht und das Kartellrecht. Regelmäßig vertritt Köck Unternehmen auch (als Gläubiger) in Insolvenzen.