Posted: 10 Mar. 2023 3 min. read

EuGH: Missbräuchliche Klauseln in AGB können Schadenersatzanspruch von Unternehmern zur Gänze verhindern

Überblick

 

Infolge einer Vorlage des OGH zur Vorabentscheidung hat der EuGH ein für die österreichische Rechtsprechung bindendes Urteil zur Frage der Auswirkungen der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) gefällt (EuGH 8.12.2022, C-625/21). Demnach können sich Unternehmer:innen nach Wegfall einer missbräuchlichen Schadenersatzklausel in AGB nicht auf in ebendieser Klausel angeführte Regelungen des dispositiven Rechts berufen und auf dieser Grundlage Schadenersatz von Verbraucher:innen verlangen. Durch schlecht aufgesetzte AGB können Unternehmer:innen daher auch Ansprüche verlieren, die das dispositive Recht ansonsten gewähren würde.

 

Sachverhalt

 

Ein Verbraucher erwarb von der klagenden GmbH eine Einbauküche. Dem entsprechenden Kaufvertrag mit dem Verbraucher lagen die AGB der GmbH zugrunde. Eine Bestimmung in den AGB betreffend das Rücktrittsrecht des Käufers (= Verbraucher) sah vor, dass dem Verkäufer (= Unternehmer) im Falle eines unberechtigten Rücktritts des Käufers das Wahlrecht zukommt, entweder (i) pauschalen Schadenersatz in Höhe von 20% des Kaufpreises oder (ii) vollständigen Ersatz des verursachten Schadens zu verlangen. Es kam in weiterer Folge zum unberechtigten Rücktritt vom Kaufvertrag durch den Käufer, woraufhin der Verkäufer Klage auf Ersatz des ihm aufgrund des unberechtigten Rücktritts entstandenen Schadens einbrachte. Die entsprechende Klage stütze der Verkäufer nicht auf die strittige AGB-Klausel, sondern auf die entsprechende dispositive (also abdingbare) nationale Bestimmung des Zivilrechts, wonach der Verkäufer bei unberechtigtem Rücktritt Anspruch auf Ersatz des verursachten Schadens hat (wie auch in Punkt (ii) der strittigen AGB-Klausel vereinbart). Das Verfahren ging bis in die höchste Instanz und der OGH leitete ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH mit der Frage ein, ob die vom Verkäufer gewählte Vorgangsweise im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Richtlinie betreffend missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen stehe.

 

Entscheidung des EuGH

 

Vorab: Nach Ansicht des OGH und in Entsprechung seiner bisherigen Rechtsprechung stellt die erste Variante der strittigen AGB-Klausel (pauschaler Schadenersatz, siehe oben (i)) den missbräuchlichen Bestandteil der Klausel dar, während die zweite Variante (lediglich) die gesetzliche Schadenersatzbestimmung widerspiegelt (siehe oben (ii)).

Auf dieser Grundlage hat der EuGH festgestellt, dass die strittige AGB-Klausel insgesamt missbräuchlich ist, daher nicht teilbar und in ihrer Gesamtheit als nichtig erklärt werden muss, unabhängig davon, dass eine der in der Klausel vorgesehenen Varianten der dispositiven Schadenersatzbestimmung entspricht und daher per se nicht missbräuchlich sein kann. Eine solche Klausel begründet aber nach dem EuGH in ihrer Gesamtheit ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien zum Nachteil des Verbrauchers. Aufgrund dessen besteht gemäß EuGH kein Spielraum für eine „geltungserhaltende Klauselabgrenzung“ durch Teilung der Klausel in ihre zulässigen und unzulässigen Bestandteile.

Zudem bestätige der EuGH seine ständige Rechtsprechung, wonach eine ausnahmsweise Lückenfüllung durch dispositives nationales Recht lediglich auf jene Fälle beschränkt ist, in denen der Wegfall der Klausel zur Gesamtunwirksamkeit des Vertrages führt und mit besonders nachteiligen Folgen für den Verbraucher behaftet wäre. Die Anwendung des dispositiven Rechts scheidet daher aus, wenn der konkrete Vertrag trotz Wegfalls der Klausel aufrecht bleiben kann.

Dass der Verkäufer im gegenständlichen Fall seine Klage nicht auf die strittige AGB-Klausel stützte, sondern ausschließlich auf das (im Hinblick auf den zweiten Teil der strittigen AGB-Klausel insofern gleichlautende und ohne die Klausel anwendbare) dispositive Recht, ist nach Ansicht des EuGH unerheblich, da die in der Richtlinie vorgesehenen Folgen nicht von allfälligen prozessualen Entscheidungen und Taktiken des Verkäufers abhängen.

Aus der dargestellten Argumentation folgerte der EuGH zusammengefasst, dass ein:e Unternehmer:in bei Verwendung von missbräuchlichen Schadenersatzklauseln keine Entschädigung auf Grundlage des dispositiven Schadenersatzrechts verlangen kann, wenn der vom nationalen Recht gewährte dispositive Anspruch auch in der als missbräuchlich festgestellten AGB-Klausel enthalten ist; dies, obwohl die entsprechende dispositive nationale Regelung ohne Verwendung einer derartigen missbräuchlichen Klausel selbstverständlich zur Anwendung gekommen wäre.

 

Fazit

 

Unzulässige Bestimmungen in AGB können dazu führen, dass sich der:die Unternehmer:in bei Nichtigerklärung einer missbräuchlichen AGB-Klausel, die zusätzlich zu missbräuchlichen Bestimmungen auch gesetzliche dispositive Bestimmungen enthält, nicht auf diese gesetzliche Bestimmung berufen kann. Dadurch kann der – durchaus überraschende – Fall eintreten, dass ein:e Unternehmer:in infolge „ungeschickter“ AGB-Klauseln gesetzlich vorgesehene Ersatzansprüche gegenüber einem:r Verbraucher:in nicht geltend machen kann, obwohl die (dispositiven) gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt wären. Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass bei der Ausgestaltung von AGB besondere Sorgfalt an den Tag gelegt werden sollte.

 

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Dr. Maximilian Weiler

Dr. Maximilian Weiler

Deloitte Legal | Jank Weiler Operenyi RA

Maximilian Weiler ist Rechtsanwalt und Gründungspartner von Deloitte Legal / Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte, der österreichischen Rechtsanwaltskanzlei im globalen Deloitte Legal Netzwerk. Er leitet die Praxisgruppen Corporate sowie Private Clients und beschäftigt sich schwerpunktmäßig im Bereich Corporate/M&A sowie mit der nationalen und internationalen Rechtsberatung von Family Offices, Stiftungen und Private Clients/High Net Worth Individuals in sämtlichen Bereichen der Vermögensverwaltung, Vermögensnachfolge und bei der Strukturierung und Abwicklung strategischer Investments. Maximilian Weiler ist Autor zahlreicher Fachpublikationen und trägt an der Fachhochschule IMC Krems zu Wirtschaftsrecht vor.

Mag. Ella Peric

Mag. Ella Peric

Jank Weiler Operenyi RA | Deloitte Legal

Ella Peric ist Rechtsanwaltsanwärterin bei Jank Weiler Operenyi RA | Deloitte Legal und Mitglied des Praxisteams Corporate/M&A. Ihre Tätigkeitssschwerpunkte liegen in den Bereichen Gesellschaftsrecht und M&A.