Vorläufige Abgabenfestsetzungen konnten bisher nur aufgrund einer Ungewissheit im Tatsachenbereich erfolgen. Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2022 (AbgÄG 2022) wurde den Behörden die Möglichkeit eingeräumt, vorläufige Bescheide (somit auch Beschwerdevorentscheidungen) zu erlassen, wenn sich die Ungewissheit aufgrund einer noch ausstehenden Entscheidung einer Rechtsfrage in einem bereits anhängigen Beschwerdeverfahren desselben Abgabepflichtigen ergibt. In der Praxis konnte bereits wahrgenommen werden, dass es öfter zu vorläufigen Abgabenfestsetzungen (insb auch im Rechtsmittelverfahren) kommt und auch noch kommen wird. Im nachfolgenden Beitrag sollen die Besonderheiten, die bei vorläufigen Abgabenfestsetzungen zu beachten sind, zusammengefasst werden und die Auswirkungen der Gesetzesänderung für die Praxis beleuchtet werden.
Das Konzept, die Steuerschuld vorläufig festzusetzen, ist der österreichischen Rechtsordnung schon länger bekannt. Die Abgabenbehörde kann (im Ermessen) eine Abgabe mit Bescheid vorläufig festsetzen, wenn eine zeitlich bedingte Ungewissheit über das Bestehen bzw den Umfang der Abgabepflicht vorliegt (§ 200 BAO). Nach der bisherigen Rsp war es erforderlich, dass es sich um Ungewissheiten im Tatsachenbereich handeln muss, die durch ein Ermittlungsverfahren derzeit nicht beseitigt werden kann. Eine Ungewissheit in der Lösung einer Rechtsfrage berechtigte hingegen bisher zu keiner vorläufigen Festsetzung.
Ist die Ungewissheit beseitigt, so ist (verpflichtend) die vorläufige Abgabenfestsetzung durch eine endgültige zu ersetzen bzw hat eine Endgültigerklärung zu erfolgen. Dies kann jedoch, wie jede Abgabenfestsetzung, nur innerhalb der Grenzen der Verjährung erfolgen. Bei vorläufigen Bescheiden beginnt die Verjährung – abweichend von der Grundregel – mit Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde, zu laufen. Ebenso unterschiedlich zur Grundregel verjährt das Recht, eine vorläufige Abgabenfestsetzung durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen, spätestens fünfzehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (absolute Verjährung). Dabei ist allerdings zu beachten, dass nach der Rsp VwGH (20.5.2010, 2008/15/0328) die Verjährungsfrist im Falle einer rechtswidrigen vorläufigen Festsetzung (zB weil keine Ungewissheit vorgelegen ist) mit Ablauf des Jahres der – wenn auch rechtswidrigen – vorläufigen Festsetzung zu laufen beginnt.
Dieses Verjährungsregime von vorläufigen Bescheiden schlägt nach der Rsp des VwGH (21.10.2020, Ra 2019/15/0153) auch dann auf davon abgeleitete Bescheide über, wenn der abgeleitete Bescheid (zB ein von einem Feststellungsbescheid abgeleiteter Einkommensteuerbescheid) endgültig erlassen wurde. Ein vorläufig erlassener Feststellungsbescheid schlägt demnach auf die Verjährungsfrist des davon abgeleiteten Einkommensteuerbescheides durch.
Seit dem AbgÄG 2022 und der dadurch erfolgten Gesetzesänderung (des § 200 Abs 1 BAO) können Abgaben nicht nur bei Ungewissheiten im Tatsachenbereich, sondern auch dann vorläufig festgesetzt werden, wenn sich die Ungewissheit aus einer noch ausstehenden Entscheidung einer Rechtsfrage in einem bereits anhängigen Beschwerdeverfahren desselben Abgabepflichtigen ergibt.
In der Praxis konnte bereits wahrgenommen werden, dass die Abgabenbehörden diese erweiterte Möglichkeit der vorläufigen Festsetzung nutzen und dies auch im Rahmen von Rechtsmittelverfahren vornehmen, indem vorläufige Beschwerdevorentscheidungen (BVE) erlassen werden. Nachfolgendes Beispiel soll die sich aus der Gesetzesänderung ergebende Verwaltungspraxis besser veranschaulichen:
In den Jahren 2014 bis 2015 ist strittig und mit Beschwerde angefochten, ob Werbungskosten abzugsfähig sind. Über die Beschwerde wurde vom BFG noch nicht rechtskräftig entschieden. Diese Werbungskosten wurden auch in den Folgejahren 2017 bis 2019 zum Abzug gebracht, jedoch vom Finanzamt erneut als nicht abzugsfähig anerkannt, sodass Beschwerde erhoben wurde. Über die Beschwerde 2017-2019 kann das FA aufgrund derselben Rechtsfrage (die Abzugsfähigkeit der Werbungskosten) in einem anderen Rechtsmittelverfahren (2014-2015) desselben Abgabepflichtigen eine vorläufige Beschwerdevorentscheidung erlassen und damit die Abgaben vorläufig festsetzen.
Fraglich ist jedoch, ob gegen die Beschwerdevorentscheidung rechtliche Maßnahmen ergriffen werden müssen und bis zu welchem Zeitpunkt eine Endgültigerklärung der Beschwerdevorentscheidung möglich ist.
Ob gegen eine (vorläufige) Beschwerdevorentscheidung ein weiteres Rechtsmittel (Vorlageantrag) eingebracht werden soll, muss stets im Einzelfall beurteilt werden. UE besteht jedoch keine unmittelbare Notwendigkeit einen Vorlageantrag einzubringen, zumal nach Wegfall der Ungewissheit die Abgabenbehörde von Amts wegen verpflichtet ist, die BVE für endgültig zu erklären bzw durch eine endgültige BVE zu ersetzen. Gegen die endgültige BVE kann sodann ein Vorlageantrag eingebracht und der (weitere) Rechtsweg an das BFG bestritten werden.
Fraglich und bisher noch nicht geklärt ist, innerhalb welcher Frist die Abgabenbehörde eine vorläufige BVE für endgültig erklären kann. Zumal eine BVE rechtlich als Bescheid zu qualifizieren ist und keine abweichende Regelung getroffen wurde, kommt uE das oben genannte Verjährungsregime für vorläufige Bescheide analog bei vorläufigen BVE zur Anwendung. Die Verjährungsfrist zur Abänderung einer vorläufigen BVE beginnt daher mit Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit weggefallen ist, zu laufen und endet spätestens 15 Jahren nach Entstehung des Abgabenanspruches (die absolute Verjährungsfrist von 15 Jahren beginnt nicht erst mit Erlassung der BVE). Soll der verlängerte Verjährungslauf verhindert werden, kann in einem Vorlageantrag auch die vorläufige Erlassung einer BVE bekämpft werden.
Die Verwaltungspraxis zeigt, dass die Abgabenbehörden seit dem AbgÄG 2022 vermehrt vorläufige BVE erlassen, zumal die Erlassung vorläufiger Bescheide nunmehr auch bei noch zu klärenden Rechtsfragen und nicht mehr nur bei Ungewissheiten im Tatsachenbereich zulässig ist. Nicht ausdrücklich geregelt und auch noch nicht von der Rsp geklärt ist, innerhalb welcher Frist die Abgabenbehörde eine vorläufige BVE für endgültig erklären kann. UE wäre es zweckmäßig die Verjährungsregeln von vorläufigen Bescheiden analog anzuwenden, sodass die (relative) Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit weggefallen ist, zu laufen beginnt und die (absolute) Verjährung 15 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, endet. Ob gegen eine vorläufige BVE zwingend ein Vorlageantrag eingebracht werden muss, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Gerne stehen wir Ihnen für Fragen zur Verfügung und unterstützen Sie bei der Ausarbeitung allfälliger Schriftsätze.
Philip Predota ist Berufsanwärter in der Steuerberatung bei Deloitte Wien. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Abgabenverfahrensrecht, Rechtsmittelverfahren und Finanzstrafrecht.
Mag. Robert Rzeszut ist Steuerberater und Partner im Bereich Tax Litigation bei Deloitte Österreich in Wien. Er ist Experte für Abgaben-Verfahrensrecht und führt insbesondere komplizierte und umfangreiche Beschwerden und Revisionen an die Verwaltungsgerichte, an Höchstgerichte sowie internationale Verständigungsverfahren. Als zertifizierter Finanzstrafrechtsexperte ist er überdies auf Selbstanzeigen und finanzstrafrechtliche Verteidigung spezialisiert.Als stv. Leiter der Arbeitsgruppe Verfahrensrecht im Fachsenat für Steuer- und Sozialrecht der Kammer der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen (KSW) ist Mag. Rzeszut bestens mit akteullen Entwicklungen in seinen Spezialgebieten betraut. Darüber hinaus ist Mag. Rzeszut Herausgeber des KSW-Leitfadens für Betriebsprüfungen sowie des großen „Stoll“-Kommentars zur Bundesabgabenordnung (BAO). Weiters ist Mag. Rzeszut Autor zahlreicher Fachpublikationen im Steuerrecht und als Fachvortragender tätig. Als solcher leitet er den renommierten Lehrgang zum Verfahrensrecht auf der Akademie der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen.