Die Bestimmung des § 209 Abs 1 BAO legt fest, dass die Festsetzungsverjährung (§ 207 BAO) durch „nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabeanspruchs oder zur Feststellung des Abgabenpflichtigen“ um ein Jahr verlängert wird. Dabei interpretieren der VwGH und das BFG die Tatbestandsvoraussetzungen für Verlängerungshandlungen unterschiedlich streng. Anhand der Entscheidung des VwGH vom 20.10.2022, Ra 2022/16/0045 soll auf der einen Seite die enge Auslegung des BFG und auf der anderen Seite die weite Interpretation des VwGH an die Erfordernisse von Verlängerungshandlungen dargestellt werden.
Mehrere natürliche Personen beteiligten sich an einem Bauherrenprojekt und erwarben Ende des Jahres 2010 ideelle Anteile an einem Grundstück. Nach der Selbstberechnung sowie Entrichtung der GrESt durch die beteiligten Parteien und nach Ablauf der fünfjährigen Festsetzungsverjährungsfrist wurde die GrESt von der Behörde in korrigierter Höhe bescheidmäßig festgesetzt. Die (noch) rechtmäßige Festsetzung wurde damit begründet, dass innerhalb der fünfjährigen Frist nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches bzw Feststellung des Abgabenpflichtigen unternommen wurden. Im gegenständlichen Fall wurde von der Abgabenbehörde ein Grundbuchsauszug angefertigt, eine digitale Abfrage aller Kaufverträge durchgeführt sowie ein Ergänzungsersuchen an den Bauträger des Grundstückes gestellt. Diese Amtshandlungen verlängerten nach Ansicht der Behörde die Festsetzungsverjährungsfrist, weshalb die bescheidmäßige Festsetzung rechtmäßig erfolgt sei.
Das BFG hat im darauffolgenden Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Amtshandlungen jedoch eine andere Auffassung vertreten. Das BFG bejahte zwar bei der Anfertigung des Grundbuchauszugs dessen Außenwirksamkeit, hielt jedoch – unter Verweis auf die Rsp des VwGH – fest, dass damit kein „bestimmter“ Abgabenanspruch geltend gemacht wurde. Der Grundbuchsauszug würde nicht zu erkennen geben, dass dieser zur Geltendmachung des Anspruches auf GrESt gerichtet war; darüber hinaus fehle jeglicher Hinweis darauf, in welchem Zusammenhang dieser erstellt wurde. Der Grundbuchsauszug könne auch nicht zur Feststellung des Abgabenpflichtigen dienen, zumal dieser bereits aufgrund der vorherigen Selbstberechnung bekannt gewesen sei. Die gleichen Ausführungen würden laut dem BFG auch für die Abfrage der Kaufverträge und das Ergänzungsersuchen an den Bauträger gelten. Der Behörde sei nämlich durch die vorausgegangene Selbstberechnung sowohl der Abgabepflichtige als auch der Abgabentatbestand bekannt gewesen, weshalb es durch die Abfrage der Kaufverträge nicht möglich sei, Aufschluss über den Sachverhalt oder den Abgabepflichtigen zu erhalten. Hinsichtlich des Ergänzungsersuchens an den Dritten (Bauträger) hielt das BFG fest, dass dieses keinerlei Bezug auf die Geltendmachung des Grunderwerbsteueranspruches aufweise, weshalb dieser Amtshandlung keine Verlängerungswirkung zukommen könne.
Das BFG betont in dieser Entscheidung die Notwendigkeit von strengen Kriterien bei der Beurteilung von Verlängerungshandlungen. Vor dem Hintergrund, dass mit der Verjährung Rechtsfrieden eintreten soll, sei eine enge Auslegung des § 209 Abs 1 BAO geboten. Das BFG hielt weiters – unter Verweis auf die Judikatur des VwGH – fest, dass Amtshandlungen iSd § 209 Abs 1 BAO in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zur Geltendmachung eines Abgabenanspruchs dienen müssen. Dass sich eine Verlängerungshandlung ex post betrachtet als „auch“ für den von der belangten Behörde mit Bescheid geltend gemachten Abgabenanspruch als geeignet erweist, sei nach Ansicht des BFG jedenfalls nicht ausreichend.
Im gegenständlichen Revisionsverfahren hielt der VwGH einleitend – entsprechend seiner bisherigen Judikatur – fest, dass es nicht darauf ankommt, ob die Amtshandlung im Hinblick auf den angestrebten Erfolg (Geltendmachung des Abgabenanspruchs oder Feststellung des Abgabepflichtigen) konkret geeignet oder notwendig ist. Eine Selbstberechnung steht daher einer Amtshandlung iSd § 209 BAO nicht entgegen. Es ist ebenso unwesentlich, dass der Behörde sowohl der Abgabentatbestand als auch der Abgabepflichtige bereits bekannt waren. Das BFG nimmt – nach Ansicht des VwGH – im Ergebnis eine Zweckmäßigkeitsprüfung der Amtshandlungen vor, auf die es jedoch nach der bisherigen Rechtsprechung gerade nicht ankommt.
Der VwGH führte aus, dass die belangte Behörde für die Erhebung der GrESt zuständig war, weshalb die Anfertigung des Grundbuchauszugs auf die Feststellung des Abgabenpflichtigen gezielt hatte. Ebenso habe die Abfrage der Kaufverträge zur Geltendmachung des Grunderwerbsteueranspruches gedient, zumal diese Urkunden der Behörde weder im Rahmen der Selbstberechnung noch in digitaler Form zur Verfügung gestellt wurden. In Bezug auf das Ergänzungsersuchen an den Bauträger verwies der VwGH auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach eine Konkretisierung des Abgabenanspruches bei an Dritte gerichteten Anfragen – bereits vor dem Hintergrund der Geheimhaltungspflicht – nicht notwendig sei.
Der VwGH hielt fest, dass sich – entgegen der Ansicht des BFG – aus seiner Rechtsprechung nicht ergeben würde, dass den Anforderungen des § 209 BAO nur dann Genüge getan wird, wenn eine konkrete gesetzliche Bestimmung angeführt wird. Vielmehr ergibt sich aus der Judikatur, dass eine Amtshandlung auch jene Abgabenansprüche betreffen kann, auf die nicht mittels konkreter gesetzlicher Bestimmung Bezug genommen wird. Im Ergebnis entschied der VwGH, dass sämtliche Amtshandlungen wirksame Verlängerungshandlungen iSd § 209 Abs 1 darstellen würden, weshalb die bescheidmäßige Festsetzung der GrESt rechtmäßig erfolgte.
Der VwGH verdeutlicht erneut in seiner Entscheidung, dass es unerheblich ist, ob eine Amtshandlung konkret geeignet, notwendig oder überhaupt sinnvoll ist, um eine Verlängerungshandlung iSd § 209 Abs 1 BAO darzustellen. Der VwGH interpretiert § 209 Abs 1 BAO auch in Bezug auf an Dritte gerichtete Amtshandlungen weit. Demnach ist bei solchen Amtshandlungen eine Konkretisierung des Abgabenanspruchs aufgrund der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht nicht notwendig, zumal ein solches Konkretisierungserfordernis ein Konfliktfeld für die handelnde Abgabenbehörde schaffen würde. Aus diesem Grund ist das gesetzliche Erfordernis, dass die Konkretisierung des Abgabenanspruchs „nach außen erkennbar“ sein muss, gegenüber der gesetzlichen Geheimhaltungspflicht als nachrangig zu erachten. In Zukunft wird es daher zumindest bei der Konkretisierung hinsichtlich des Abgabenanspruchs insofern einen Unterschied machen, ob die Handlung gegenüber der:dem Steuerpflichtige:n selbst oder einem Dritten durchgeführt wurde.
Mag. Robert Rzeszut ist Steuerberater und Partner im Bereich Tax Litigation bei Deloitte Österreich in Wien. Er ist Experte für Abgaben-Verfahrensrecht und führt insbesondere komplizierte und umfangreiche Beschwerden und Revisionen an die Verwaltungsgerichte, an Höchstgerichte sowie internationale Verständigungsverfahren. Als zertifizierter Finanzstrafrechtsexperte ist er überdies auf Selbstanzeigen und finanzstrafrechtliche Verteidigung spezialisiert.Als stv. Leiter der Arbeitsgruppe Verfahrensrecht im Fachsenat für Steuer- und Sozialrecht der Kammer der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen (KSW) ist Mag. Rzeszut bestens mit akteullen Entwicklungen in seinen Spezialgebieten betraut. Darüber hinaus ist Mag. Rzeszut Herausgeber des KSW-Leitfadens für Betriebsprüfungen sowie des großen „Stoll“-Kommentars zur Bundesabgabenordnung (BAO). Weiters ist Mag. Rzeszut Autor zahlreicher Fachpublikationen im Steuerrecht und als Fachvortragender tätig. Als solcher leitet er den renommierten Lehrgang zum Verfahrensrecht auf der Akademie der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen.
Victoria Turpin ist Berufsanwärterin in der Steuerberatung bei Deloitte Wien. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Abgabenverfahrensrecht, Rechtsmittelverfahren und Finanzstrafrecht.