Posted: 24 Jan. 2023 5 min. read

VwGH: Nachsicht von rechtswidrigen Abgabenfestsetzungen nur bei Vorliegen besonderer Umstände

Überblick

 

In der Praxis wird oftmals erst dann erkannt, dass Abgaben unrechtmäßig vorgeschrieben wurden, wenn der Abgabenbescheid bereits rechtskräftig ist. In diesen Fällen sind die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten, den rechtswidrigen Bescheid zugunsten des:der Abgabepflichtigen abzuändern, beschränkt. Ein Verfahrenstitel, welcher diese unbillige Abgabeneinhebung bereinigen könnte, ist ein Antrag auf Abgabennachsicht. In einer jüngst ergangenen Entscheidung stellte der VwGH (28.7.2022, Ra 2022/13/0016-6) allerdings klar, dass rechtswidrige Abgabenfestsetzungen sowie Judikaturänderungen per se noch keine Unbilligkeit darstellen, die eine Abgabennachsicht zulassen, sondern vielmehr besondere Umstände hinzutreten müssen.  

 

Sachverhalt

 

Dem Revisionsverfahren zur Abgabennachsicht war die Frage vorausgegangen, ob die Überlagerung von Abfällen der ALSAG-Beitragspflicht unterliegt. Nach der damaligen Rsp des VwGH war auch eine Überlagerung beitragspflichtig. Nach einigen Jahren änderte der VwGH jedoch seine Rsp und verneinte eine Beitragspflicht in derartigen Fällen. Aus diesem Grund beantragte die Partei die Nachsicht der entrichteten ALSAG-Beiträge, zumal sich aufgrund der Judikatur-Änderung herausstellte, dass diese zu Unrecht festgesetzt wurden. Im Beschwerdeverfahren folgte das BFG dem Vorbringen der Partei, erkannte eine die Abgabennachsicht begründende Unbilligkeit und gewährte die Nachsicht der entrichteten ALSAG-Beträge. Als Gründe für das Vorliegen einer unbilligen Abgabeneinhebung wurden die neue Rsp, die keine Beitragspflicht in Überlagerungsfällen vorsieht, die Höhe der Altlastenbeträge sowie der Umstand, dass von der Partei Rechtsmittel gegen den Abgaben- und Feststellungsbescheid erhoben wurden, festgehalten.

Das Zollamt erhob allerdings gegen das im Nachsichtsverfahren stattgebende BFG-Erkenntnis eine ao Amtsrevision, zumal es die Ansicht vertrat, dass eine Abgabennachsicht nicht bloß aufgrund einer Judikatur-Änderung erfolgen kann.

 

Entscheidung VwGH

 

Der VwGH gelangte zum Ergebnis, dass keine Unbilligkeit vorliege, die eine Abgabennachsicht rechtfertige, zumal ein Abgehen von seiner bisherigen Rsp (bei unveränderter Rechtslage) nicht dazu führe, dass sämtliche auf der bisherigen Rechtslage und Rsp beruhenden Abgabenvorschreibungen als unbillig anzusehen wären. Vielmehr stand die Vorschreibung der ALSAG-Beträge im Einklang mit der damaligen Rsp des VwGH, zumal diese keine Befreiung von der Beitragspflicht bei Überlagerungen von Abfällen vorsah. Der bloße Einwand der Partei, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, ihr Verhalten auf diese (damalige) Rechtsansicht auszurichten, zeigt noch keinen besonderen Umstand auf, der eine Unbilligkeit begründen würde. Eine unbillige Abgabenvorschreibung würde etwa dann vorliegen, wenn die Partei zu dieser Rechtsfrage eine Rechtsauskunft bei der zuständigen Behörde eingeholt hätte, was jedoch gegenständlich nicht erfolgte.

 

Fazit und Praxishinweise

 

Rechtswidrige Abgabenfestsetzungen sowie Judikatur-Änderungen begründen nur dann eine sachliche Unbilligkeit, wenn besondere Umstände hinzutreten, die eine Abgabenvorschreibung als unbillig erachten lassen. Besonderes Augenmerk ist dabei auf das Einholen von Rechtsauskünften bei der zuständigen Behörde zu legen, zumal derartige Behördenauskünfte einen Treu-und-Glauben-Schutz entfalten und eine sachliche Unbilligkeit darstellen können. Weiters wäre eine Nachsicht dann erfolgversprechend, wenn im Vertrauen auf die bisherige Judikatur gehandelt wurde, und diese Judikatur im Nachhinein zum Nachteil (!) des:der Abgabepflichtigen geändert wird (hier lag jedoch ein umgekehrter Fall vor, sodass der Abgabepflichtige nie auf eine Steuerfreiheit vertrauen konnte).

 


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Mag. Robert Rzeszut

Mag. Robert Rzeszut

Partner Steuerberatung | Deloitte Österreich

Mag. Robert Rzeszut ist Steuerberater und Partner im Bereich Tax Litigation bei Deloitte Österreich in Wien. Er ist Experte für Abgaben-Verfahrensrecht und führt insbesondere komplizierte und umfangreiche Beschwerden und Revisionen an die Verwaltungsgerichte, an Höchstgerichte sowie internationale Verständigungsverfahren. Als zertifizierter Finanzstrafrechtsexperte ist er überdies auf Selbstanzeigen und finanzstrafrechtliche Verteidigung spezialisiert.Als stv. Leiter der Arbeitsgruppe Verfahrensrecht im Fachsenat für Steuer- und Sozialrecht der Kammer der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen (KSW) ist Mag. Rzeszut bestens mit akteullen Entwicklungen in seinen Spezialgebieten betraut. Darüber hinaus ist Mag. Rzeszut Herausgeber des KSW-Leitfadens für Betriebsprüfungen sowie des großen „Stoll“-Kommentars zur Bundesabgabenordnung (BAO). Weiters ist Mag. Rzeszut Autor zahlreicher Fachpublikationen im Steuerrecht und als Fachvortragender tätig. Als solcher leitet er den renommierten Lehrgang zum Verfahrensrecht auf der Akademie der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen.

Philip Predota, LL.M. (WU)

Philip Predota, LL.M. (WU)

Senior Consultant Steuerberatung | Deloitte Österreich

Philip Predota ist Berufsanwärter in der Steuerberatung bei Deloitte Wien. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Abgabenverfahrensrecht, Rechtsmittelverfahren und Finanzstrafrecht.