Die richtige Erfassung von Gutscheinen gehört zu einem der komplexesten Bereiche des Mehrwertsteuerrechts. Aus dem EuGH-Urteil vom 18.4.2024, C-68/23, Finanzamt O, ergeben sich erste Anhaltspunkte für die seit dem 1.1.2019 geltende Abgrenzung von Einzweck-Gutscheinen, deren entgeltliche Ausgabe umsatzsteuerlich bereits als Erbringung der Leistung gilt, und Mehrzweck-Gutscheinen, bei denen erst die tatsächliche Einlösung zur Erbringung einer umsatzsteuerlichen Leistung führt.
Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Einzweck-Gutscheins sind, dass der Ort der Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, und die dafür geschuldete Umsatzsteuer bei Ausstellung des Einzweck-Gutscheins bereits feststehen. Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, liegt ein Mehrzweck-Gutschein vor.
Der EuGH stellt in seinem jüngsten Urteil klar, dass die Einstufung, ob ein Einzweck-Gutschein vorliegt, nicht davon beeinflusst wird, ob der Gutschein nach seiner Ausgabe noch (weiter-) übertragen wird. Unerheblich ist auch, ob die an weiteren Übertragungen Beteiligten in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässig sind als demjenigen, in dem die durch den Einzweck-Gutschein verbriefte Leistung ausgeführt werden wird.
Der EuGH trifft in seinem Urteil keine explizite Aussage zum Leistungsort bei B2B-Übertragungen eines Einzweck-Gutscheins. Es bleibt somit offen, ob der Leistungsort des Einzweck-Gutscheins auch auf die B2B-Vertriebskette durchschlägt, wodurch etwaige Registrierungs- und Meldeverpflichtungen für die veräußernden Unternehmer:innen im Einlösestaat entstehen können, sofern nicht von dem OSS-Verfahren Gebrauch gemacht wird.
Liegt ein Mehrzweck-Gutschein vor, kann der Weiterverkauf dieser Gutscheine auch eine Vertriebs- oder Absatzförderungsleistung darstellen. Diese Leistung ist von der durch den Gutschein verbrieften Leistung zu unterscheiden.
Der EuGH hat sich in seinem jüngsten Urteil nicht explizit dazu geäußert, ob sämtliche Verkäufe eines Einzweck-Gutscheins in einer B2B-Handelskette zum gleichen Ergebnis hinsichtlich des Leistungssorts führen müssen. Wäre dies der Fall, so würde die Fiktionsregelung, die bei jeder Übertragung von Einzweck-Gutscheinen den Vorgang als Ausführung der zugrundeliegenden Leistung behandelt, auch für grenzüberschreitende Sachverhalte gelten. Dies hätte zur Folge, dass ausländische Verkäufer:innen entsprechender Gutscheine für in Österreich zu erbringende Leistungen in Österreich registrierungs- und meldepflichtig oder umgekehrt inländische Verkäufer:innen für in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu erbringende Leistungen dort registrierungs- und meldepflichtig werden, sofern nicht von dem OSS-Verfahren Gebrauch gemacht wird. Eine Klarstellung wäre wünschenswert.
Verena Gabler ist Partner im Bereich Steuerberatung und leitet die Tax Management Consulting Abteilung bei Deloitte Österreich. Die Umsatzsteuer-Spezialistin hat sich auf die Prozessberatung spezialisiert und unterstützt ihre Klienten bei der Entwicklung und Implementierung von Steuerkontrollsystemen. Dabei begleitet sie ihre Klienten bei der Analyse und Reduktion von steuerlich relevanten Risiken, der Optimierung von Prozessen und der Erhöhung des Automatisierungsgrades der Steuerfunktion durch den Einsatz von steuerrelevanter Software.
Julian Kuderer ist als Steuerberater und Senior Manager im Bereich Indirect Tax bei Deloitte Wien tätig. Er berät national und international tätige Klienten in sämtlichen Fragen des Umsatzsteuerrechts. Sein Schwerpunkt liegt ua in den Bereichen grenzüberschreitende Transaktionen und deren umsatzsteuerliche Auswirkungen, Digitalisierung und Telekommunikation sowie Kammerumlage 1. Weiters ist er auch im Knowledge Management tätig und beschäftigt sich mit den neuesten Entwicklungen im Bereich der Umsatzsteuer. Er ist zudem Fachvortragender und Autor zahlreicher Fachpublikationen.