Posted: 09 Aug. 2024 5 min. read

Europäische Sammelklage – nun auch in Österreich in Kraft

Was bedeutet das für Unternehmer?

Mit Verspätung wurde die Richtlinie (EU) 2020/1828 in Österreich durch die Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle (VRUN) umgesetzt (in Kraft seit 18.07.2024). Ziel ist, unerlaubte innerstaatliche oder grenzüberschreitende Geschäftspraktiken, welche die Interessen einer großen Anzahl von Verbrauchern bedrohen oder schädigen, zu beenden und Verbrauchern Abhilfe in Form von Schadenersatz zu ermöglichen. Dies erfolgt durch Einführung der Verbandsklage (der sog. Europäischen Sammelklage).

 

Was ist die Verbandsklage?

 

Die Verbandsklage ist keine Gruppenklage, wie aus dem anglo-amerikanischen Raum bekannt; vielmehr kann diese lediglich von Qualifizierten Einrichtungen und ausschließlich zum Schutz kollektiver Interessen von Verbrauchern erhoben werden. Weiterhin können Rechtsansprüche individuell, in Form von Massenklagen oder auch der sog. „Sammelklage österreichischer Prägung“, die eine Übertragung von Rechtsansprüchen auf eine Person zur gemeinsamen Verfolgung dieser Ansprüche vorsieht, geltend gemacht werden. Ebenfalls bleiben die nach österreichischem Recht bereits bestehenden Verbandsklagen, etwa iSd §§ 28 KSchG und § 14 UWG, von der neu eingeführten Europäischen Sammelklage unberührt.

Neu eingeführt werden zwei Arten von Klagen: (i) Verbandsklage auf Unterlassung und (ii) Verbandsklage auf Abhilfe:

(i) Qualifizierte Einrichtungen sind befugt, gegen Rechtsverletzungen von Unternehmen, welche kollektiven Interessen von Verbrauchern beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen, mit einer Klage auf Unterlassung (Beendigung oder Verbot) vorzugehen („Verbandsklage auf Unterlassung“). Die Klagebefugnis umfasst jedoch – anders als in anderen europäischen Mitgliedsstaaten – jegliche Rechtsverletzungen, die kollektive Interessen von Verbrauchern zumindest bedrohen; nicht nur Verstöße gegen das Unionsrecht. Nur vereinzelt oder gelegentlich vorkommende Unrechtmäßigkeiten sollen hingegen nicht erfasst sein.

(ii) Entstanden neben der (drohenden) Beeinträchtigung von kollektiven Verbraucherinteressen bereits bei konkreten Verbrauchern Ansprüche auf Abhilfe, die außergerichtlich bestritten wurden, können diese Ansprüche mittels Klage auf Leistung („Verbandsklage auf Abhilfe“) geltend gemacht werden. Voraussetzung dafür ist, dass mindestens 50 solcher Ansprüche bestehen und diese einen gemeinsamen Kern haben.

Kernelement der Verbandsklage ist die neu geschaffene Möglichkeit, im Abhilfeverfahren kollektiv einen (bereits im österreichischem Recht verankerten) Zwischenantrag auf Feststellung zu stellen, mittels dem die Feststellung über den Bestand oder Nichtbestand eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses als Vorfrage beurteilt werden soll; dies mit Wirkung für alle am Verfahren beteiligten Verbraucher.

 

Wie sieht das neue Verbandsklageverfahren aus?

 

Verbandsklage auf Unterlassung

Das Verfahren über die Verbandsklage auf Unterlassung läuft grundsätzlich wie ein bisheriges Verbandsverfahren ab. Voraussetzung für das Bestehen eines Unterlassungsanspruches ist die Wiederholungsgefahr. Die Klage kann, wie nunmehr explizit im Gesetz festgehalten, mangels Vorliegens einer Wiederholungsgefahr abgewendet werden, wenn der Unternehmer nach Abmahnung durch eine Qualifizierte Einrichtung binnen zwei Wochen eine mit angemessener Konventionalstrafe besicherte Unterlassungserklärung abgibt.

Neu ist, dass bereits in der Klage hinreichende Angaben zu den betroffenen Verbrauchern vorzunehmen sind. Die Einbringung der Klage hemmt sodann bei allen betroffenen Verbrauchern den Lauf der Verjährungsfrist bis zur rechtskräftigen Beendigung dieses Verfahrens. Danach verbleibt dem Verbraucher jedenfalls eine Frist von sechs Monaten, um seinen Anspruch mit Klage oder durch Beitritt zu einem Abhilfeverfahren geltend zu machen.

Verbandsklage auf Abhilfe

Die Klage auf Abhilfe hat ein bestimmtes Begehren auf Abhilfe von mindestens 50 Verbraucher auf Grund von im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalten gegen denselben Unternehmer zu enthalten. Dabei können Qualifizierte Einrichtungen in der Klage erklären, dass noch weitere Verbraucher dem Abhilfeverfahren beitreten können, und die genauen Kriterien dafür angeben. Ein Beitritt kann bis drei Monate nach Veröffentlichung der Entscheidung über die Durchführung eines Verbandsklageverfahrens erfolgen.

Das Verbandsklageverfahren auf Abhilfe wurde neu eingeführt und gliedert sich in drei Verfahrensabschnitte:

  1. Verfahrensabschnitt:  Hier soll das Gericht darüber mit Beschluss entscheiden, ob sämtliche Voraussetzungen eines Verbandsklageverfahrens auf Abhilfe vorliegen.
  2. Verfahrensabschnitt: Danach kann das Gericht über mögliche Zwischenfeststellungsanträge entscheiden und über Streitpunkte verhandeln, die diesem Zwischenfeststellungsantrag (und allen Individualansprüchen) zu Grunde liegen.
  3. Verfahrensabschnitt: Schließlich soll das Gericht – allenfalls auf Basis der Entscheidung über einen Zwischenfeststellungsantrag – über die einzelnen Leistungsbegehren von Verbrauchern individuell entscheiden.

Mit dem Ziel der effizienteren Gestaltung des Verfahrens sollten Anforderungen an Vorbringen und Beweismittel dahingehend „gelockert“ werden, dass Ansprüche in der Abhilfeklage lediglich Tatsachen und Beweisanbote enthalten müssen, die der Qualifizierten Einrichtung mit zumutbarem Aufwand zugänglich sind und die Plausibilität der Ansprüche ausreichend stützen.

Das Verbandsklageverfahren kann auch durch Vergleich beendet werden. Ein Vergleich zw der Qualifizierten Einrichtung und dem Unternehmer muss zu seiner Wirksamkeit vom Gericht bestätigt werden und bindet nur die dem Verbandsklageverfahren beigetretenen Verbraucher. Dies ist deshalb spannend, weil derzeit keine Austrittsmöglichkeit für Verbraucher von einem Verbandsklageverfahren explizit vorgesehen ist. Lediglich dann, wenn die Verbandsklage bereits im ersten Verfahrensabschnitt zurückgewiesen wird, kann der Verbraucher binnen einer Frist von drei Monaten ab Rechtskraft der Zurückweisungsentscheidung eine individuelle Klage erheben. Bis dahin ist die Verjährung des Abhilfeanspruches jedenfalls gehemmt.

Das Gericht hat schlussendlich die im Verbandsklageverfahren auf Unterlassung bei Vorliegen eines berechtigten Interesses, im Verbandsklageverfahren auf Abhilfe jedenfalls seine Endentscheidungen (in den jeweiligen Verfahrensabschnitten) sowie einen allfälligen Vergleich in der Ediktsdatei zu veröffentlichen.

Das Handelsgericht Wien ist für die Durchführung der Verbandsklagen ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig. Anderslautende vertragliche Vereinbarungen sind unwirksam.

 

Prozessfinanzierung

 

Der österreichische Gesetzgeber wählte im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten einen eher liberalen Zugang zur Prozessfinanzierung. Die Finanzierung einer Verbandsklage durch Dritte ist zulässig. Die Qualifizierte Einrichtung kann Beitritte von Verbrauchern zu einem Verbandsklageverfahren gar davon abhängig machen, dass die Beitretenden den zwischen der Qualifizierten Einrichtung und dem Prozessfinanzierer vereinbarten Vertrag abschließen. Um Interessenskonflikte zu vermeiden, darf der Prozessfinanzierer weder ein Wettbewerber des beklagten Unternehmens noch von diesem wirtschaftlich oder rechtlich abhängig sein. Auch sonst dürfen Prozessfinanzierer nicht ungebührlich Einfluss auf das Verbandsklageverfahren nehmen. Nimmt eine Qualifizierte Einrichtung Leistungen eines Prozessfinanzierers in Anspruch, ist dies dem Gericht kundzutun.

 

Qualifizierte Einrichtungen

 

Derzeit gelten die Wirtschaftskammer Österreich und die Bundesarbeiterkammer Österreich als innerstaatlich und grenzüberschreitende Qualifizierte Einrichtungen. Der Österreichische Landarbeiterkammertag, die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, der Österreichische Gewerkschaftsbund, der Verein für Konsumenteninformation und der Österreichische Seniorenrat sind befugt als Qualifizierte Einrichtungen innerstaatlich tätig zu werden.

 

Fazit und Ausblick

 

Mit der Einführung der Europäischen Sammelklage soll ein effizienter und schnellerer Rechtsschutz für Verbraucher geschaffen werden. Ob dieses Ziel mit den neu eingeführten Verbandsklageverfahren tatsächlich erreicht wird, muss sich noch zeigen. Das Handelsgericht Wien sowie auch der Oberste Gerichtshof erblicken in der vermeintlichen „Lockerung“ der Anforderungen an Vorbringen und Beweisen keine Verfahrenserleichterung. Vor dem Hintergrund der explizit eingeführten Möglichkeit der Prozessfinanzierung durch Dritte, ist eine Welle an Verbandsklagen jedenfalls zu erwarten. 

 

 

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Bojana Vareskic

Bojana Vareskic

Partner | Deloitte Legal

Bojana Vareskic ist Partnerin und leitet den Fachbereich Dispute Resolution. Sie berät Mandanten in zivilrechtlichen Belangen und vertritt Mandanten in komplexen Gerichtsverfahren, regelmäßig mit grenzüberschreitendem Bezug. Ihre Schwerpunkte sind streitige Auseinandersetzungen betreffend wirtschaftsbezogene Themen, Vollstreckung von ausländischen Urteilen und in- und ausländischen Schiedssprüchen sowie alle Arten des kollektiven Rechtsschutzes.