Posted: 30 Jul. 2024 3 min. read

Netzzutrittsentgelte bei Erneuerbaren – Doppelverrechnung in der Kritik

Eine Entscheidung des OGH soll Klarheit schaffen

Überblick

 

In Österreich hat sich bei einigen Netzbetreiber:innen die Praxis entwickelt, Netzzutrittsentgelte „doppelt“ zu verrechnen, wenn zusätzliche erneuerbare Anlagen wie Photovoltaikanlagen (kurz PV-Anlagen) installiert werden. Dies hat zu Unmut und zivilrechtlichen Auseinandersetzungen geführt. Nun wird eine neue OGH-Entscheidung erwartet, die ein klarstellendes Verständnis der Rechtsage für die Verrechnung von Netzzutrittsentgelten bei der Errichtung von Erneuerbaren Anlagen trotz bereits bestehenden Netzzugangs schaffen soll.

 

Anlassfall

 

Der Flughafen Wien errichtete 2021 und 2022 zwei Photovoltaikanlagen mit Nennleistungen von 11,484 MW und 5,220 MW, insgesamt sohin 16,704 MW. Die PV-Anlagen sind an das betriebsinterne Netz des Flughafens Wien angeschlossen und decken einen Teil des Energiebedarfs des Flughafens, wobei Überschüsse in das öffentliche Netz eingespeist werden können. 

Nach Aussage des Flughafens Wien sei es durch die Errichtung der PV-Anlagen zu keiner Erhöhung der (bestehenden) Anschlussleistung gekommen. Dennoch verrechnete der:die Netzbetreiber:in ein pauschaliertes Netznutzungsentgelt für die Erzeugungsanlagen. Begründet wurde dies vom:von Netzbetreiber:in damit, dass zwischen einem Netzzutritt als Entnehmer:in und einem Netzzutritt als Einspeiser:in mit dem jeweils dafür benötigten Anschlusswert zu unterscheiden sei. Beide hätten unterschiedliche Auswirkungen auf das Verteilernetz und seien deshalb unabhängig voneinander als Netzzutritt anzusehen, für den jeweils Netzzutrittsentgelt zu entrichten sei. Vertraglich sei bislang nur ein bezugsseitiger Anschlusswert vereinbart worden. Es sei daher zusätzlich ein pauschaliertes Netzzutrittsentgelt gem. § 54 Abs 3 und 4 Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz 2010 („ElWOG“) für die PV-Anlagen zu verrechnen.

Der Flughafen Wien widersprach unter Verweis auf Abs 1 des § 54 ElWOG, welches die Grundlage für die Entstehung der Schuld für das Netzzutrittsentgelt bildet. Danach handle es sich beim Netzzutrittsentgelt um ein bloß einmalig zu leistendes Entgelt. Dies auch dann, wenn eine zusätzlich Erzeugungsanlage errichtet werde und es durch den zusätzlichen Anschluss der PV-Anlage zu keiner Erhöhung der Anschlussleistung käme. Daran ändere auch die ElWOG-Novellierung 2021 nichts, welches die von den Netzbetreibern ins Treffen geführte Regelung zum pauschalierte Netzzutrittsentgelt einführte und sich in diesem Sinne mit der Verrechnung des Netzzutrittsentgeltes beschäftigte: Während Absatz 2 eine Verrechnung der tatsächlich entstehenden Kosten vorsehe, seien die Absätze 3 und 4 (Pauschale) eine besondere Regelung für erneuerbare Erzeugungsanlagen, sohin eine sogenannte lex specialis gegenüber Absatz 2. § 54 Abs 1 ElWOG 2010 sei jedoch weiterhin die Grundlage für die Entstehung der Schuld für das Netzzutrittsentgelt. Solange die in § 54 Abs 1 ElWOG 2010 festgesetzten Grundvoraussetzungen nicht erfüllt seien, entstehe diese Schuld erst gar nicht dem Grunde nach. Dadurch stelle sich gar nicht die Frage, ob das Entgelt zu pauschalieren oder nach tatsächlichen Kosten zu verrechnen sei. Es wäre auch unsachlich, wenn Netzbetreiber:in einen Pauschalbetrag erhalten würden, ohne dass dem eine Gegenleistung gegenüberstehe. Es komme sohin zu eine ungerechtfertigten Doppelverrechnung.

Die E-Control, das Handelsgericht Wien und das OLG Wien folgten der Ansicht des Flughafens. Aktuell ist die Entscheidung des OGH ausständig.

 

Bisherige Ansicht des OGH

 

Tatsächlich beschäftigt sich der OGH nicht zum ersten Mal mit dem elektrizitätsrechtlichen Netzzutrittsentgelt.

Bereits vor der ElWOG-Novelle hat er zu 4 Ob 18/19d (vgl. auch 10 Ob 31/12z, 2 Ob 133/13t) ausgeführt, dass es sich beim Netzzutrittsentgelt um nur einmalige Kosten für zusätzliche Leitungsanlagen handelt, die unmittelbar (ausschließlich) für die erstmalige Herstellung eines Anschlusses oder die Vergrößerung eines bestehenden Anschlusses erforderlich sind. Diese Rsp bestärkt die Ausführungen des Flughafen Wien im aktuellen Verfahren, wonach eine Doppelverrechnung nicht zulässig sei, insbesondere dann, wenn sich die Anschlussleistung gem. § 54 Abs 1 ElWOG nicht erhöht hat.

 

Fazit

 

Die Entscheidung des OGH wird in jedem Fall Wellen schlagen. Bestätigt der OGH seine bisherige Ansicht und damit, dass ein Netzzutrittsentgelt nur einmal verrechnet werden darf, werden viele Netzbetreiber:innen mit zahlreichen zivilrechtlichen Rückforderungsansprüchen konfrontiert werden. Dies bedeutet, dass jede Person, die eine PV-Anlage ab 20 kW (zusätzlich) an das Netz angeschlossen hat, das zu viel bezahlte Netzzutrittsentgelt im Zivilprozess zurückfordern kann; dies wird jedenfalls binnen 3 Jahren ab Zahlung des doppelten Netzzutrittsentgeltes möglich sein. Zu prüfen bleibt jedoch, ob eine längere Verjährungsfrist (wie die bereicherungsrechtliche Verjährungsfrist von 30 Jahren) zur Anwendung kommen sollte. 

 

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Bojana Vareskic

Bojana Vareskic

Partner | Deloitte Legal

Bojana Vareskic ist Partnerin und leitet den Fachbereich Dispute Resolution. Sie berät Mandanten in zivilrechtlichen Belangen und vertritt Mandanten in komplexen Gerichtsverfahren, regelmäßig mit grenzüberschreitendem Bezug. Ihre Schwerpunkte sind streitige Auseinandersetzungen betreffend wirtschaftsbezogene Themen, Vollstreckung von ausländischen Urteilen und in- und ausländischen Schiedssprüchen sowie alle Arten des kollektiven Rechtsschutzes.

Sandra Kasper

Sandra Kasper

Senior Manager | Deloitte Legal

Sandra Kasper ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt auf öffentliches Wirtschaftsrecht, insbesondere in den Bereichen Anlagen-, Umwelt- und Energierecht, Eisenbahnrecht und Vergaberecht. Sie berät und begleitet Industrie- und Infrastrukturprojekte, Energieversorgungsunternehmen sowie Betriebsanlagen in unterschiedlichen Sparten und Größen. Sie berät in allen rechtlichen Fragen bspw zu Umweltverträglichkeitsprüfungen, Wasserrecht, Abfallrecht, Baurecht, Naturschutzrecht etc sowie bei planerischen Fragen, beginnend bei der Projektierung, bis zur Umsetzung eines Projekts und schließlich deren Betrieb.