In einem aktuellen Fall hatte der einzige Gesellschafter und Geschäftsführer einer in Deutschland ansässigen GmbH seinen Wohnsitz in Österreich. In Deutschland verfügte er über kein abschließbares Büro, aber über einen Schreibtisch am Standort des Steuerberaters, wo sich ebenfalls das Archiv mit Geschäftsunterlagen befunden hat. In Österreich gab es ein „Büro“, von dem aus der Geschäftsführer im Home-Office tätig sein konnte, das war aber primär als Jugendzimmer des Sohnes in Verwendung. Der Geschäftsführer war in Österreich auch im Außendienst tätig. Strittig war, ob die deutsche Gesellschaft am österreichischen Wohnsitz des alleinigen Geschäftsführers den Ort der Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte bzw feste Niederlassung hatte.
Nach dem BFG-Erkenntnis vom 23.6.2022, RV/5101411/2016, komme es darauf an, wo der Geschäftsführer der deutschen Gesellschaft die wichtigen Entscheidungen für den „normalen“, daher gewöhnlich laufenden Geschäftsbetrieb, treffe. Im gegenständlichen Fall seien diese bei der Aufarbeitung der Außendiensttätigkeiten und des Posteinganges im Büro bzw am Arbeitsplatz in Deutschland erfolgt. Es sei nicht wahrscheinlich, dass die wichtigen Entscheidungen während der Fahrt, bei Kundenbesuchen oder nach einem Arbeitstag am Wohnsitz des alleinigen Geschäftsführers getroffen werden würden. Hinsichtlich der Umsatzsteuerpflicht führte das BFG aus, dass Tätigkeiten vorbereitender Art oder Hilfstätigkeiten nach Ansicht des EuGH nicht die Kriterien der Betriebsstätte bzw festen Niederlassung erfüllen. Gegenständlich habe die deutsche GmbH daher entsprechend der erbrachten Tätigkeiten auch umsatzsteuerlich weder einen Sitz noch eine Betriebsstätte bzw feste Niederlassung in Österreich.
Der VwGH folgte in seinem Beschluss vom 19.1.2024, Ra 2022/15/0091, dem BFG und führte weiters aus, dass sich der Ort der Geschäftsleitung aus der jeweiligen tatsächlichen Gestaltung der Dinge ergibt. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung ist dort, wo der für die Geschäftsführung entscheidende Wille gebildet wird, somit die für die Führung des Unternehmens notwendigen und wichtigen Maßnahmen getroffen werden. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse in organisatorischer Hinsicht. Ausschlaggebend ist, wo die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden. Welche Anordnungen die Maßgebenden sind, wird insbesondere davon abhängen, welche Art der Tätigkeit ausgeübt wird. Maßgebend ist die laufende Geschäftsführung. Zu ihr gehören die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt und solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören („Tagesgeschäfte“).
Unternehmensleistungen eines:r im Inland ansässigen Geschäftsführers:in einer ausländischen Gesellschaft stellen nicht zwingend den Ort der Geschäftsleitung der ausländischen Gesellschaft dar. Nach der Rechtsprechung des VwGH ergibt sich der Ort der Geschäftsleitung vielmehr aus der jeweiligen tatsächlichen Gestaltung der Dinge. Ebenso erfüllen Tätigkeiten vorbereitender Art oder Hilfstätigkeiten nicht die Kriterien zur Begründung einer Betriebsstätte bzw festen Niederlassung. Home-Office-Tätigkeiten oder Außendiensttätigkeiten in Österreich begründen nicht per se einen Ort der Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte bzw feste Niederlassung.
Verena Gabler ist Partner im Bereich Steuerberatung und leitet die Tax Management Consulting Abteilung bei Deloitte Österreich. Die Umsatzsteuer-Spezialistin hat sich auf die Prozessberatung spezialisiert und unterstützt ihre Klienten bei der Entwicklung und Implementierung von Steuerkontrollsystemen. Dabei begleitet sie ihre Klienten bei der Analyse und Reduktion von steuerlich relevanten Risiken, der Optimierung von Prozessen und der Erhöhung des Automatisierungsgrades der Steuerfunktion durch den Einsatz von steuerrelevanter Software.
Julian Kuderer ist als Steuerberater und Senior Manager im Bereich Indirect Tax bei Deloitte Wien tätig. Er berät national und international tätige Klienten in sämtlichen Fragen des Umsatzsteuerrechts. Sein Schwerpunkt liegt ua in den Bereichen grenzüberschreitende Transaktionen und deren umsatzsteuerliche Auswirkungen, Digitalisierung und Telekommunikation sowie Kammerumlage 1. Weiters ist er auch im Knowledge Management tätig und beschäftigt sich mit den neuesten Entwicklungen im Bereich der Umsatzsteuer. Er ist zudem Fachvortragender und Autor zahlreicher Fachpublikationen.