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Die Pandemie als wirtschaftliche Chance

Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise hat die ganze Welt in Mitleidenschaft gezogen. Europa blieb davon nicht verschont und muss sich aktuell zahlreichen Herausforderungen stellen. Zu diesem Thema wird Alexander Börsch, Chefökonom und Head of Research bei Deloitte Deutschland, im Rahmen einer exklusiven Veranstaltung beim diesjährigen Forum Alpbach spannende Insights geben. Vorab stand er für ein Interview Rede und Antwort.

Welche wirtschaftlichen Herausforderungen werden nach der Pandemie auf Europa zukommen?

Aktuell ist die weltwirtschaftliche Lage positiv. China und die USA dürften in diesem Jahr trotz Corona-Pandemie rekordverdächtige Wachstumsraten erreichen und ziehen die Weltwirtschaft mit. In Europa ist die Konsumentenstimmung gut und die Investitionsbereitschaft so hoch wie schon lange nicht mehr. Kurzfristig müssen nun Überhitzungserscheinungen des Aufschwungs gemanagt werden. Dazu gehören die Überwindung der derzeitigen Lieferengpässe und die Eindämmung der steigenden Inflation, die eine Folge der äußerst lockeren Geldpolitik, aber auch der konjunkturellen Entwicklung ist.

Mit Blick auf die kommenden Jahre werden die Arbeitsmärkte zu einer Herausforderung für Politik und Unternehmen. Die demographische Entwicklung und die Alterung der Gesellschaft werden das erste Mal voll spürbar. So wird beispielsweise Deutschland im Laufe der 2020er Jahre voraussichtlich knapp 10 Prozent seiner Erwerbsbevölkerung verlieren. Enge Arbeitsmärkte und ein verschärfter Kampf um Talente dürften folgen. Auch die Automatisierung wird keine Entspannung bringen. Netto dürfte die Nachfrage nach Arbeitskräften gesamtwirtschaftlich sogar steigen, vor allem die Nachfrage im Gesundheitssektor wird zunehmen.

 

Aktuell ist die weltwirtschaftliche Lage positiv. In Europa ist die Konsumentenstimmung gut und die Investitionsbereitschaft so hoch wie schon lange nicht mehr.

 

Die zweite Herausforderung heißt Produktivität. Trotz Digitalisierung war das Produktivitätswachstum die letzten Jahre sehr viel niedriger als früher. Niedriges Produktivitätswachstum bedeutet, dass langfristig Wohlstand und Löhne kaum wachsen können. In den 2020er Jahren kommt erschwerend hinzu, dass wegen der Abnahme der Erwerbsbevölkerung nur die Produktivität das wirtschaftliche Wachstum entscheidend treiben kann. Von daher kommt es darauf an, digitale Technologien noch stärker für eine bessere Produktivitätsentwicklung zu nutzen und sie allen Unternehmen zugänglich zu machen. In diesem Kontext ist auch digitale Wettbewerbsfähigkeit ein zentrales Thema, also die Entwicklung von europäischen Wettbewerbsvorteilen in der digitalen Ökonomie.

Foto Alexander Börsch
Alexander Börsch, Chefökonom und Head of Research bei Deloitte Deutschland

Kann die COVID-19-Krise auch als Chance für die Wirtschaft gesehen werden?

Angesichts der enormen menschlichen und finanziellen Kosten ist es auf den ersten Blick schwierig, Positives an dieser Pandemie zu entdecken. Aber: Zwei Entwicklungen könnten sich tatsächlich langfristig als positiv erweisen.

Erstens ist die Investitionsbereitschaft der Unternehmen nach der Krise hoch – und zwar noch sehr viel höher als davor. Investitionen waren seit der Finanzkrise das Sorgenkind in den Industrieländern und haben sich äußerst schwach entwickelt. Aktuell sehen wir, dass die Investitionen steigen, und zwar vor allem im Bereich digitale Technologien. Aus dieser Perspektive könnte die Krise als Katalysator für die Digitalisierung und höhere Investitionen im Allgemeinen gesehen werden, was den aktuellen Aufschwung ebenso wie das langfristige Wachstum treiben kann.

Zweitens hat die Nachhaltigkeit einen Schub erhalten. Grüne Investments waren in vielen Corona-Konjunkturprogrammen ein sehr wichtiger Bestandteil, in Europa über den New Deal, in den USA über das Investitionsprogramm. In dem Sinne hat die Corona-Krise die Nachhaltigkeits- und Klimabemühungen nicht wie anfangs befürchtet gebremst, sondern sogar beschleunigt.

Wie schnell wird sich Europas Wirtschaft von der Krise erholen?

Die Erholung wird von Land zu Land unterschiedlich schnell vonstattengehen. Länder wie Italien und Spanien wurden besonders hart von der Pandemie getroffen. Da in diesen Ländern der Tourismus eine besonders große wirtschaftliche Bedeutung hat, ist die Rezession dort besonders stark. Das BIP in Spanien schrumpfte um fast 11 Prozent, in Italien um beinahe 9 Prozent. Bis dort das wirtschaftliche Vorkrisenniveau erreicht ist, wird einige Zeit vergehen. Wir rechnen damit, dass dies bis Mitte oder sogar Ende 2022 dauern dürfte.

Exportorientierte Länder wie Deutschland, aber auch Österreich, profitierten von dem schnellen Aufstieg des Welthandels, hier dürfte das Ausgangsniveau schneller wieder erreicht werden, und zwar bereits Ende 2021. Für Europa als Ganzes gilt: Nach dem tiefen Fall im Vorjahr befindet sich der Kontinent nun wieder mitten in einer Aufschwungsphase.

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