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Neue Richtwerte für Aufgriffsrechte in Gesellschaftsverträgen nach jüngster OGH-Entscheidung

Aufgriffsrechte sind gesellschaftsvertraglich festgehaltene Regelungen, die es den Gesellschaftern ermöglichen, bei Eintritt bestimmter Bedingungen – beispielsweise bei Insolvenz eines Gesellschafters – die Übertragung des betreffenden Gesellschaftsanteils zu verlangen. Zweck dieser Regelungen besteht insbesondere im Schutz der Gesellschafter vor dem Eintritt fremder – und womöglich ungewollter – Dritter in die Gesellschaft. Der Umfang der konkreten Gestaltungsmöglichkeiten ist in der Lehre durchaus umstritten. In seiner kürzlich ergangenen Entscheidung vom 12.05.2021 zur Geschäftszahl 6 Ob 86/21x hatte sich der Oberste Gerichtshof (OGH) unter anderem mit ebendieser Thematik abermals auseinanderzusetzen. Die Entscheidung brachte zwar mehr Klarheit hinsichtlich der Gestaltungsmöglichkeiten von Aufgriffsrechten in Gesellschaftsverträgen, ließ jedoch weiterhin Fragen offen.

Sachverhalt

Eine GmbH beabsichtigte eine Änderung des Gesellschaftsvertrages vorzunehmen, wonach künftig bei der Ausübung des Aufgriffsrechtes ein Abtretungspreis zu zahlen sein sollte, der sich mit 50% des zu ermittelnden Unternehmenswerts bestimmen würde. Als Fälle des Aufgriffsrechtes waren unter anderem die rechtskräftige Nichteröffnung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens, die Befriedigungsexekution auf den Geschäftsanteil sowie die rechtskräftige Eröffnung des Konkurses über das Vermögen eines Gesellschafters vorgesehen. Konsequenz dieser Änderung des Gesellschaftsvertrages wäre, dass für nicht von Aufgriffsrechten betroffene Fälle des Gesellschafterwechsels, wie beispielsweise die nicht zustimmungspflichtige Veräußerung eines Geschäftsanteils im Familienkreis, der für Aufgriffsrechte geltende Abtretungspreis nicht gelten würde, sondern – mangels Regelung im Gesellschaftsvertrag – zwischen den Parteien des Abtretungsvertrags frei vereinbart werden könnte.

Entscheidung

Der OGH bestätigte die Entscheidung der Unterinstanzen und sprach sich unter Bezugnahme auf seine bereits erlassene Entscheidung zu 6 Ob 64/20k damit gegen die Zulässigkeit der vorgenannten Regelung im Gesellschaftsvertrag aus. Ausschlaggebend für die Unzulässigkeit war, dass bei der Ausübung des Aufgriffsrechtes zwischen der Art des Ausscheidens differenziert wurde. Der OGH hält somit an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach alle Fälle eines Gesellschafterwechsels – und zwar auch abseits von Aufgriffsfällen – in Bezug auf den Abfindungsanspruch gleich zu behandeln sind, unabhängig davon, ob der Austritt freiwillig oder nicht erfolgt. Die Ratio dieser Gleichbehandlungspflicht liegt im Gläubigerschutz. Denn im Exekutions- oder Insolvenzfall eines Gesellschafters dürfen dessen Gläubiger nicht durch eine Abfindungsbeschränkung geschädigt oder benachteiligt werden.

Praxis

Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung eine notwendige Überprüfung bestehender Gesellschaftsverträge auf etwaige Ungleichbehandlungen im Falle eines Gesellschafterwechsels. Solche Differenzierungen sind im Lichte der neuen OGH Judikatur jedenfalls nicht (mehr) zulässig.

Offen geblieben ist auch nach dieser Entscheidung des OGH, wie hoch die Abschläge bei Aufgriffsrechten letztlich sein dürfen. Ob ein, wie im konkreten Fall beabsichtigter, Abschlag von 50% des Verkehrswertes zulässig ist, wurde vom Senat aufgrund der fehlenden Entscheidungsrelevanz nicht weiter behandelt.

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