swissVR-Monitor: Sie haben bereits in jungen Jahren damit angefangen, sich KI-Kompetenzen anzueignen. Welche Rolle spielen Erfahrung und Fachkompetenz zu generativer KI auf der Ebene des Verwaltungsrats?
Kriti Sharma: Wir erleben aktuell, dass Fachleute und Wissenschaftler innerhalb von Minuten Arbeiten erledigen, für die sie früher Stunden gebraucht hätten. Beispielsweise können Anwälte mithilfe von KI in Minutenschnelle einen Vertrag aufsetzen, Software-Ingenieure mit Hilfe von KI Code im Pair-Programming erstellen und Forscher bisher ungelöste Probleme im Gesundheitswesen überwinden. Das verändert nicht nur unsere Arbeitsmethoden, sondern auch, welche Tätigkeiten wir überhaupt noch ausführen. Bei einer Technologie, die das Potenzial hat, einen derartigen Wandel herbeizuführen, müssen Verwaltungsräte unbedingt die Führung übernehmen, nicht nur, um die Effizienz und Produktivität des Unternehmens zu steigern, sondern auch, um den Stakeholdern neue Werte zu bieten. Mit der zunehmenden Verbreitung von KI werden zukünftig immer mehr Tätigkeiten von Menschen ausgeführt, die eigentlich nicht die traditionellen Qualifikationen dafür haben. Das wird wiederum zu einer Veränderung der typischen Karrierewege und Einstellungspraktiken führen. Und das kann auch eine Diversifizierung auf Verwaltungsratsebene mit sich bringen – Erfahrung und Fachwissen in Bezug auf generative KI sind nur ein Teil davon. Der Fokus wird zunehmend auf Fähigkeiten liegen, die Organisationen am besten dabei helfen können, das Potenzial der KI zu nutzen.
swissVR-Monitor: Unsere Befragungsergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der Verwaltungsratsmitglieder selten oder nie generative KI-Tools für das eigene Mandat verwendet. Was sind aus Ihrer Sicht geeignete Anwendungsbeispiele generativer KI-Tools in der VR-Tätigkeit?
Kriti Sharma: Zunächst möchte ich das Offensichtliche festhalten: Verwaltungsräte befassen sich mit höchst sensiblen und vertraulichen Angelegenheiten und sollten daher nur Tools verwenden, die für den Einsatz in Unternehmen ausgelegt sind und die den strengen Vorschriften sowie Datenschutz- und Sicherheitsrichtlinien entsprechen, die für Verwaltungsratsangelegenheiten erforderlich sind. Allerdings können generative KI-Tools beim kritischen Reflektieren Denkanstösse geben und dabei helfen, grosse Mengen an Informationen zusammenzufassen. Sie können auch Verwaltungsräten dabei helfen, mit der sich schnell verändernden globalen Landschaft Schritt zu halten – zum Beispiel bei Vorschriften und Governance-Angelegenheiten.
swissVR-Monitor: Ebenfalls die Mehrheit der Befragten gibt an, dass ihr Verwaltungsrat nicht über genügend Fachwissen zu generativer KI verfügt. Was bedeutet dies für die VR-Zusammensetzung – braucht es einen KI-Experten an Bord?
Kriti Sharma: Auf jeden Fall. Es handelt sich um ein transformatives, hochtechnisches und komplexes Gebiet mit weitreichenden Auswirkungen auf das Unternehmen. Daher müssen Verwaltungsräte, die nicht bereits über das entsprechende Fachwissen verfügen, dieses einholen; entweder in Form von Beratern oder direkt durch die Anstellung von Fachleuten bei der Nachfolgeplanung oder durch die Schaffung einer neuen Funktion. Es ist sehr wichtig, dass ein Experte in den Verwaltungsrat berufen wird, der praktische Erfahrung in der Entwicklung, dem Einsatz und der Kommerzialisierung von KI hat, der aber auch einen Beitrag zur allgemeinen Verwaltungsratsagenda leisten kann und nicht nur im Bereich Technologie/Innovation sachkundig ist. Darüber hinaus ist es unentbehrlich, dass die Führungsteams KI-Fachwissen erwerben, sofern dies nicht bereits geschehen ist.
swissVR-Monitor: Welchen Ratschlag haben Sie für ein einzelnes VR-Mitglied, das sich mit generativer KI bis dato schwertut, aber gerne die notwendige Kompetenz auf diesem Gebiet erwerben will?
Kriti Sharma: Fangen Sie klein an und verwenden Sie diese Tools im Alltag, um die Auswirkungen auf Ihre eigene Produktivität zu sehen. Wenn Sie sich mit den Möglichkeiten der KI zur Verbesserung Ihrer persönlichen Arbeit auseinandersetzen, erkennen Sie auch, was sie für das gesamte Unternehmen leisten kann. Die wichtigsten menschlichen Fähigkeiten, die wir brauchen, um das Beste aus der generativen KI herauszuholen, sind Neugierde, Vorstellungskraft und die Fähigkeit, gut durchdachte Fragen zu stellen. Die Technologie selbst ist sehr einfach zu bedienen und nimmt einem die Arbeit ab. Verwaltungsratsmitglieder sind darauf spezialisiert, gute Fragen zu stellen und haben einen Riecher dafür, was die Zukunft bringen könnte. Das gibt ihnen einen natürlichen Vorteil, wenn es darum geht, den grösstmöglichen Nutzen aus generativer KI zu ziehen.
swissVR-Monitor: Welche Weiterbildungsmöglichkeiten oder Programme würden Sie Verwaltungsräten empfehlen, um Ihre Kompetenz in generativer KI zu stärken?
Kriti Sharma: Dieser Bereich entwickelt sich unglaublich schnell und hat aktuell Auswirkungen auf die meisten Aspekte von Unternehmen und Organisationen. Daher besteht ein realer Handlungsbedarf, Schulungen zur generativen KI in alle Programme für Verwaltungsräte aufzunehmen – von Cybersicherheit und Digitaltechnik bis hin zu Corporate Governance, Risiko, Compliance, Audit und Vergütungs-/Nominierungsprogrammen, wie sie bei den meisten Schulungen für Verwaltungsratsmitglieder durchgeführt werden. Konkret erkenne ich drei Bereiche, in denen spezielle Schulungen und Weiterbildungen erforderlich wären:
- KI-Strategie: Anwendungen von KI im Unternehmen und Auswirkungen auf Geschäftsmodelle, um eine KI-Strategie zu entwickeln und die Dringlichkeit (oder fehlende Dringlichkeit) von Massnahmen für die Talentstrategie, Lieferantenrisiko, Beschleunigung von Innovationen usw. zu modellieren.
- Verantwortungsvoller Einsatz der KI: Verwaltungsräte müssen die Governance der KI-Nutzung und -Entwicklung zum Nutzen aller von ihnen vertretenen Interessengruppen beaufsichtigen.
- Regulatorische Landschaft: Im Rahmen des jetzt in Kraft getretenen KI-Gesetzes der EU müssen Verwaltungsräte den Einsatz beaufsichtigen und anderen zukünftigen Richtlinien und Vorschriften voraus sein.
Kriti Sharma
Chief Product Officer, LegalTech, Thomson Reuters und Verwaltungsratsmitglied von Rightmove PLC
Kriti Sharma ist Chief Product Officer LegalTech bei Thomson Reuters und Verwaltungsratsmitglied bei Rightmove sowie Gründerin von AI for Good UK. Sie ist eine Innovatorin, Product Leaderin und eine weltweit gehörte Stimme zum Thema KI und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Kriti Sharma wurde in die Forbes-Liste der „30 under 30“ im Bereich Technologie aufgenommen und ist Google Grace Hopper Scholar und Gewinnerin des Google Women in Engineering Award. Im Jahr 2017 gründete sie AI for Good, eine Organisation, die mithilfe von KI und Daten einige der grössten globalen Herausforderungen unserer Zeit, wie Gewalt, die Klimakrise und die psychische Gesundheit, angehen will. Kriti Sharma schreibt regelmässig für die Financial Times, Harvard Business Review, Fortune, TechCrunch und die BBC.