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Arbeitskräfte gesucht – wie die Altersgruppe 50plus den Fachkräftemangel lindern kann
Die Herausforderungen einer alternden Bevölkerung für die Schweiz
Auswirkungen einer alternden Bevölkerung
In den nächsten Jahren wird der Anteil der Pensionierten an der Gesamtbevölkerung deutlich steigen, während der Anteil der unter 20-Jährigen relativ konstant bleiben wird. Als Resultat dieser Entwicklung dürften bereits im Jahr 2030 bis zu einer halben Million Arbeitskräfte auf dem Schweizer Arbeitsmarkt fehlen.
Vernachlässigtes Arbeitskräftepotenzial der Altersgruppe 50plus
Abhilfe schaffen könnte eine bessere Nutzung des Arbeitskräftepotenzials der Altersgruppe 50plus. In ihr schlummert heute ein zusätzliches Arbeitskräftepotenzial von 230'000 Personen. Dazu gehören Erwerbslose, Unterbeschäftigte und die stille Reserve. Sie alle möchten arbeiten oder ihr Pensum erhöhen. Noch grösser ist das zusätzliche Potenzial allerdings bei den 50 bis 64-Jährigen, die bereits im Arbeitsmarkt sind, aber über das offizielle Rentenalter hinaus weiterarbeiten möchten. Gemäss repräsentativer Umfrage von Deloitte Schweiz möchten dies 580'000 Personen, was 40% aller Erwerbspersonen im Alter zwischen 50 und 64 entspricht. 35% möchten in einer Teilzeitstelle weiterarbeiten, 5% Vollzeit.
Grosser Unterschied zwischen Wunsch und Realität
Obwohl 40% aller Erwerbspersonen im Alter zwischen 50 und 64 Jahren über die Pensionierung hinaus arbeiten möchten, gehen die wenigsten davon aus, dass sie dies auch effektiv tun werden. Der Unterschied zwischen Wunsch und erwarteter Wirklichkeit ist gross. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den bereits pensionierten Personen: 66% von ihnen hatten gar nicht die Möglichkeit weiterzuarbeiten, obwohl fast jeder Zweite davon eigentlich hätte weiterarbeiten wollen.
Der durch das fixe Rentenalter festgesetzte Automatismus in den Köpfen, die begrenzten Angebote zur Weiterbeschäftigung in den Unternehmen, aber auch finanzielle Fehlanreize führen dazu, dass heute nicht mehr Erwerbstätige über das Rentenalter hinaus arbeiten, obwohl sie eigentlich gerne möchten.
Wie kann die Schweiz das Potenzial älterer Arbeitskräfte besser ausschöpfen?
Was können Unternehmen tun?
Als erster Schritt gilt es, das Thema zu priorisieren. Nur wer die Integration und Weiterbeschäftigung von älteren Personen in der übergeordneten Unternehmensstrategie verankert und zur Chefsache macht, wird das Arbeitskräftepotenzial ausschöpfen können. Entscheidend ist, dass die Wichtigkeit der Thematik von ganz oben erkannt und strategisch verankert wird. Nur so kann sie in alle relevanten Abläufe des Unternehmens integriert werden. Die strategische Verankerung einer besseren Integration und Weiterbeschäftigung älterer Mitarbeiter muss an klare Kennzahlen gebunden werden. Wenn sich ein Unternehmen konkrete Ziele setzt und etwa den Anteil der Personen definiert, die es über die Pensionierung hinweg behalten will, kann es sich auch daran messen lassen. Das führt dazu, dass die Verantwortlichen gezielte Anreize erhalten, das Thema zu fördern. Ähnliches wird heute bereits in anderen Bereichen unter dem Begriff Diversity umgesetzt.
Neben der strategischen Verankerung ist auch eine grundlegende Anpassung der Unternehmenskultur und des Mindsets der Führungskräfte nötig. Noch immer ist die Ansicht verbreitet, die Beschäftigung von älteren Mitarbeitern habe vor allem Nachteile, da diese teuer und weniger leistungsfähig seien als jüngere. Sind solche Vorurteile verbreitet, etwa unter Vorgesetzten, aber auch in HR-Abteilungen, werden ältere Mitarbeiter kaum dazu angehalten, länger zu arbeiten. Ebenso werden ältere Personen kaum neu eingestellt, wenn solche Vorurteile bei jenen vorherrschen, die über eine Einstellung entscheiden. Wie eine Studie von Deloitte zeigt, nimmt ein Drittel der in der Schweiz befragten Führungskräfte und Personalverantwortlichen ältere Mitarbeiter als Wettbewerbsnachteil wahr. Gleichzeitig gibt es keine Forschungsergebnisse, die einen Leistungsunterschied zwischen den Generationen belegt.
Entscheidend ist deshalb, dass eine breite Sensibilisierung aller Vorgesetzten und Personalverantwortlichen stattfindet und die Vorteile älterer Mitarbeiter wie etwa die Arbeitsexpertise in den Vordergrund gerückt werden.
Dieser Kulturwandel muss proaktiv gefördert werden. Es reicht nicht, die Führungskräfte lediglich darüber zu informieren. Notwendig ist ein umfassendes Change Management. Führungskräfte müssen begleitet und entsprechend geschult werden, damit der Kulturwandel herbeigeführt werden kann.
Sobald das Thema strategisch fest verankert und ein Kulturwandel angestossen wurde, ist eine strategische Personalplanung nötig. Damit Unternehmen das Potenzial älterer Mitarbeiter optimal ausschöpfen können, ist eine saubere Auslegung aller verfügbaren Daten notwendig – ein Unternehmen muss die Alters- und die Ausbildungsstruktur der Belegschaft genau kennen. Es muss ersichtlich sein, in welchen Abteilungen und Bereichen es in Zukunft einen Arbeitskräftemangel geben wird und wo wie viel zusätzliches Potenzial von älteren Personen steckt, die gerne länger arbeiten möchten.
Dasselbe gilt für die Kompetenzen. Ein Unternehmen sollte genau wissen, welche Kompetenzen seine Mitarbeiter aufweisen, welche in Zukunft benötigt werden und mit welchen Fortbildungsmassnahmen diese zu erreichen sind. Hilfreich hierzu ist die Durchführung einer systematischen Kompetenzanalyse. Wichtig ist, dass die einzelnen Vorgesetzten in die strategische Personalplanung eingebunden werden. Sie können häufig besser einschätzen, welche künftigen Qualifikationen und Arbeitskräfte gebraucht werden. Die Umsetzung dieser Strategie muss auch in kontinuierliche Standortgespräche zwischen den Vorgesetzten und der Unternehmensführung einfliessen.
Sind die strategischen Grundlagen geschaffen und der Kulturwandel angestossen, sollten Unternehmen als vierten Schritt konkrete Einzelmassnahmen ins Auge fassen, die dabei helfen können, ältere Mitarbeiter länger im Arbeitsleben zu halten. Im Folgenden eine Auswahl an wichtigen Massnahmen:
- Anpassung der Arbeitsmodelle
- Anpassung der Arbeitsinhalte
- Anpassung der Arbeitsverhältnisse
- Bildung von generationsübergreifenden Teams
- Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit
- Investition in Gesundheitsmanagement
Ist das Thema strategisch angegangen worden und sind konkrete Massnahmen umgesetzt, muss in einem fünften Schritt der Dialog mit jedem einzelnen Mitarbeiter gesucht werden. Mittels regelmässiger Standortgespräche lassen sich die Absichten und Wünsche sowohl der Mitarbeiter als auch des Unternehmens identifizieren. So können die Arbeitsdauer und Pensionierungswünsche offen thematisiert werden und im Idealfall für beide Seiten bevorzugte Lösungen gefunden werden, damit Mitarbeiter länger arbeiten können. Im Fokus dieser Standortgespräche müssen somit die Weiterentwicklung und Zukunftsabsichten des Mitarbeiters sein.
Wichtig ist, dass diese Gespräche nicht erst ab dem sechzigsten Lebensjahr mit dem Mitarbeiter geführt werden, sondern bereits viel früher. Die Berücksichtigung und Einbindung des Lebenspartners durch bspw. Informationsveranstaltungen ist ebenfalls erfolgsversprechend, da Mitarbeiter ihre Pensionierungsabsichten oftmals mit ihren Lebenspartnern abstimmen. Frühzeitige Standortabstimmungen können direkt zusätzliches Potenzial mobilisieren. Laut der Umfrage von Deloitte wären nämlich fast 50% der bereits Pensionierten bereit gewesen, länger zu arbeiten, wenn der Arbeitgeber frühzeitig auf sie zugekommen wäre und diese Möglichkeit in einem Standortgespräch diskutiert hätte.
Was kann der Staat tun?
Verbesserung der Rahmenbedingungen:
- Aufhebung des Automatismus durch Flexibilisierung des Rentenalters
- Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung
- Verbesserung der Anreize für längeres Arbeiten
- Glättung der nach Alter abgestuften BVG-Beiträge
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