Was die Schweiz braucht, um den Anschluss im Gesundheitsbereich nicht zu verpassen

Interview mit Jörg-Michael Rupp, Leiter von Roche Pharma International I7 Area

Die Pandemie hat die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems offenbart. Jetzt gilt es, die Erkenntnisse zu nutzen, daraus zu lernen und das Post-Covid-Gesundheitssystem stärker zu machen. Jörg-Michael Rupp, Leiter von Roche Pharma International I7 Area, und Laveshni Reddy, Unternehmensberaterin bei Deloitte, darüber, was die Schweiz auszeichnet und wie sie sich ändern muss, um ihre gute Position in der Pharmabranche zu halten.

Was die Schweiz braucht, um den Anschluss im Gesundheitsbereich nicht zu verpassen

Warum die Schweiz bei biopharmazeutischen Innovationen so erfolgreich ist

Die Schweiz ist nach wie vor die Heimat einiger der weltweit bedeutendsten Gesundheitseinrichtungen sowie vieler erfolgreicher Start-ups und Spin-offs. Jörg-Michael Rupp, Leiter von Roche Pharma International I7 Area, führt dies auf drei Faktoren zurück:

  • Erstens, das berechenbare und stabile politische und wirtschaftliche Umfeld in der Schweiz.
  • Zweitens die sehr enge und vorbildliche Zusammenarbeit zwischen den akademischen Institutionen und der Privatwirtschaft.
  • Drittens der Zugang zu globalen Talenten dank der Attraktivität der Schweiz als Land.

Was die Attraktivität der biopharmazeutischen Industrie der Schweiz betrifft: Ihre Investitionen sind etwa doppelt so hoch wie ihr Umsatz. Das sind heute fast sieben Milliarden Franken und macht die Schweiz in dieser Hinsicht einzigartig.

Die Bedeutung der Vielfalt für die Innovation

Mehrere Deloitte-Studien bestätigen, dass Diversität eine Schlüsselkomponente ist, um als globales Unternehmen erfolgreich zu sein. Und Jörg-Michael Rupp betont die Wichtigkeit von Diversität speziell für die Innovation. Schlüsselfaktoren seine die internationale Vielfalt sowie die Geschlechtervielfalt: "Obwohl die Schweiz bereits eine international vielfältige Belegschaft hat, ist es wichtig, offen zu bleiben, um Talente in die Schweiz zu holen. Und auch die Geschlechtervielfalt ist absolut entscheidend. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren haben wir in diesem Bereich enorme Fortschritte erzielt, und die Zahl der Frauen in Führungspositionen ist von 20 auf etwa 40 Prozent gestiegen. Das ist bemerkenswert, aber es muss noch mehr getan werden. Es ist eine Aufgabe, die aktuell bleibt."

Wie man mehr Vielfalt in Prüfgruppen erreichen kann

Die Vielfalt in klinischen Studien ist seit einigen Jahren ein grosses Diskussionsthema. Die Pandemie hat deutlich gemacht, wie schwierig es ist, Patienten aus ethnischen Minderheiten für Studien zu rekrutieren. Seitdem haben die Pharmaunternehmen ihre Bemühungen in dieser Hinsicht intensiviert.

Gemäss Jörg-Michael Rupp sind Vertrauen und Zusammenarbeit die Grundlage für die Rekrutierung einer vielfältigen Studiengruppe in der Entwicklung von Arzneimitteln. Die Pharmaindustrie täte also gut daran, dieses Vertrauen mit Patienten verschiedener ethnischer Gruppen aufzubauen, indem sie in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen präsent ist und zum Beispiel die Auswahl der klinischen Prüfzentren überdenkt.

Schweiz: Was während der Pandemie gut lief

In der Schweiz hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) von Beginn der Pandemie an einen Dialog mit allen relevanten Akteuren eingeleitet. Pharmaunternehmen wie Roche haben dazu beigetragen, dass Impfstoffe und Behandlungsmöglichkeiten für COVID-Patienten sehr schnell auf den Markt gebracht werden konnten. Und die medizinische Versorgungskette hat sich als widerstandsfähig erwiesen.

Die wichtigsten Lehren aus der Pandemie

Wir brauchen Daten, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Schweiz mit ihrem stark fragmentierten Gesundheitssystem braucht dringend eine integrierte Datenplattform. Die Pandemie hat dies sehr deutlich gezeigt, als Covid-Testresultate und Positivitätsraten der Patienten per Fax an das BAG geschickt wurden. "Alle lachen darüber. Wir sollten uns aber besser überlegen, wie wir diese Daten zusammenführen, zugänglich machen und richtig verwalten", sagt Rupp.

Die Pandemie hat nicht nur in der Schweiz, sondern rund um den Globus Lücken im Gesundheitssystem aufgezeigt. Was wir in der Schweiz vorantreiben wollen, sind beschleunigte Zulassungsverfahren für neue Produkte. Ausserdem haben wir festgestellt, dass das Gesundheitssystem nicht auf Herausforderungen wie eine Pandemie vorbereitet ist, und abgesehen davon auch nicht auf eine generelle Verbesserung der Gesundheitsversorgung.

Die Rolle der Digitalisierung

Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Big Data treiben Innovation und Effizienz in der gesamten Pharmabranche voran. Damit wäre es nicht nur möglich, eine Krise wie die Pandemie leichter zu bewältigen, sondern auch auf eine Verbesserung des Gesundheitssystems und der Ergebnisse aktueller und künftiger Behandlungen hinzuarbeiten. Die Schweiz befindet sich theoretisch in einer privilegierten Position, da sie Zugang zu den Daten anderer Akteure des Gesundheitswesens erhalten könnte, da sich alle weltweit relevanten Akteure in der Schweiz befinden. Das fragmentierte Schweizer Gesundheitssystem macht die Datenverfügbarkeit jedoch komplexer, und es gibt viele offene Fragen, wie die Nutzung der Daten geregelt werden kann. Wenn sich die Bedingungen für Innovation und Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen nicht weiter verbessern, werden Talente und Investitionen in andere Teile der Welt abwandern. Schon heute liegt die Zahl der in der Schweiz erteilten Patente im Bereich der medizinischen oder gesundheitlichen Innovation im europäischen Mittelfeld. Das ist nicht schlecht, aber auch nicht gut.

Patientenzentrierte Gesundheitsversorgung erfordert Zugang zu Innovationen

Nun da Patienten immer selbstbestimmter ihre Daten verwalten können, Zugang zu ihren Daten haben und mehr Kontrolle über sie ausüben können, ist die patientenzentrierte Gesundheitsversorgung ein wichtiges Ziel für die Zukunft. Der verstärkte Einbezug der Patienten wird die Ergebnisse des Gesundheitssystems im Allgemeinen und die der einzelnen Patienten verbessern. Um den NHS zu zitieren, führt heutzutage alles auf folgende Mentalität zurück: "Keine Entscheidung über mich ohne mich". Jörg-Michael Rupp erklärt: "Wir alle waren schon einmal Patienten, und wir alle waren irgendwann im Heilungsprozess frustriert. Jetzt müssen wir aus dieser Frustration in jeder einzelnen Phase lernen - vom Sitzen im Wartezimmer bis zum Erhalt einer Diagnose oder einer Behandlung. Wir müssen uns überlegen, was wir online tun können: Wie können wir besser mit den Patienten in Kontakt treten? Wie sieht die Patienten-Journey wirklich aus? Klar ist, dass die Patientenzentrierung nicht von einzelnen Akteuren angegangen werden kann. Jeder im Gesundheitssystem muss sich an den Bemühungen beteiligen.

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Managing Partner for Life Sciences and Health Care

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