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Trotz steigender Gesundheitskosten: 45 Prozent der Menschen in der Schweiz lehnen Digitalisierung ihrer Gesundheitsdaten ab
Zürich/Genf, 14. Dezember 2022
Die Menschen in der Schweiz stehen der digitalen Erfassung und Weitergabe ihrer Gesundheitsdaten skeptisch gegenüber. Fast jede und jeder Zweite ist dazu nicht bereit. Das geht aus der neuen Deloitte-Studie «Digitalisierung der Gesundheitsdaten: grosse Chancen, grosse Skepsis» hervor. Das mangelnde Vertrauen kann jedoch durch Aufklärung und Transparenz sowie durch Aufzeigen des möglichen Nutzens digitalisierter Gesundheitsdaten für die Menschen selbst wie auch für das Gesundheitswesen als Ganzes gestärkt werden. Einerseits ist nun die Politik gefordert, die öffentliche Debatte über ein einheitliches, ausreichend gesichertes und überwachtes digitalisiertes Gesundheitssystem anzuregen und auf Bundesebene die notwendigen Voraussetzungen für dessen nachhaltige und einheitliche Umsetzung zu schaffen. Andererseits müssen sich die Anbieter digitaler Lösungen, die medizinischen Einrichtungen und die Fachkräfte im Gesundheitswesen stärker um das Vertrauen der Patientinnen und Patienten bemühen und die Vorteile einer Digitalisierung hervorheben. Zu den wichtigsten Vorteilen einer systematischen Digitalisierung gehört das Potenzial für erhebliche Effizienz- und Effektivitätssteigerungen, und zwar insbesondere im Hinblick auf die Patientenversorgung sowie auf die schon seit Langem immer komplexer werdenden Abläufe.
Die Erfahrungen im Ausland und erste Schritte in der Schweiz bestätigen es: Ein systematisch digitalisiertes Gesundheitswesen hat für alle Beteiligten viele Vorteile. Die standardisierte Erfassung, Speicherung und Weitergabe von gesundheitsrelevanten Informationen wie Blutwerte, Laboranalysen, Therapieergebnisse, abgegebene Medikamente, Leistungsabrechnungen oder Therapiekosten bietet enormes Potenzial. Patientinnen und Patienten kämen so beispielsweise in den Genuss wirksamerer Behandlungen, die Qualität der medizinischen Versorgung könnte insgesamt verbessert werden und eine stärkere Vernetzung könnte die betriebliche Effizienz steigern und damit Kostensenkungen ermöglichen.
Im internationalen Vergleich hinkt die Schweiz bei der Digitalisierung indes noch weit hinterher. Damit dieser Rückstand kleiner wird, braucht es mehr Vertrauen der Patientinnen und Patienten in digitale Technologien und Datenaustausch. «Die Akteure im Gesundheitssystem müssen den Patientinnen und Patienten aufzeigen, wie digitale Lösungen ihre Gesundheit verbessern und die Abläufe im Gesundheitswesen vereinfachen können. Ein weiterer massgeblicher Aspekt ist der erforderliche Nachweis, dass der Datenschutz gewährleistet ist. Das schafft mehr Vertrauen in das System», so Kishwar Chishty, Partnerin Risk Advisory bei Deloitte Schweiz und Deloitte Global Life Sciences Industry Cyber Lead.
Breite Skepsis gegenüber digitalisierten Gesundheitsdaten
Eine Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens setzt voraus, dass die Bevölkerung freiwillig einen Grossteil ihrer gesundheitsrelevanten Daten erfassen lässt und einem Austausch dieser Daten zwischen den verschiedenen Interessengruppen in geeigneter Form zustimmt. Doch ist eine solche Bereitschaft überhaupt realistisch? Die jüngste Umfrage des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Deloitte Schweiz liefert Antworten. Gemäss dieser repräsentativen Umfrage mit 1’500 Teilnehmenden will fast die Hälfte (45%) nicht, dass ihre Gesundheitsdaten digital gespeichert und weitergegeben werden. Unter den befragten Frauen ist die Ablehnung (48%-Nein-Anteil) sogar noch etwas ausgeprägter. «Unsere Befragung lässt darauf schliessen, dass viele Menschen in der Schweiz befürchten, die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten zu verlieren», so Chishty.
Der hohe Anteil der Befragten, die sich noch keine Meinung gebildet haben (20%), lässt aber hoffen. Transparente, sichere und verständliche Lösungen, die berechtigte Bedenken aufgreifen und Patientinnen und Patienten einen konkreten Nutzen bieten, könnten die vorhandene Skepsis nämlich mindern. «Unsere Umfrageergebnisse kommen für mich einem Appell an die Vertreterinnen und Vertreter des Schweizer Gesundheitswesens gleich, ihr Engagement für eine Digitalisierung zu erhöhen», sagt Annieck de Vocht, Leiterin Healthcare bei Deloitte Schweiz.
Mehr Vertrauen durch mehr Transparenz
Die Deloitte-Umfrage zeigt, dass die potenziellen Gefahren stärker gewichtet werden als der Nutzen. Das deutet darauf hin, dass in der Bevölkerung noch kein ausreichend hohes Bewusstsein für die konkreten Vorteile vorhanden ist. «Es braucht eine offene und transparente Kommunikation über Chancen und Risiken eines digitalisierten Gesundheitswesens. Dazu müssen alle Interessengruppen ihren Beitrag leisten. Denn schliesslich kommt die Weitergabe von Gesundheitsdaten dem Gesundheitswesen als Ganzes zugute», so De Vocht.
Patientinnen und Patienten könnte schneller geholfen werden, die Diagnosegenauigkeit würde erhöht und die Früherkennung vieler Krankheiten überhaupt erst möglich. «Künftig werden wir mit steigenden Patientenzahlen bei einer gleichzeitig stagnierenden Zahl von medizinischen Fachkräften konfrontiert sein. Diese Tatsache macht ein speditiveres Gesundheitswesen unumgänglich. Ohne Digitalisierung werden wir auf lange Sicht unseren hohen Standard im Gesundheitswesen nicht halten können», warnt De Vocht.
Das fehlende Vertrauen in die Leistungserbringer und die Angst vor Datenmissbrauch hängen zu einem erheblichen Teil damit zusammen, dass die Patientinnen und Patienten nicht wissen, wann und wie ihre Gesundheitsdaten digital erfasst werden und wer danach Zugriff auf sie hat. Nur ein Drittel der Befragten ist zum Beispiel der Ansicht, dass auch die medizinische Forschung von digitalisierten Gesundheitsdaten profitieren kann. Die Bereitschaft der Befrag¬ten zur Weitergabe ihrer persönlichen Gesundheitsdaten wäre jedoch viel grösser, wenn dies in anonymisierter Form erfolgen könnte. So hätten diese Gewissheit, dass sie nicht zu einem späteren Zeitpunkt identifiziert werden können.
Persönliche Kontakte senken die Hemmschwelle
Wo ein persönlicher Kontakt besteht, etwa zum Hausarzt oder der Apothekerin, ist das Vertrauen und die Bereit¬schaft, mit dieser Person die eigenen Gesundheitsdaten zu teilen, höher. Uneingeschränkter Zugriff auf die persönlichen Gesundheitsdaten wird am ehesten den behandelnden Ärztinnen und Ärzten (58%) gewährt. Wird im Vorfeld eine Einverständniserklärung eingeholt, steigt die Bereitschaft sogar auf 94 Prozent.
Als Vertrauenspersonen wären medizinische Fachkräfte die idealen «Digitalisierungs-Botschafter», um bei Patientinnen und Patienten Aufklärungsarbeit zu leisten und die Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens voranzutreiben. Damit diese jedoch eine solch herausfordernde Aufgabe stemmen können, braucht es entsprechende Unterstützungsstrukturen, Fachkenntnisse und Netzwerke. Mehr noch: «Vertrauenswürdige Meinungsführerinnen und Meinungsführer aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft müssen die positiven Effekte eines digitalisierten Gesundheitswesens in Form konkreter Beispiele aus der Praxis vermitteln», so Patricia Gee, Life-Sciences-Partnerin und Leiterin der Future of Health Initiative bei Deloitte Schweiz.
Verstehen die Menschen den Verwendungszweck oder die damit verbundenen Vorteile, sind sie eher bereit, ihre persönlichen Gesundheitsdaten in digitaler Form preiszugeben. So hätte beispielsweise jede dritte befragte Person keine Einwände gegen die Weitergabe von Daten, wenn dadurch ihre eigene Gesundheitsversorgung verbessert und eine auf sie zugeschnittene Behandlung gewährleistet würde.
Handlungsempfehlungen an die Interessengruppen
Auch die besondere Erschwernis, die das föderalistische Entscheidungssystem in der Schweiz für ein systematisch digitalisiertes Gesundheitssystem darstellt, kann überwunden werden. Das setzt jedoch politischen Willen voraus und die Bereitschaft aller Interessensgruppen im Gesundheitswesen, gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden und für diese einzustehen. «Für eine erfolgreiche Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens bräuchte es mit Blick auf die Erfassung und den Austausch von Daten eine bessere Systemkompatibilität zwischen den verschiedenen Spitälern sowie den übrigen Gesundheitsdienstleistern. Gleichzeitig braucht es auch eine engere Zusammenarbeit der Spitäler mit den Krankenversicherern und der Branche insgesamt sowie mit den – im Gesundheitswesen zentralen – kantonalen Akteuren, wobei seitens des Bundes gewisse Governance-Vorgaben zwingend wären», meint De Vocht.
«In einem auf hohe Qualität ausgerichteten Gesundheitssystem wie demjenigen in der Schweiz müssen insbesondere die potenziellen Vorteile der Digitalisierung hervorgehoben werden», erklärt Patricia Gee. Der Branche rät sie, kontinuierlich und transparent am Thema dranzubleiben und einen offenen Dialog mit allen Stakeholdern zu führen.