Wirtschaftliche Auswirkungen auf die Schweiz

Perspektiven

Brexit

Wirtschaftliche Auswirkungen auf die Schweiz

Nach dem Referendum vom Donnerstag, dem 23. Juni, ist (noch) nichts sicher. Die Brexit-Befürworter gewannen diese Abstimmung zwar, der Austritt jedoch wurde noch nicht offiziell beantragt. Solange die britische Regierung keine offizielle Mitteilung gemäss Artikel 50 des Lissabon-Vertrags über den Austritt des Landes aus der EU einreicht, ändert sich formell nichts. Veränderungen wird es jedoch mit ziemlicher Sicherheit geben, und Unsicherheit und Marktvolatilität werden weiterhin hoch bleiben, bis deutlicher wird, wie diese aussehen werden.

4 July 2016

Marktreaktionen

Brexit und der Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008 haben einige Gemeinsamkeiten. Letzterer war ein wirtschaftlicher Schock, der eine Bedrohung für die Solvenz des Bankensystems darstellte und eine Kreditkrise auslöste. Der Brexit ist ein politischer Schock. Er wirkt sich, zumindest kurzfristig, weniger direkt auf die Wirtschaft aus, sondern wird eher über die Finanzmärkte und die negativen Folgewirkungen auf das Unternehmer- und Konsumentenvertrauen spürbar werden.

Die Finanzmarktteilnehmer haben stark auf das Ergebnis des Referendums reagiert. So fiel das britische Pfund gegenüber dem US-Dollar auf den tiefsten Stand seit 30 Jahren. Auch andere Vermögenspreise schwankten stark und die Volatilität dürfte auf absehbare Zeit hoch bleiben.
Warum reagieren die globalen Märkte so stark auf dieses Ereignis in Grossbritannien? Die Antwort lautet: Anleger mögen keine Unsicherheit.

Das Ergebnis des Referendums erzeugte eine erhebliche Verunsicherung, und zwar nicht nur für den Konjunkturausblick Grossbritanniens, sondern auch für den Rest Europas. Aus politischer Sicht zeigt das Ereignis die Stärke von Protektionismus und dem Willen zur Abschottung, beides Strömungen, die in den letzten Monaten sowohl in Europa als auch in den USA zunehmend die Oberhand gewinnen. Die Anleger sind folglich auch bezüglich der Zukunft der Globalisierung beunruhigt.

Brexit: Economic impact for Switzerland

Auswirkungen auf die britische Wirtschaft

Ausländische Investoren könnten sich bei Investitionen in Grossbritannien zurückhaltend zeigen. Ein solcher Käuferstreik würde zu einer weiteren Schwächung des britischen Pfund führen, zumal Grossbritannien ausländisches Kapital zur Deckung seines Leistungsbilanzdefizits benötigt.

Die Konsumausgaben machen zwei Drittel des britischen BIP aus, sodass die Verbraucher ihre Ausgaben in ähnlichem Ausmass wie 2009-2010 zurücknehmen müssten, damit es zu einer Rezession kommt. Leider ist es durchaus möglich, dass sich eine Mischung aus Unsicherheit und einer durch hohe Inflation und niedrigeren Einnahmen geschwächten Kaufkraft genau diesen Effekt bewirken könnte.

Allerdings scheint sich Grossbritannien in Bezug auf die Fundamentaldaten in einer guten Verfassung zu befinden. Das Land belegt in den Wettbewerbsranglisten der Weltbank, des Weltwirtschaftsforums und der Heritage Foundation neben Ländern wie Schweiz, Niederlande, Dänemark und Australien Spitzenplätze. Diese Wettbewerbsstärke spricht dafür, dass Grossbritannien über die Flexibilität und Widerstandsfähigkeit verfügt, die für das Land auf dem vor ihm liegenden Weg überlebenswichtig sein werden.

Auswirkungen auf die EU

Für die EU ist der Brexit ein ebenso grosser Schock wie für Grossbritannien. Die tiefe Besorgnis über einen möglichen Dominoeffekt zeigte sich in dem drastischen Absturz der kontinentaleuropäischen Aktienmärkte nach Bekanntgabe des Votums. Der Austritt Grossbritanniens ist für die EU der grösste Rückschlag ihrer 65jährigen Geschichte. Die Entscheidung fällt in eine Zeit, in der die EU Flüchtlingsströme, die anhaltende Krise in Griechenland und Staatsschuldenkrisen in einigen Mitgliedsländern zu bewältigen hat und gleichzeitig versuchen muss, die Eurozone gegen zukünftige Schocks abzusichern. Nach einer Zeit der schnellen wirtschaftlichen und politischen Integration in den 1990er und 2000er Jahren erlebt Europa eine viel langsamere, divergierendere Konjunkturentwicklung und eine Abschwächung seiner politischen Dynamik.

Extremere Parteien, die das politische Establishment bekämpfen, gewinnen in vielen Ländern an Boden. Die grösste unmittelbare Sorge bereitet die Gefahr eines Dominoeffekts, der bewirken könnte, dass europaskeptische Parteien in anderen Ländern der EU ebenfalls Referenden fordern. Laut einer aktuellen Umfrage von Deloitte und dem deutschen Arbeitgeberverband BDI glauben 66% der deutschen Unternehmen, dass ein Austritt Grossbritanniens zu weiteren Austritten aus der EU führen wird.

Erschwerend für die Verhandlungen Grossbritanniens mit der EU kommt hinzu, dass 2017 mehrere nationale Wahlen stattfinden, beispielsweise in den Niederlanden (März 2017), in Frankreich (April bis Mai 2017) und in Deutschland (August bis Oktober 2017).

Auch wirft die Entscheidung Grossbritanniens für einen EU-Austritt Fragen über die zukünftige Ausrichtung des Handelsblocks auf. Mit Grossbritannien verliert die EU einen massgeblichen Unterstützer für Freihandel und freie Märkte. Laut einer Analyse des Thinktanks Open Europe wird es durch den Austritt Grossbritanniens zu einer deutlichen Verschiebung der Machtverhältnisse in der Union in Richtung protektionistischerer, weniger am freien Markt orientierten Entscheidungen kommen.

Auswirkungen auf die Schweiz

Die EU ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz; Grossbritannien einer der wichtigsten. Das bedeutet, dass der Brexit neben direkten auch indirekte Auswirkungen auf die Schweiz hat. So ist Grossbritannien einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands, ein Brexit hätte negative Folgen für die Wirtschaft Deutschlands und damit indirekt auch für die Schweiz.

Es ist davon auszugehen, dass die Austrittsentscheidung auf absehbare Zeit beträchtliche Ressourcen in Brüssel binden wird. Das wird die Lösung von Problemen, die die Schweiz betreffen, wie zum Beispiel die Initiative gegen Masseneinwanderung, beeinträchtigen, denn diese rutschen auf der Prioritätenliste nach unten.

Die grösste Auswirkung des Brexit auf die Schweiz ist ein höherer Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) war darauf vorbereitet und konnte bisher die Volatilität unter Kontrolle halten. Die entscheidende Frage ist, wie lang und in welchem Ausmass eine solche Intervention der SNB erforderlich sein wird.

Die Situation stellt für die Schweiz zwar eine Herausforderung dar, aber diese ist keineswegs neu. Schweizer Unternehmen leben seit Jahrzehnten mit dem starken Franken, wobei die Herausforderungen im Umgang mit der starken Schweizer Währung vor allem in den letzten acht Jahren gross waren. Die meisten gingen erfolgreich mit dem Problem um und können bei der Bewältigung der aktuellen Schwierigkeiten auf bereits gemachte Erfahrungen zurückgreifen.

Es wird mindestens zwei Jahre dauern, bis der Austritt Grossbritanniens aus der EU vollzogen ist und neue Richtlinien und Bestimmungen festgelegt sind. So werden die Unternehmen Zeit haben , sich zu organisieren und auf die neue Realität vorzubereiten. Diese Zeit sollte für strategische Analysen und entsprechende Anpassungen genutzt werden.

Wenn der Brexit geordnet durchgeführt wird, dürften sich die langfristigen negativen Auswirkungen in Grenzen halten. Das grösste Risiko ist politischer Natur, aber der Wunsch aller betroffenen Parteien, Risiken und Unsicherheiten auf ein Minimum zu beschränken, könnte in der EU zu wichtigen und notwendigen langfristigen Reformen führen.

Auswirkungen auf Unternehmen

Die in den kommenden Wochen und Monaten unmittelbar zu erwartenden politischen, marktbezogenen und wirtschaftlichen Ereignisse sind schwer vorherzusagen und zu kontrollieren. Unternehmen müssen sich in diesem ungewissen Umfeld darauf konzentrieren, die finanziellen Auswirkungen zu kontrollieren und mit internen und externen Beteiligten zu kommunizieren.

Sechs Schritte scheinen für Unternehmen nach dem Brexit-Votum sinnvoll:

  1. Seien Sie bereit, Informationsanfragen von Stakeholdern aus Grossbritannien und anderen Ländern über die Auswirkungen der Marktvolatilität auf Ihre Bilanz und Ihre Kunden/Konkurrenten sehr kurzfristig zu beantworten
  2. Verbreitern und vertiefen Sie Ihre Szenarioanalysen und Ihre Notfallplanung.
  3. Entwickeln Sie gut durchdachte und konsequente Kommunikationsstrategien für interne und externe Stakeholder.
  4. Analysieren Siemögliche positive und negative Auswirkungen eines EU-Austritts Grossbritanniens auf zukünftige Strategien.
  5. Erarbeiten Sie detaillierte Pläne und exakte Zeitvorgaben für eventuell notwendige Verlagerungsstrategien.
  6. Ziehen Sie ein Hedging gegen mögliche Folgen, die Ihr Geschäftsmodell ernsthaft untergraben könnten in Erwägung.

Der Umgang mit ungewissen Aussichten

Für einige Unternehmen, vor allem für jene, die Grossbritannien als Drehkreuz für den Zugang zu anderen EU-Mitgliedsstaaten nutzen, werden die künftigen Bedingungen für den Zugang der Briten zum Binnenmarkt wesentlich für die Entwicklung ihrer Strategie und ihrer Geschäftsmodelle sein. Für viele von ihnen wird es in Anbetracht der langen Vorlaufzeiten, mit denen die Verlegung wesentlicher Geschäftsfelder und möglicherweise auch grösserer Mitarbeiterzahlen verbunden ist, nicht ausreichen, die weiteren Entwicklungen einfach abzuwarten. Diese Unternehmen werden eine Zeitlang unter grosser Unsicherheit Entscheidungen treffen müssen. Um sich in diesem Umfeld erfolgreich zu behaupten, bedarf es einer sorgfältigen Planung. Dabei wird es notwendig sein, Szenarien zu analysieren, Notfallpläne zu erstellen und Auslöser für die Aktivierung spezifischer Komponenten des Notfallplanes zu definieren. Ausserdem wird es darum gehen, durch frühzeitige Entscheidungen eine maximale Flexibilität sicherzustellen und Optionen für die Zukunft offenzuhalten.

Befürchtete Auswirkungen des Brexit auf Schweizer Unternehmen

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