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Mobilfunknetze der Zukunft

Offene, virtualisierte Funknetzwerke der nächsten Generation 

Für ihre extrem großen, performanten Funknetze für Smartphones, Tablets und PCs setzen die Mobilfunkunternehmen bislang auf hochspezialisierte, proprietäre Netzwerktechnik ein, bei der Hard- und Software eng miteinander verbunden sind. Aber hohe Kosten, mangelnde Flexibilität und eine geringe Anbieterauswahl drängen die Mobilfunkprovider dazu, sich offenen, standardbasierten und Software-zentrierten virtuellen Plattformen zuzuwenden: Open RAN ist hier die Lösung der Zukunft.

RAN steht für Radio Access Network, also jene Technik, die große Mobilfunkprovider an Antennenstandorten einsetzen, um Geräte wie Smartphones, Tablets und PCs ans Mobilfunknetz anzubinden und mit Daten zu versorgen. Diese Hardware ist hochgradig spezialisiert und wird weltweit nur von wenigen großen Anbietern entwickelt und vertrieben. Die Software, die diese Hardware steuert, ist häufig maßgeschneidert und proprietär. Sie wird zusammen mit der Hardware von den Anbietern geliefert und lässt sich nicht getrennt managen oder mit alternativer Software einsetzen. Entsprechend gibt es wenig Wettbewerb und nur geringen Innovationsdruck im Markt. 

The next-generation Radio Access Network

Wie funktioniert Open RAN?

Open RAN steht für einen Ansatz, beim in Remote Radio Units (RRU) und Baseband Units (BBU) auf standardisierte Hardware zu setzen, die über offene Schnittstellen verfügt und als Hardware nur eine Basisfunktionalität zur Verfügung stellt. Erst die Software, die unabhängig von der Hardware funktioniert, bringt alle notwendigen Funktionen auf die Plattform. Über Software-Updates lassen sich neue Funktionen implementieren, ohne dass in den meisten Fällen Hardware getauscht werden muss.

Open RAN verfolgt damit eine Entwicklung, wie sie bei Rechenzentren mit der Server-Virtualisierung und im Netzwerkbereich bei Software Defined Networks (SDNs) längst Standard ist. Ein virtuelles RAN entkoppelt softwaregesteuert Funktionalitäten von der zugrundeliegenden Hardware und ersetzt hochspezialisierte Hardware durch eine programmierbare RAN-Infrastruktur, die kostengünstige Standard-Hardware einsetzt. Das ermöglicht erhebliche Kosteneinsparungen bei der Anschaffung und im Betrieb und verhindert zudem den Vendor-Lock-in, weil es den Mobilfunkprovidern erlaubt, die jeweils beste Lösung aus einer Vielzahl von Anbietern zu wählen.

Da eine virtualisierte BBU in der Lage ist, auch ältere Übertragungstechniken wie 4G und 3G zu unterstützen, verringern sich potenziell auch die Investitionskosten für 5G. Der Einsatz einer einzigen Einheit senkt außerdem die Energiekosten pro Funkstandort.

Den Netzbetreibern bietet Virtualisierung ein bisher ungekanntes Maß an Flexibilität und Automatisierung beim Management des Funknetzwerks. Die programmierbare RAN-Infrastruktur macht es einfacher und kostengünstiger, neue Möglichkeiten und Funktionen an den Standorten auszurollen, ohne dass Techniker der verschiedenen Hardware-Anbieter vor Ort Geräte tauschen oder umrüsten müssen – was heutzutage oft noch üblich ist. Virtualisierung ersetzt damit die teuren, zeitintensiven Service-Einsätze vor Ort, um das Netzwerk aufzurüsten oder zu optimieren, durch zentral administrierte und automatisierte Prozesse. 

Vorteile von Open RAN im Überblick

  • Kostensenkungen beim Austausch und der Anschaffung von Hardware, weil Standard-Hardware günstiger ist und der Konkurrenzdruck zu einem höheren Wettbewerb führt
  • Kostensenkungen im Betrieb, weil sich Updates und neue Funktionen häufig per Software nachrüsten lassen und der Austausch von Geräten vor Ort durch Service-Teams entfällt
  • Schnelleres Rollout von neuen Funktionen und Funktechniken, da sie rein Software-basiert sind
  • Auswahl der technisch jeweils besten Lösungen aus einer Vielzahl von Anbietern

Status der Open-RAN-Entwicklung

Aktuell steht die Entwicklung von Open RAN noch am Anfang. Geschätzt gibt es derzeit weltweit 35 Installationen, die häufig in unterversorgten oder ländlichen Gebieten und aufstrebenden Märkten getestet werden. Diese Zahl kann sich in 2021 aber leicht verdoppeln. Obwohl es drei bis fünf Jahre dauern kann, bis die Technologie vollständig ausgereift ist, wird sich die Open-RAN-Einführung dank der Logik des Netzwerkdesigns und der strategischen Ausrichtung auf die Anforderungen der Netzbetreiber deutlich beschleunigen.

Wenn sich dieser Trend fortsetzt, hat der Markt für Open RAN das Potenzial, erheblich zu wachsen. Zahlreiche Experten erwarten zweistellige Wachstumsraten, die den Anteil von Open RAN am gesamten RAN-Markt von heute unter 1% bis 2025 auf fast 10% ansteigen lassen könnten. Wenn Regierungen Mobilfunkunternehmen per Regulation dazu verpflichten, installierte 5G-RAN-Ausrüstung nur noch von bestimmten Anbietern einzusetzen, könnten die Wachstumsraten sogar noch höher ausfallen.

Aktuelle Standardisierungsinitiativen für Open RAN

Durch die Öffnung des Marktes entsteht mit Open RAN eine neue Konkurrenz zwischen etablierten Anbietern und zukunftsorientierten neuen Marktteilnehmern. Die meisten dieser neuen Marktteilnehmer müssen sich ihre Position aber erst erarbeiten. Im Moment haben die etablierten Anbieter noch die Oberhand und gehen möglicherweise sogar gestärkt aus der Entwicklung hervor. Nichtsdestotrotz wird ein offenes RAN sie wahrscheinlich dazu zwingen, ihre Geschäftsmodelle weg von einem Hardware- und hin zu einem stärker Software-zentrierten Ansatz zu transformieren, was neue Geschäfts- und Wettbewerbsrisiken mit sich bringt.

Für die Standardisierung und Entwicklung haben sich in jüngster Vergangenheit diverse Open-RAN-Initiativen gebildet, die ein einheitliches Open-RAN-Ecosystem schaffen wollen. Dazu gehören:

  • O-RAN-Alliance (gegründet 2018)
  • OpenRAN des Telecom Infrastructure Project (TIP, gegründet 2016)
  • Open RAN Policy Coalition (gegründet 2020)
  • Open Networking Foundation (ONF, gegründet 2020)

Die O-RAN-Alliance ist derzeit weltweit führend. Seit Anfang 2020 gibt es ein Abkommen mit der TIP, um Informationen auszutauschen und Entwicklungen abzustimmen. Im Sommer 2020 haben außerdem die GSMA und die ONF erklärt, mit der O-RAN-Alliance zusammenarbeiten zu wollen.

Was sind die Herausforderungen bei der Einführung von Open RAN?

Wie bei jeder neuen Technologie-Einführung gibt es Hürden und technische Herausforderungen, die es zu Beginn zu erkennen und zu meistern gilt. Die wichtigsten sind hier:

Skalierbarkeit im großen Stil

Erfahrungen bei der Einführung von Open RAN konnten bisher nur bei lokalen und regionalen Einführungen gemacht werden. Erfahrungen mit sehr großen, landesweiten Netzen, bei denen die Traffic- und Performance-Anforderungen viel höher sind, liegen noch nicht vor. Ein großer japanische E-Commerce-Anbieter wird bis Ende 2021 in Japan 7.000 open-RAN-Sites installieren (und liegt aktuell im Plan) – das entspricht in etwa der Funknetz-Installationsgröße von Österreich oder Portugal. 

Kostenaspekte in Brownfield-Situationen

Während die Kostenvorteile einer Open-RAN-Installation bei Greenfield-Projekten zwischen 40 und 50% beim Aufbau und 30 bis 40% beim Betrieb liegen können (basierend auf den Zahlen des oben genannten Beispiels), gilt dies nicht unbedingt in Bereichen, in denen 3G- und 4G-Installationen bereits existieren. Das Zusammenspiel mit dieser bestehenden Technik oder der Ersatz durch Open RAN erhöht die Implementierungskosten erheblich und verringert die Kostenvorteile.

Anbieter-Interoperabilität

Neue Lösungen konkurrieren mit bewährten, fest integrierten RAN-Systemen, die auf hohe Leistung ausgelegt und optimiert sind. Während Open RAN zu einer größeren Auswahl an Anbietern und mehr Flexibilität bei der Implementierung führt, erhöht es auch die Möglichkeiten inkompatibler Konfigurationen aus Soft- und Hardware. Jede Kombination herstellerübergreifender End-to-End-Lösungen muss daher umfangreich getestet werden, was im Vergleich zu bisherigen Lösungen einen erheblichen zusätzlichen Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand bedeuten kann.

Systemintegration und Verantwortung

Mit der Flexibilität, verschiedene Systeme unterschiedlicher Anbieter einsetzen zu können, ist es für Mobilfunkprovider nicht mehr möglich, bei Fehlern die Verantwortung auf einen Lieferanten abzuwälzen und diesem die Behebung zu übertragen. Bei komplexen Multivendor-RAN-Installationen bedarf es einer Multivendor-Strategie und eines (gegebenenfalls externen) Systemintegrators, der im besten Sinne des Mobilfunkproviders die Systemintegration steuert, Probleme erkennt und schnell behebt. 

Ausblick: Strategische Ausrichtung auf Open RAN

Auch wenn Open RAN noch am Anfang steht, sollten Mobilfunkprovider die Entwicklung in ihrer Strategie berücksichtigen. Da die Telekommunikationsbranche mit langen, mehrjährigen Planungszyklen arbeitet, profitieren Betreiber, die bereits heute handeln, um den aktuellen Business-Status zu bewerten und überlegen, wohin sich das eigene Unternehmen entwickeln soll oder muss.

Ein empfehlenswerter Startpunkt ist, sich umfassend über die Chancen und Herausforderungen von Open RAN zu informieren, indem Provider sich Industriekonsortien anschließen und von jenen lernen, die Open RAN bereits in Laboren und Feldversuchen testen. Betreiber können sich auch mit Experten austauschen, um weltweite Implementierungstrends besser zu verstehen, den Reifegrad der Technologie einzuschätzen und die Gesamtbetriebskosten alternativer Implementierungen auf der Grundlage ihrer eigenen Ausgangssituation zu bewerten.

Während die Ingenieure die technologischen Fragen angehen, können die Betreiber bereits einen Projektplan entwickeln und im Unternehmen eine Kultur der Innovation und kontinuierlichen Verbesserung verankern, um neue Software-zentrierte Geschäfts- und Betriebsmodelle umzusetzen.

Laden Sie hier den Artikel „Next-generation radio access network“ herunter und erfahren Sie weitere Details über die Mobilfunknetze der Zukunft.

The next-generation Radio Access Network

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