Posted: 26 Mar. 2020 3 min Lesezeit

COVID-19 Briefing: Konjunkturszenarien für die Nach-Corona Zeit

Die weltweite Ausbreitung des Corona-Virus hat alle Konjunkturprognosen für 2020 innerhalb von wenigen Wochen obsolet gemacht. Anstelle von moderatem Wirtschaftswachstum Deutschlands und der Welt stehen nun alle Zeichen auf Rezession. Wie tief und lange diese sein wird, hängt vor allem davon ab, für welchen Zeitraum große Teile der Wirtschaft stillgelegt werden, um die Ausbreitung des Virus zu bekämpfen. Allerdings ist klar, dass sich die Weltwirtschaft aktuell bereits in einer tiefen Rezession befindet, der Rückgang des Wachstums im ersten Quartal dürfte hoch sein. Unternehmen müssen sich mindestens kurzfristig auf einen sehr starken Abschwung einstellen.

 

Die Effekte für das Gesamtjahr hängen davon ab, wie schnell sich die Wirtschaft stabilisieren wird. Die aktuellen Szenarien für Deutschland für das gesamte Jahr reichen dabei von einer kurzen, schweren Rezession bis zu einer langanhaltenden Krise. Obwohl die Effekte alle Branchen betreffen werden, sind die Effekte dennoch sehr verschieden, wie sich jetzt schon an den Aktienkursen ablesen lässt.

 

Die Dimensionen der Corona-Krise

 

Die wirtschaftlichen Verwerfungen durch COVID-19 sind in vielfacher Hinsicht noch nicht dagewesen. Erstens trifft die Pandemie die Zentren der Weltwirtschaft – also die G7-Länder plus China – zum mehr oder weniger selben Zeitpunkt. Dazu kommt, dass die weltwirtschaftliche Verflechtung sehr viel höher ist als bei früheren Pandemien wie der Schweinegrippe oder SARS.

Zweitens hat das Corona-Virus mehrere Arten schneller und massiver ökonomischer Schocks nach sich gezogen, nämlich einen Angebots-, einen Nachfrage-, und einen Unsicherheitsschock. Der Angebotsschock bezieht sich darauf, dass Arbeitnehmer nicht zur Arbeit kommen können und deswegen weniger produzieren; die Unterbrechung von Lieferketten durch fehlende Vorprodukte beispielsweise aus China und Italien hat denselben Effekt. Auf der Nachfrageseite wird in Zeiten von geschlossenen Restaurants, abgesagten Messen und Ausgangsbeschränkungen naturgemäß sehr viel weniger konsumiert, die Nachfrage aus dem Ausland sinkt ebenfalls, während Unternehmen sich mit Investitionen zurückhalten.

Der Unsicherheitsschock über die weitere Entwicklung der Pandemie zeigt sich an den Finanzmärkten. Die hohen Verluste an den Börsen – der Dax verlor 37 Prozent zwischen dem 19. Februar und dem 23. März – und die Volatilität der Finanzmärkte strahlt auch auf die Realwirtschaft aus. Die Risiken für eine Verschärfung der finanziellen Konditionen, für steigende Refinanzierungskosten und Liquiditätsengpässe nehmen damit zu.

Traditionelle Instrumente der Wirtschaftspolitik sind wegen der verschiedenen und ineinander verschränkten Dimensionen schwierig anzuwenden. Die Ankurbelung der Nachfrage funktioniert nicht, weil weite Teile der Wirtschaft heruntergefahren sind und so die Wirkung verpuffen würde. Gleichzeitig sind die wirtschaftspolitischen Instrumente für einen Angebotsschock begrenzt; unterbrochene Lieferketten und weniger Arbeitsstunden sind wirtschaftspolitisch nicht ungeschehen zu machen. Aus diesen Gründen zielen die Maßnahmen vor allem darauf ab, die Zeit des unmittelbaren Stillstands zu überbrücken und die Auswirkungen des Unsicherheitsschocks abzufedern, sei es über Einkommenstransfers, über Kreditgarantien oder über Schutzschirme. Dennoch wird die Ankurbelung der Wirtschaft in der Zeit nach der unmittelbaren Krise eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Aufgaben sein.

 

Die sektoralen Auswirkungen

 

Nicht alle Sektoren sind von den Auswirkungen der Corona-Krise gleichermaßen betroffen. Mit am gravierendsten sind die Folgen für die Luftfahrt sowie für die Tourismus- und Freizeitindustrie. Der EuroStoxx 600 Travel & Leisure Index hat sich im letzten Monat mehr als halbiert; die Sektorindizes für Öl und Gas sowie für die Automobilindustrie sind um 47 und 43 Prozent gefallen.¹ Unter den am stärksten gefallenen Aktien sind Kreuzfahrtanbieter, Fluglinien, Hotel- , Kino- und Fitnessketten ebenso wie Einzelhändler. Auf der anderen Seite haben vor allem Lebensmittelhändler, Online-Dienste und Telekommunikationsunternehmen gewonnen.² Das Institut für Weltwirtschaft geht davon aus, dass im Vergleich zu den stark in Mitleidenschaft gezogenen Branchen in Deutschland ungefähr die Hälfte der Branchen ökonomisch eher wenig betroffen sein wird, darunter der Immobiliensektor, die Informations- und Telekommunikationsindustrie sowie weite Teile des öffentlichen Sektors und natürlich der Gesundheitssektor.³

Allerdings kann die Sektor-Perspektive nur eine grobe Orientierung geben, weil sich die Subsektoren unterschiedlich entwickeln. Im Einzelhandel sind Modeketten durch Geschäftsschließungen stark betroffen, während Lebensmitteleinzelhändler und Supermarktketten die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleisten. Im IT-Sektor ist die IT-Produktion sicherlich stärker betroffen als IT-Services und Software. Während Streamingdienste größere Nachfragezuwächse verzeichnen dürften, sind andere Segmente des Unterhaltungsbereichs dagegen vollständig geschlossen.

 

Die drei Konjunkturszenarien

 

Die ersten Konjunkturprognosen von Anfang März, die den Ausbruch von COVID-19 berücksichtigen und Szenarien zwischen Stagnation und milder Rezession entwickelten, sind drei Wochen später schon überholt. Es gibt aktuell keinen Zweifel mehr daran, dass die Weltwirtschaft und Deutschland auf eine schwere Rezession zusteuern. Die jüngsten Stimmungsindikatoren untermauern dies. Der vorläufige ifo-Geschäftsklimaindex zeigt den stärksten Rückgang seit 1991 und den niedrigsten Wert seit 2009.⁴ Das Institut für Weltwirtschaft geht davon aus, dass in der zweiten Märzhälfte das Wachstum in Deutschland im Vergleich zum Vormonat um 18 Prozent einbricht.⁵

Für die Weltwirtschaft erwarten die letzten Prognosen eine Kontraktion des Wachstums um zwei Prozent im ersten Quartal, im zweiten Quartal dann einen weiteren Rückgang von 0,4 Prozent; ursprünglich war ein positives Wachstum von ungefähr 2,5 Prozent für 2020 für das Gesamtjahr erwartet worden. Der Einbruch im ersten Quartal wäre nach 2009 der zweithöchste in den letzten 50 Jahren.⁶ Eine Rezession in der Weltwirtschaft beginnt schon bei Werten von weniger als 1,5 Prozent positivem Wachstum, da das Trendwachstum in den Schwellenländern höher ist. Der Abschwung ist unvermeidbar, die Frage ist, wie es danach weitergehen wird und wie schnell sich die Konjunktur erholen könnte. Obwohl noch nicht alle Konjunkturprognosen aktualisiert wurden, kristallisieren sich drei Szenarien sowie erste quantitative Einschätzungen ab, die aber mit hoher Unsicherheit behaftet sind.

  • V-Szenario: Im V-Szenario symbolisiert der linke Teil des V den derzeitigen tiefen Abschwung, dem aber dann eine rasche Gegenbewegung folgt. In diesem Szenario kann das Corona-Virus relativ zeitnah eingedämmt werden, die Wirtschaft wird anschließend wieder hochgefahren und die massiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen unterstützen die Erholung im zweiten Halbjahr. In diesem Szenario kann die Expansion im zweiten Halbjahr die Verluste des ersten zumindest teilweise wieder auffangen. Die Prognosespanne für die deutsche Wirtschaft in diesem Szenario ist ziemlich weit; die Erwartungen reichen von einem Rückgang von -1,5 Prozent (ifo) bis zu einem Rückgang von -4,5 Prozent (Institut für Weltwirtschaft), während einige Prognosen einen Wert in der Mitte von ungefähr minus drei Prozent erwarten.⁷ Zum Vergleich: In der letzten „normalen“ Rezession vor der Finanzkrise 2002/2003 ging die Wirtschaftsleistung um 0,2 und 0,7 Prozent zurück.
  • U-Szenario: Im U-Szenario dauert die Eindämmung des Corona-Virus länger, beziehungsweise setzt auch nicht sofort eine Gegenbewegung ein, sondern die Wirtschaft würde nach der unmittelbaren Talfahrt noch in der Stagnation verharren, bevor es wieder aufwärtsgeht. Für diesen Fall eines längeren Shutdown geht das Institut für Weltwirtschaft von einem sehr hohen BIP-Rückgang von -8,7 Prozent aus. Allerdings wäre dann die Gegenbewegung in 2021 mit fast 11 Prozent Wachstum auch sehr stark. Das ifo-Institut geht in diesem Fall von noch höheren BIP-Verlusten zwischen 7,2 und 20 Prozent für 2020 aus.⁸ Zum Vergleich: Im Krisenjahr 2009 stürzte das Bruttosozialprodukt um 5,7 Prozent ab.
  • L-Szenario: In einem L-Szenario setzt nach dem Abschwung keine Gegenbewegung ein, sondern die wirtschaftliche Stagnation bleibt bestehen. Das könnte verschiedene Ursachen haben, z.B. Zweitrundeneffekte der Pandemie durch Finanzmarktkrisen oder eine Rückkehr des Virus in der zweiten Jahreshälfte. In diesem Fall wären die Wachstumsverluste dieselben wie in den anderen Szenarien, allerdings würde die Wirtschaft in der Rezession oder sogar in der Depression verharren.

Die Mehrheit der Konjunkturbeobachter geht von einem V-förmigen Verlauf aus. Der wichtigste Indikator für den weiteren Konjunkturverlauf ist die Zeit, die bis zur Eindämmung des Virus verstreicht. Wenn dies bis Ende April bzw. Anfang Mai gelingt, könnte eine V-förmige Entwicklung einsetzen und das zweite Halbjahr retten. Wenn es noch ein Quartal länger dauert, dürfte eine zumindest U-förmige Entwicklung unvermeidbar sein, während ein L-förmiger Verlauf zwar vorstellbar ist, für den aber Extremrisiken zusammenkommen müssten. Eine tiefe, aber temporäre Rezession bleibt in der derzeitigen Lage das positivste Szenario.

 

¹ https://www.stoxx.com/index-details?symbol=SXTP. Die Daten beziehen sich auf den Zeitraum zwischen dem 19.2 und 23.3.2020

² Bloomberg. These are the European Stocks most Impacted by the Coronavirus. 21. 3 2020, accessed 22.3.

³ Institut für Weltwirtschaft. Economic Outlook UPDATE: German GDP expected to slump between 4.5 and 9 percent in 2020. https://www.ifw-kiel.de/publications/media-information/2020/economic-outlook-update-german-gdp-expected-to-slump-between-45-and-9-percent-in-2020

⁴ Ifo Institut, ifo Geschäftsklimaindex bricht ein , 19.3.2020. https://www.ifo.de/sites/default/files/secure/ku-20200319/ku-vorlaeufig-2020-03-pm-geschaeftsklima-DT.pdf

⁵ Institut für Weltwirtschaft. Economic Outlook UPDATE: German GDP expected to slump between 4.5 and 9 percent in 2020.

⁶ Oxford Economics. World Economic Prospects March 2020 2nd Update, https://resources.oxfordeconomics.com/hubfs/WEP/WEPM%20March%202020%20Word-forecast%20update%202.pdf

⁷ Institut für Weltwirtschaft. Economic Outlook UPDATE: German GDP expected to slump between 4.5 and 9 percent in 2020; BayernLB Research. Perspektiven 5-Jahresprognosen Ausgabe 03/2020, 18.3.2020, https://www.bayernlb.de/internet/media/de/ir/downloads_1/bayernlb_research/multiasset_produkte/perspektiven-5Jahresprognosen_190731.pdf; Feri Prognose Update: Lage und Perspektiven der Weltwirtschaft, 19.3.2020

⁸ ifo Institut. Die volkswirtschaftlichen Kosten des Corona-Shutdown für Deutschland: Eine Szenarienrechnung ifo Schnelldienst Vorabdruck März 2020. https://www.ifo.de/DocDL/sd-2020-04-fuest-etal-volkswirtschaftliche-kosten-corona-2020-04-15.pdf

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In den COVID-19 Briefings werden die verschiedenen kurzfristigen bis langfristigen Effekte der vorherrschenden Krise auf die Wirtschaft beleuchtet.

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.