Posted: 09 Jul. 2020 3 min Lesezeit

COVID-19 Briefing: "Die Route wird neu berechnet"

Die Corona-Krise und die Automobilindustrie

Der wichtigste Wirtschaftszweig Deutschlands ist durch COVID-19 in eine handfeste Krise geraten. Massive Produktions- und Absatzrückgänge dominierten in den vergangenen Monaten die Schlagzeilen über die Automobilindustrie. Dieser unvorhersehbare Einbruch trifft die Hersteller mitten im Wandel und zwingt sie zu Umwegen auf ihrem Weg in Richtung Elektromobilität, Autonomes Fahren oder Connected Car. Es sind aber bereits erste positive Signale erkennbar: So zeigt nicht nur die Konjunktur Anzeichen der Besserung, sondern auch China, der wichtigste Absatzmarkt für die Automobilbranche, meldet eine positive Entwicklung. Dennoch herrscht nach wie vor große Unsicherheit, ob der Automobilmarkt im Herbst 2020 wieder anziehen wird.

 

Zwischenstopp Krise

 

Die Ausgangslage für den Weg aus der Krise könnte kaum angespannter sein. Noch nie in der Geschichte mussten Automobilbauer durch eine vergleichbar schwierige Phase. Zulassungsrückgänge von hierzulande 61% im April 2020 im Vergleich zum Vorjahr treffen die deutschen Autobauer gewaltig. Mit gerade einmal 120.840 PKW-Neuzulassungen war dies nicht nur der zulassungsschwächste Monat dieses Jahres, sondern zugleich dieses Jahrhunderts. Selbst während der Finanzkrise fielen die monatlichen Zulassungszahlen nicht unter die 200.000er Grenze. Im Juni 2020 musste laut Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) ein Zulassungsrückgang von über 32% im Vergleich zum Vorjahr verbucht werden, jedoch zeigen die Zahlen mit 220.272 Einheiten bereits ein Plus von 31% gegenüber dem Vormonat. Noch mehr schmerzt aber der Blick auf die Zahlen, die der wichtigste Markt der Autoindustrie im Frühjahr 2020 auswies. Immerhin beträgt laut Statista der Anteil der in China verkauften PKW am Gesamtabsatz deutscher OEMs zwischen 30 und 40%. Stillstehende Bänder und Maschinen in den Produktions- und Fertigungshallen in China führten nach Angaben von IHS und der China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) zu Absatzeinbrüchen von 79% im Februar (y/y) und 42% im ersten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

 

Hürden auf dem Weg aus der Krise

 

Erstmalig in der Geschichte sahen sich Autobauer einem vollständigen, ungeplanten Shutdown der Produktion und der Lieferkette ausgesetzt. Stillstehende Bänder, geschlossene Verkaufsräume, hohe Lagerbestände und fehlende Online Sales- und Aftersales-Angebote stellten OEMs vor enorme Herausforderungen. Insbesondere die Wiederaufnahme der Produktion nach teilweise gesamthafter Abschaltung der Betriebe stellte eine bislang völlig unbekannte Situation dar. Inzwischen sind Fertigung und Montage vielerorts wieder angelaufen, allerdings mit deutlich geringeren Produktionsmengen als noch vor der Krise.

Die große Abhängigkeit von Bauteilen und Prozessschritten gestaltete den Wiederanlauf jedoch sehr schwierig und legt offen, wo für eine stabilere Supply Chain kurz- und langfristig Handlungsbedarf besteht. Zum Teil vollständig abgeschaltete Zulieferernetzwerke sowie die Umgestaltung von Arbeitsplätzen aufgrund von Social-Distancing-Regeln stellten zusätzliche Herausforderungen dar. In China zeigten OEMs bereits in einer frühen Phase, dass eine effektive Bewertung der Wiederaufnahmebereitschaft und die Gestaltung des Arbeitsplatzes gemäß den neuen Richtlinien entscheidende Schritte für den erfolgreichen Neustart der Produktion darstellen.

 

Zielführung gestartet

 

Zum Ende des zweiten Quartals 2020 sind aus gesamtwirtschaftlicher Sicht erste positive Anzeichen seit Ausbruch der Pandemie zu erkennen. Aus dem Deloitte Consumer Pulse Survey geht hervor, dass die finanzielle Unsicherheit der Konsumenten in einigen Ländern bereits abnimmt und auch die Kauflust hierzulande wieder steigt. Indizes wie der Purchasing Managers‘ Index (PMI) und der Deloitte Economic News Index vermelden wieder Aufwärtstrends für die deutsche Wirtschaft. Die Automobilbranche zeigt aber auch eine überproportional starke Konjunkturabhängigkeit. Und so gehen erste Prognosen davon aus, dass die Autoindustrie trotz positiver Signale aufgrund der historisch schlechten ersten Jahreshälfte Umsatzeinbußen von etwa 25% im laufenden Jahr verzeichnen dürfte.

Der Blick ins Reich der Mitte stimmt die deutschen Autohersteller wieder positiver. Während die Absatzzahlen im chinesischen Markt im März 2020 noch um 48 Prozentpunkte geringer ausfielen als im Vorjahreszeitraum, ließ sich im April dieses Jahres laut CAAM nur noch ein Absatzrückgang von knapp 3% im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen. Ein erstes Plus konnte nach gerade einmal zweimonatiger Ramp-up-Phase eingefahren werden. Im Mai 2020 stiegen nach Angaben des CAAM demnach die Absatzzahlen im Vergleich zum Vorjahr um ganze 7%. Neben diesen positiven Entwicklungen dürften sich die Autobauer hierzulande noch über eine weitere Nachricht freuen: In der Krise konnten die deutschen Hersteller von ihrer Premiumpositionierung profitieren und ihren Marktanteil um mehr als 2 Prozentpunkte auf über 25% steigern (Vgl. Q1/2020 mit Q1/2019).

Bereits in der Finanzkrise stellte das Exportgeschäft mit China einen rettenden Anker für die Automobilindustrie dar. Der im Vergleich zu anderen Märkten rasche Anzug der chinesischen Wirtschaft lässt OEMs hoffen, dass sich dies wiederholen könnte. Doch auch die deutschen Hersteller spüren die langsamere Entwicklung des chinesischen Automarktes in den vergangenen Jahren. Forderungen und Subventionen der Regierung hin zu einem stärkeren Ausbau der Elektromobilität verlangen nun einen raschen Wandel und üben weiteren Druck auf die Branche aus. Worauf der Fokus der OEMs nach der Krise liegen sollte, steht somit außer Frage. Die Krise verlangsamt die Transformation der Automobilindustrie nicht.

 

Ansprechpartner/in Research:

Marie-Luise Beirer

Associate Manager | Automotive Research

mbeirer@deloitte.de

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Ihr Ansprechpartner

Dr. Harald Proff

Dr. Harald Proff

Sector Lead Automotive

Harald Proff arbeitet seit 2015 bei Deloitte und ist Automotive Sektorleiter für Global/DCE/Deutschland. Sein Fokus liegt auf Transformationsprogrammen und neuen Geschäftsmodellen der industriellen Fertigung sowie der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung von Industrieunternehmen. Er ist der Gründer der Deloitte Digital Factory in Düsseldorf. Neben Deutschland hat er auch länger in Südkorea und Brasilien gelebt und gearbeitet. Nach seinem Studium in der Fachrichtung Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau und anschließender Promotion an der TU Darmstadt startete er als Manager für Industrialisierungsprojekte bei Mercedes Benz in das Berufsleben. Der Automobilindustrie ist er auch als Berater immer treu geblieben. Vor seiner Rolle als Automotive Sektorleiter war Herr Proff Lead Partner Operations Deutschland.