Posted: 04 Dec. 2020 3 min Lesezeit

Economic Trend Briefing: Die Erholung der europäischen Sektoren aus Sicht der Kapitalmärkte und der Unternehmen

Eine der makroökonomischen Besonderheiten der durch die Pandemie ausgelösten Rezession in diesem Jahr ist ihr sehr sektorspezifischer Verlauf. Dies ist eine direkte Folge davon, dass wir es nicht mit einem normalen Abschwung zu tun haben, der die Sektoren – wenn auch meist zeitversetzt – in ihrer Breite erfasst. Vielmehr rührt das gravierende Ausmaß der Krise daher, dass einige Sektoren ihre Aktivität aufgrund der Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie abrupt einstellen mussten, während andere vom Trend zum Homeoffice, dem gestiegenen Home-Entertainment- und Online-Konsum, der schnellen Erholung des Welthandels sowie des chinesischen Marktes nach der ersten Welle der Virusinfektionen profitieren konnten. Diese divergierende Entwicklung zeigt sich in den Kapitalmarktbewertungen der Sektoren, aber auch in der Einschätzung der jeweiligen Unternehmen selbst, was den voraussichtlichen Zeitpunkt für ihre wirtschaftliche Erholung betrifft. 

 

Investoren optimistisch bei Tech und Gesundheit

 

Auf den europäischen Aktienmärkten und im Stoxx Europe 600 Index waren es vor allem der Technologiesektor und der Gesundheitssektor, inklusive der Pharmaindustrie, die den Einbruch der Aktienmärkte am Anfang der ersten Infektionswelle 2020 sehr schnell hinter sich ließen und auf ihr Ausgangsniveau zurückkehrten. Die Bewertung des europäischen Gesundheitssektors entwickelte sich danach stabil, legte aber in den Folgemonaten kaum mehr zu.

Der Technologiesektor überflügelte im Frühjahr und Sommer 2020 alle anderen europäischen Sektoren deutlich, wurde aber im Herbst relativ volatil. Die im Stoxx Europe 600 enthaltenen Technologiewerte sind allerdings eher auf Geschäftskunden ausgerichtet als ihre US-Pendants, die aufgrund ihres Konsumentenfokus sehr viel stärker vom allgemeinen Digital-Boom profitierten, was sich auch in ihrer Bewertung widerspiegelt. Die stark gestiegene Bewertung der US-Technologiewerte in diesem Jahr ist einer der Hauptgründe für die insgesamt deutlich schlechtere Entwicklung des Stoxx Europe 600 im Vergleich zum amerikanischen S&P 500; ersterer liegt Anfang Dezember 2020 neun Prozent unter dem Höchststand von Mitte Februar, während der S&P 500 Index nun knapp neun Prozent höher steht.¹

 

Retail und Auto legen ebenfalls zu

 

Interessanterweise ist der Technologiesektor kürzlich von zwei anderen Branchen an den Börsen überflügelt worden, nämlich von Retail und Auto. Retail konnte stark vom dynamischen Aufschwung der europäischen Wirtschaft im dritten Quartal 2020 profitieren, vor allem die zyklischen Konsumgüter. Große Unterstützung erfuhr der Sektor zudem auch vom strukturellen Trend in Richtung E-Commerce. Eine starke und überraschende Erholung zeigte auch der Autosektor, der in der ersten Welle enorm eingebrochen war, sich aber vor allem seit Herbst 2020 im Aufstieg befindet und schon wieder deutlich über dem Februar-Ausgangsniveau liegt. Dies dürfte nicht zuletzt mit der anziehenden Nachfrage aus China zu tun haben. Mehr dazu können Sie in unserem Briefing zum Thema Das überraschende Comeback des Welthandels nachlesen.

 

Banken und Reisesektor hinken aus Kapitalmarktsicht hinterher

 

Auf der anderen Seite hat vor allem der Reise- und Freizeitsektor 2020 unter COVID-19 gelitten. Der Sektor war in der ersten Welle am stärksten eingebrochen und hat sich durch die zunehmende Hoffnung auf funktionierende Corona-Impfstoffe seit Anfang November zwar wieder merklich erholt, liegt aber immer noch weit unter seinem Ausgangsniveau vom Februar. Seit August entwickelt sich jedoch auch er insgesamt besser als der Bankensektor. Das ist insofern überraschend, als dass dieser – im Gegensatz zur Finanzkrise 2008 ­– nicht Auslöser der Rezession ist und auch nicht unmittelbar von den Corona-Maßnahmen betroffen ist. Hier dürfte die Furcht der Investoren vor möglichen Kreditausfällen im Zuge des Abschwungs eine entscheidende Rolle für die Bewertung spielen. Ebenso ist die Verlängerung und Verschärfung der Niedrigzinspolitik durch die Zentralbanken keine gute Nachricht für die Profitabilität des europäischen Bankensektors und dessen noch überwiegend traditionellen Geschäftsmodelle. 

 

Pharma und Retail am optimistischten für eigene Erholung

 

Ein Blick auf die Stimmungslage in der Realwirtschaft bestätigt das Bild der auseinanderklaffenden Sektor-Entwicklungen und deckt sich in weiten Teilen mit den Einschätzungen der Finanzmärkte. Der Deloitte European CFO Survey, für den im September 2020 knapp 1.600 CFOs in 18 europäischen Ländern befragt wurden, zeigt, dass die Erwartungen der Unternehmen über die Dauer der Erholungsphase sehr unterschiedlich ausfallen. Ein gutes Drittel der befragten Unternehmen erwartet noch 2020 beim Umsatz insgesamt wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen; 44 Prozent erwarten dies frühestens für 2021, und ein beträchtlicher Teil sieht das Vorkrisen-Level erst wieder in 2022 erreicht.

Unter den Sektoren ist der Reisesektor der Pessimistischste, was die Umsatzerholung angeht. 84 Prozent erwarten nicht, dass sie die Rückkehr auf das Vorkrisenniveau vor dem zweiten Halbjahr 2021 sehen werden. Die Automobilindustrie hingegen blickt skeptischer in ihre Zukunft als es die Finanzmarkteinschätzungen erwarten lassen: Die Mehrheit schätzt das alte Umsatzniveau frühestens ab 2021 als erreichbar ein. Allerdings wurde die Automobilindustrie durch den weitgehenden Stillstand der Fabriken und den Nachfrage-Einbruch im Frühjahr 2020 auf ein niedriges Level zurückgeworfen, wodurch sich der Aufholprozess trotz des aktuellen Aufschwungs hinziehen dürfte. Auf der anderen Seite des Spektrums stehen die Pharmaindustrie und der Einzelhandel. In diesen Sektoren erwartet ungefähr die Hälfte der CFOs, schon in diesem Jahr das alte Umsatzlevel zu erreichen. 

 

Die Unterschiede in den sektoralen Entwicklungen werden den Aufschwung in Europa auch nach den derzeitigen Lockdowns prägen. Welche Sektoren in einer Post-Corona-Welt profitieren werden, in der die Pandemie mithilfe von effektiven Impfungen eingedämmt oder gar besiegt ist, hängt allerdings entscheidend davon ab, wie nachhaltig die Verhaltensänderungen von Konsumenten, Unternehmern und Arbeitnehmern sein werden.

 

¹ Daten von Refinitv Eikon Datastream

Download

Hier können Sie sich den Blogbeitrag als PDF herunterladen:

Weitere Beiträge der Economic Trend Briefings:

Die Economic Trend Briefings analysieren die wichtigsten kurz- und langfristigen Herausforderungen sowie die relevantesten Trends für die deutsche Wirtschaft.

Ihr Ansprechpartner

Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.