Die privaten Konsumausgaben in Deutschland waren vor der Corona-Krise der hauptsächliche Treiber der Konjunktur, vor allem dank des florierenden Arbeitsmarktes. Im zweiten Quartal 2020 erlebten sie durch die Pandemie, wie alle anderen Komponenten des Bruttoinlandsprodukts auch, einen historisch tiefen Einbruch von gut elf Prozent im Vergleich zum ersten Quartal. Gleichzeitig schoss die Sparquote der Haushalte in die Höhe. Sie verdoppelte sich auf 21 Prozent des verfügbaren Einkommens. Der Anstieg war einerseits eine Folge der Unsicherheit und der damit verbundenen Vorsicht der Verbraucher, aber auch der Tatsache geschuldet, dass viele Produkte und Dienstleistungen aufgrund der Einschränkungen in Folge der Pandemie gar nicht mehr konsumiert werden konnten.
Im dritten Quartal 2020 erholte sich der private Konsum dann wieder überraschend schnell und wuchs nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 10,8 Prozent im Vergleich zum zweiten Quartal. Die Sparquote ging nach vorläufigen Schätzungen wieder auf 13,5 Prozent zurück. Damit wurde der Einbruch der Frühjahrsmonate zwar noch nicht völlig wettgemacht, aber fast drei Viertel des Verlusts konnten wieder aufgeholt werden. Damit trugen die privaten Verbrauchsausgaben, neben den Exporten, entscheidend zur wirtschaftlichen Erholung in Deutschland bei, die im Herbst zu beobachten war. Das Konsumverhalten der deutschen Haushalte wird demnach auch den weiteren konjunkturellen Verlauf im und nach dem derzeitigen Lockdown maßgeblich mitbestimmen. Die aktuelle Konsumentenstimmung sowie das generelle Verhalten der Konsumenten nach Rezessionen können dabei einige Hinweise auf die weitere Entwicklung geben.
Die schnelle Erholung des Konsums trotz des historisch tiefen Einbruchs der Wirtschaft hat vor allem mit dem Arbeitsmarkt zu tun. Das Kurzarbeitergeld, das im Mai 2020 von über sieben Millionen Beschäftigten bezogen wurde, hat den Absturz maßgeblich abgefedert. Die Beschäftigung ging im zweiten Quartal 2020 nur sehr leicht zurück (-1%), während die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden sehr deutlich zurückging (-8%). Das verfügbare Einkommen der Haushalte reduzierte sich durch das Kurzarbeitergeld nur sehr geringfügig, was den Konsum stabilisierte und die Grundlage für die Erholung der Konsumausgaben im Sommer und Frühherbst bildete.
Die einzelnen Produktgruppen haben sich in Abschwung und Erholung sehr unterschiedlich geschlagen. Durch die Restriktionen im Frühjahrs-Lockdown sind Ausgaben für Hotels und Gaststätten in den ersten beiden Quartalen stark eingebrochen (-54%) ebenso wie für Freizeit und Unterhaltung (-24%). Trotz allgemeiner Erholung befanden sich beide Sektoren im September noch gut 15 Prozent unter Vorkrisen-Niveau. Die Ausgaben für Bekleidung und Schuhe sowie Verkehr und Transport waren auf ein ähnliches Level wie Freizeit und Unterhaltung gefallen, haben sich aber sehr viel schneller erholt und waren im September schon sehr dicht an ihrem jeweiligen Vorkrisen-Wert. Klare Gewinner bei den Konsumausgaben sind vor allem Möbel und Haushaltszubehör, die um acht Prozent über ihrem Level vor der Krise liegen – auch die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Getränken ist gestiegen.
Generell spielen die künftigen Einkommenserwartungen eine entscheidende Rolle bei den Konsumausgaben in einer Rezession. Nach der schweren Krise im Jahr 2009 erreichte der Konsum erst nach sechs Quartalen wieder sein Vor-Rezessionsniveau. Nach der sehr viel milderen Rezession 1981 brauchte der Konsum fast genauso lange, bis er sich wieder erholt hatte.
Den längsten Konsumeinbruch brachte die Zeit nach den Anschlägen von 9/11 im Jahr 2001. Obwohl die deutsche Wirtschaft nach dem darauffolgenden globalen Konjunktureinbruch noch schwach wuchs und es später zu einer nur sehr kurzen Rezession Ende 2002 kam, brauchte der Konsum mehr als drei Jahre, um wieder auf das Ausgangslevel zu kommen. Der Grund lag in der anhaltend schlechten Arbeitsmarktsituation. Verlorenes Einkommen muss meist erst wiederaufgebaut werden und schlechtere Einkommenserwartungen für die Zukunft müssen überwunden werden. Die sehr schnelle Erholung der Konsumausgaben 2020 spricht jedoch dafür, dass die Konsumenten aktuell keine langanhaltenden Minderungen ihres Einkommens erwarten.
Im direkten Vergleich zur Finanzkrise 2008 verhalten sich auch die Konsummuster heute völlig anders. Erstens im Hinblick auf die Tiefe des Falls: Im Laufe des Jahres 2009 sank der Konsum um gute zwei Prozent, im zweiten Quartal 2020 um mehr als das Fünffache – allerdings mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit der Erholung. Zum anderen aber auch im Hinblick auf die betroffenen Bereiche: So brachen 2020 vor allem die konsumnahen Dienstleistungen – in der Finanzkrise kaum betroffen – extrem stark ein, während gleichzeitig die Güter des täglichen Bedarfs in der Corona-Krise zulegten. In der Finanzkrise waren genau diese deutlich eingebrochen. Die gegenläufigen Bewegungen haben ihre Ursache darin, dass die durch COVID-19 ausgelöste Rezession durch die sehr sektorspezifischen Auswirkungen des Lockdowns ausgelöst wurde und obendrein manche Produkte und Dienstleistungen plötzlich gar nicht mehr zur Verfügung standen – beides war in der Finanzkrise nicht der Fall.
Im Deloitte Consumer Pulse Survey, einer seit März 2020 laufenden, monatlichen Konsumentenumfrage in 18 Ländern, hinterlassen der “Lockdown Light“ in Deutschland und ähnliche Maßnahmen in den weiteren teilnehmenden Ländern deutliche Spuren. Zwar gilt, dass die deutschen Konsumenten im internationalen Vergleich noch relativ optimistisch sind, jedoch zeigt der Zeitverlauf eine Verschlechterung der Stimmung.
Die in der ersten Woche des November-Lockdowns durchgeführte Umfrage zeigt einen sprunghaften Anstieg der generellen Besorgnis von Konsumenten in Deutschland um 30 Prozentpunkte – der Anteil der deutschen Befragten, deren Sorgen im Vergleich zur Vorwoche zugenommen haben, hat sich damit fast verdoppelt. Dabei nehmen sowohl die gesundheitlichen als auch die finanziellen Sorgen zu. Im europäischen Vergleich liegt der deutsche Wert allerdings noch unter dem Durchschnitt; aktuell sind die gesundheitlichen Sorgen in Spanien und Polen am höchsten, bei den finanziellen Sorgen liegen Spanien und Italien vorne.
Die unmittelbaren Auswirkungen auf das Konsumentenverhalten waren allerdings weniger stark ausgeprägt. Der Anteil der Verbraucher, der größere Anschaffungen aufschiebt, stieg nur leicht (von 28 auf 30 Prozent) und ist damit weit vom Höchststand im ersten Lockdown entfernt (46 Prozent). Eine leichte Zunahme lässt sich auch bei der Sorge um den Arbeitsplatz beobachten. 28 Prozent der Befragten machen sich aktuell Sorgen um ihren Arbeitsplatz, sieben Prozentpunkte mehr als im Vormonat.
Die sich verschlechternde Konsumentenstimmung zeigt sich auch im GFK Konsumklimaindex. Nach Absturz und anschließendem Anstieg bis August 2020 bewegte sich der Index seitdem mit leicht negativer Tendenz seitwärts, und die vorläufigen Werte für Dezember lassen eine weitere Verschlechterung erwarten. Damit ist die Konsumstimmung zwar rückläufig und durchaus vom zweiten Lockdown in Deutschland beeinflusst, aber immer noch sehr weit von den Tiefpunkten im Frühjahr entfernt.
Auch wenn sich die Konsumentenstimmung aktuell verschlechtert hat, lässt der bisherige Trend bei den Konsumausgaben in der Krise den Schluss zu, dass auch nach dem Lockdown eine schnelle Erholung wahrscheinlich ist, solange der Arbeitsmarkt stabil bleibt. Sollte sich die Aussicht auf baldige Impfmöglichkeiten bewahrheiten, ist es auch durchaus vorstellbar, dass der Konsum durch Nachholeffekte noch einmal stark zulegt.
Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.