Posted: 19 Nov. 2020 5 min Lesezeit

Economic Trend Briefing: Das überraschende Comeback des Welthandels

Noch im Frühjahr drohten düstere Aussichten für den Welthandel: Weltweite Lockdowns und Einreisebeschränkungen, unterbrochene Lieferketten und fehlende Masken bestimmten die Schlagzeilen. Die Welthandelsorganisation erwartete für 2020 einen durch die Corona-Krise verursachten Rückgang des Welthandels um mindestens 13 Prozent, hielt aber auch ein Minus von bis zu 32 Prozent für möglich. Diese Befürchtungen verstärkten die extreme wirtschaftliche Unsicherheit in der ersten Welle des Corona-Virus zusätzlich, und ihr Eintreten hätte besonders die exportorientierte deutsche Wirtschaft getroffen. Schon das bessere Szenario – eine Schrumpfung um 13 Prozent – wäre deutlich tiefer ausgefallen als nach der Finanzkrise, infolge derer der Welthandel um gut zehn Prozent abstürzte. Glücklicherweise nahm die Entwicklung im Sommer einen anderen Verlauf: Der Welthandel erholt sich erstaunlich schnell, nicht zuletzt im Vergleich zu eben jener Finanzkrise, und er ist nach wie vor eine Hauptstütze der deutschen Konjunktur.

 

Starker Einbruch des Welthandels und rasche Stabilisierung

 

In der Tat ist der Handel im zweiten Quartal eingebrochen; laut der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) um fast 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Auch die Zusammensetzung der gehandelten Güter änderte sich durch die Corona-Krise grundlegend. Der Handel mit Autos hat sich im zweiten Quartal halbiert, auch elektrische Ausrüstungen und Maschinen sind sehr deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig ist der Handel mit Textilien signifikant gestiegen, worunter auch und vor allem Masken fallen; einen noch größeren Anstieg konnten die Exporte von Büroausstattung verzeichnen, eine direkte Folge des Homeoffice-Trends.

Allerdings haben sich die düsteren Gesamtvorhersagen nicht bestätigt – das dritte Quartal sah eine bemerkenswerte Trendwende zum Besseren. Im Zeitraum Juli bis September betrug der Rückgang des Welthandels im Vergleich zum Vorjahr nach vorläufigen Daten nur noch 4,5 Prozent. Damit ist im Vergleich zum Vorquartal ein deutliches Zurückschnellen der Handelsaktivität zu beobachten. Durch diesen unerwartet positiven Trend fallen auch die Prognosen für die Entwicklung des Welthandels inzwischen deutlich optimistischer aus. Die Welthandelsorganisation geht aktuell noch von einem Minus von 9 Prozent aus, UNCTAD von einem Rückgang um 7 Prozent. 

 

Sehr viel schnellere Erholung als in der Finanzkrise

 

Die Erholung des Welthandels verläuft damit im Vergleich zur Finanzkrise sehr viel schneller. Damals verharrte der Handel nach einem jähen Absturz vier Monate lang auf sehr niedrigem Niveau, bevor es sehr langsam wieder aufwärtsging. Der Verlauf ähnelte stark einem langgezogenen „U“. In der Corona-Krise stagnierte der Handel nur einen Monat auf dem neuen, niedrigen Level, bevor ein steiler Aufstieg begann und wir uns aktuell dem alten Vorkrisen-Niveau zumindest bereits annähern. Der für die Konjunktur oft erhoffe V-förmige Aufschwung scheint zumindest im globalen Handel stattzufinden.

Der China-Effekt und sein Einfluss auf Deutschland

 

Ein sehr wichtiger Faktor für die Stabilisierung des Welthandels ist die wirtschaftliche Entwicklung in China. Hier schlug sich die schnelle Erholung unmittelbar auf den Welthandel und in der Folge auch auf die deutschen Exporte nieder. Bereits im Juni zeigten die Importe und die Exporte Chinas ein leichtes Wachstum, im September wuchsen laut UNCTAD-Daten die chinesischen Importe dann um 13 Prozent, die Exporte um 10 Prozent.

Die anziehende Nachfrage aus China, dem inzwischen wichtigsten Handelspartner Deutschlands, war ein deutlicher Rückenwind für die Erholung der deutschen Wirtschaft im dritten Quartal. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes erreichten die monatlichen Ausfuhren Deutschlands nach China im Juli 2020 schon wieder ihren Vorjahreswert, ihr Wert lag im September 2020 um 900 Millionen Euro über den entsprechenden Ausfuhren des Vorjahres.

Dieser grundsätzlich positive Trend ist auch bei den meisten anderen großen deutschen Handelspartnern zu beobachten. Allerdings gestaltet sich die Erholung der Exporte in die USA und nach Frankreich sehr viel weniger dynamisch als nach China – eine Reflexion der schwierigeren konjunkturellen Lage in beiden Ländern. Insgesamt lagen die gesamten Ausfuhren Deutschlands im September 2020 nur noch leicht (minus 3,8 Prozent) unter dem entsprechenden Vorjahreswert. 

 

Handelsindikatoren weiterhin im Aufwind

 

Der Ausblick für den Handel lässt erst einmal eine Fortsetzung der aktuell positiven Grundtendenz erwarten. Ein wichtiger Frühindikator für die Entwicklung des Welthandels ist der Umschlag von Containern in den Häfen der Welt, über die 90 Prozent des weltweiten Güterhandels transportiert werden. Der vom RWI - Leibnitz Institut für Wirtschaftsforschung und dem Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik erhobene Containerumschlag-Index ist seit Mai 2020 bereits wieder im Aufwind. Im September ist er auf ein Allzeit-Rekordhoch geklettert und liegt damit natürlich auch höher als vor der Corona-Krise. So gesehen dürfte das Handelswachstum – basierend auf dem niedrigeren Niveau nach dem Einbruch – weitergehen.

 

Was kommt nach der Krise?

 

Die schnelle Erholung des Welthandels ist überraschend. Ursprünglich war erwartet worden, dass diese lange in Anspruch nehmen würde, da die Pandemie alle Länder betrifft und keine Wachstumslokomotive in Sicht war. Allerdings zeigt sich, dass die besseren Konjunkturaussichten in Asien durch die schnelle Eindämmung der Pandemie den Welthandel durchaus aus der Krise ziehen können. Ein deutliches Wachstum ist während der Pandemie auch für den digitalen Handel zu erwarten, der schon vor der Krise der am schnellsten wachsende Teilbereich war und von der pandemiebedingten Virtualisierung des Arbeits- und Soziallebens stark profitieren dürfte.

Allerdings bedeutet dies nicht, dass der internationale Handel die Corona-Krise schon gänzlich überwunden hat. Durch die schwache Konjunkturentwicklung in vielen Ländern dürfte die aktuelle Dynamik der Aufwärtsentwicklung im Güterhandel über die Zeit nachlassen. Wenn man den Blick über den Güterhandel hinaus auf den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr richtet, leiden vor allem die Luftfahrtbranche und der Tourismus dramatisch unter der Krise. Die weltweiten Flugbewegungen verharren seit dem Sommer 2020 auf etwas über der Hälfte des Vorjahresniveaus. Die Erholung des weltweiten Personenverkehrs hinkt dem Austausch von Gütern damit sehr stark hinterher.

Ein Hoffnungsschimmer ist hier, dass die Aussicht auf baldige Verfügbarkeit von Impfstoffen die Aktien des Reise- und Freizeitsektors in den vergangenen Wochen beflügelt hat. Damit entwickelt sich für 2021 immerhin – neben allen bekannten Abwärtsrisiken durch die Pandemie – auch Raum für positive Überraschungen für die betroffenen Dienstleistungsbranchen und die Konjunktur.  

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.