Posted: 23 Oct. 2020 3 min Lesezeit

Economic Trend Briefing: Wie betrifft der Brexit die deutschen Unternehmen?

Die politische Situation

 

Der Brexit ist bereits Realität. Seit dem ersten Januar 2020 ist das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der Europäischen Union. Die Übergangsphase, in der das EU-Recht in und gegenüber Großbritannien weiterhin gilt, dauert nur noch bis zum 31.12.2020 und die letzte Möglichkeit, die Übergangsphase zu verlängern, ist im Sommer verstrichen.

Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen und die künftigen Beziehungen gestalten sich schwierig und die eigentlich angesetzte Verhandlungsdauer bis Anfang Oktober ist bereits deutlich überschritten, ohne dass Einigkeit in den drei zentralen Streitpunkten – Fischereirechte, gleiche Wettbewerbsbedingungen und Streitschlichtungsmechanismus – erzielt werden konnte. Die Zeit wird insofern knapp, als ein eventuelles Abkommen noch durch das EU- und das britische Parlament ratifiziert werden muss – ein Prozess, der zwei Monate dauern dürfte. Aktuell scheint es so, als ob die Verhandlungen weitergehen werden. Inwieweit tatsächlich ein Abkommen erzielt werden kann, ist allerdings völlig offen.

 

Die Verflechtung der deutschen Branchen

 

Die Auswirkungen des Brexit werden für die deutschen Unternehmen einschneidend sein. Genaugenommen sind sie es schon, weil der Brexit-Prozess und die Unsicherheit, die dieser mit sich bringt, die wirtschaftlichen Beziehungen in den letzten Jahren seit dem Referendum im Jahr 2016 bereits belastet hat. Zur Zeit des Referendums war das Vereinigte Königreich der drittwichtigste Exportmarkt für die deutsche Wirtschaft, inzwischen wurde UK von China und den Niederlanden überholt und belegt aktuell den fünften Platz. 

Der Austritt der zweitgrößten europäischen Volkswirtschaft aus der EU hat deutliche makroökonomische Effekte für Deutschland, allerdings sind die Sektoren höchst unterschiedlich betroffen.¹ Die untere Grafik zeigt die Bedeutung des britischen Marktes für die deutschen Sektoren durch eine Analyse der deutschen Exporte nach UK je Sektor und der Umsätze der britischen Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen.²

Umsatz- und Exportanteil ausgewählter Branchen im Vereinigten Königreich (Größe der Kreise = in UK generierter Umsatz in Mrd. €)

Es zeigt sich, dass die Branchenverflechtung vor allem für die Autoindustrie, den Finanzsektor und die Verkehrs- und Logistikbranche sehr hoch ist. Alle drei Branchen wären somit von einem No-Deal-Brexit besonders betroffen, allerdings in unterschiedlicher Weise.

Die Autoindustrie wäre vor allem von der Wiedereinführung von Zöllen betroffen. Diese betragen nach dem Regelwerk der Welthandelsorganisation 10 Prozent für fertige Autos, 4,5 Prozent für Autoteile. Damit würden direkte deutsche Exporte sehr viel teurer, aber es wären auch die grenzüberschreitenden Lieferketten betroffen. Zölle und Zollprozesse sind für die Verkehrs- und Logistikbranche ebenfalls ein wichtiges Thema, allerdings beschäftigt die Branche mit 100.000 die höchste Zahl von Angestellten im Vereinigten Königreich, womit auch Fragen der Mitarbeitermobilität und andere Personalthemen relevant sind.

Die Finanzbranche dürfte von einem möglichen Handelsabkommen wenig betroffen sein, da dieses sich – wenn überhaupt – vor allem auf den Güterhandel beziehen dürfte. Hier geht es um Regulierung und Marktzugang, die beide unabhängig von einem Handelsabkommen geregelt werden müssen. Generell ziehen sich durch alle Branchen aber weitere Themen, in denen sich durch den Brexit Änderungen ergeben werden. Industriespezifische Regulierungen dürften sich ändern und neue indirekte Risiken in der Lieferkette entstehen; es sind aber auch große regulatorische Themen, wie etwa der Transfer von Daten, noch ungeklärt. 

 

Trends seit dem Referendum

 

Die Verbundenheit der deutschen Wirtschaft mit dem Vereinigten Königreich ist nach wie vor hoch - deutsche Unternehmen verdienen jeden 14. Euro im Vereinigten Königreich und beschäftigen dort 375.000 Mitarbeiter.³ Die absolute Beschäftigung ist seit 2015 auch bemerkenswert stabil. Relativ gesehen ist aber sowohl der Anteil der im Vereinigten Königreich generierten Umsätze und der angestellten Mitarbeiter in fast allen Branchen rückläufig.

Ein genauerer Blick auf die Exporte zeigt, dass die deutschen Ausfuhren seit 2015 um sechs Prozent gesunken sind, die Warenexporte sogar um zwölf Prozent. Die Dienstleistungsexporte sind dagegen deutlich um 10 Prozent gestiegen, getrieben vor allem von der IT-Industrie. Der Anstieg der IT-Exporte entspricht dem generellen Trend im Welthandel, dessen Wachstumsmotor seit der Finanzkrise vor allem die digitalen Dienstleistungen sind. Insofern dürfte der Einfluss des Brexit in diesem Bereich bisher gering sein. Dagegen ist er für die Autoindustrie sehr hoch. Hier gingen die deutschen Exporte mit knapp 8 Milliarden Euro am stärksten zurück. Der relative Anteil des UK-Marktes an den Gesamtexporten ging quer durch alle Branchen zurück, damit sinkt die Bedeutung Großbritanniens im Vergleich zu den anderen Märkten.

Ein sehr ähnliches Bild zeigt sich bei den Umsätzen der UK-Tochterunternehmen deutscher Firmen. Auch hier sind die Umsätze seit dem Referendum um 12 Prozent gesunken, ebenso fällt der UK-Anteil am Gesamtgeschäft. Eine Ausnahme ist hier der Einzelhandel, der getrieben vom Discountergeschäft und dem Internet-Versandhandel das UK-Geschäft ausbauen konnte.

Die sinkenden Umsätze und Exporte bei gleichzeitig stabiler Beschäftigung in UK legen nahe, dass der sinkende Pfundkurs (-15%) eine wichtige Rolle für den Rückgang des UK-Geschäfts gespielt haben dürfte. Neben den Währungseffekten sind die sinkenden relativen Beschäftigungs- und Umsatzanteile allerdings ein Hinweis darauf, dass die deutschen Unternehmen sich seit dem Referendum eher auf andere Märkte fokussieren.

 

Die Vorbereitung der deutschen Unternehmen

 

Die Unsicherheit über die Modalitäten des endgültigen Austritts hat die Planungen der Unternehmen extrem erschwert, da zwar viele Szenarien vorstellbar gewesen sind, sich aber keines als wahrscheinliches Baseline Szenario herauskristallisiert hat. Viele Unternehmen sehen sich dennoch gut vorbereitet. In einer Umfrage von Deloitte und dem BDI zeigte sich im Juni, dass drei Viertel der befragten Unternehmen mit wirtschaftlichen Beziehungen nach Großbritannien dieser Meinung sind.⁴  Die COVID-19-Krise spielte für die Mehrzahl der Unternehmen keine Rolle bei den Brexit-Vorbereitungen. Die meisten hielten an ihrem Kurs fest oder verstärkten sogar die Vorbereitungen, während ein gutes Drittel wegen der Pandemie die Brexit-Vorbereitungen aufgeschoben oder gar zurückgefahren hat.

Dieselbe Umfrage zeigte aber auch, dass die Vorbereitungen im Frühsommer noch längst nicht abgeschlossen waren. Für die meisten Maßnahmen – wie die Prüfung der Brexit-Betroffenheit von Zulieferern, die Vorbereitung auf Zölle oder Vertragsanpassungen – war die Zahl der Unternehmen, die noch in der Planungsphase war, höher als die Zahl derer, die die Maßnahmen abgeschlossen hatten.

Es bleibt zu hoffen, dass die Planungen inzwischen implementiert wurden, denn das Szenario mit dem größten Disruptionspotenzial – der No-Deal-Brexit – ist nach wie vor plausibel und nimmt ohne rasche politische Annäherung mit jedem Tag an Wahrscheinlichkeit zu. Ökonomisch wäre eine Einigung für beide Seiten, die wirtschaftliche so eng verflochten sind, zwar höchst vorteilhaft. Allerdings ist dies alles andere als eine Garantie für eine Annäherung und ein No-Deal-Brexit stellt ein Risiko mit vielen Facetten dar.

 

¹ Für die Daten der folgenden Abschnitte siehe: Deloitte Brexit Briefing 14, Die Verflechtung deutscher Sektoren mit dem Vereinigten Königreich – Trends seit dem Brexit Referendum https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/Brexit/Deloitte_Brexit-Briefing-Part-14_FINAL_de.pdf

² Datengrundlage für die deutschen Waren- und Dienstleistungsexporte: Statistische Bundesamt und deutsche Bundesbank. Datengrundlage für Umsätze und Beschäftigung: Unternehmensdatenbank D&B Hoovers zu britischen Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen mit internationalem Hauptsitz in Deutschland.

³ Zur Identifizierung intensiver Geschäftsbeziehungen wurde die Mitarbeiterzahl der Tochtergesellschaften angewandt und nur Unternehmen ausgewählt, die mindestens 100 Mitarbeiter im Vereinigten Königreich beschäftigen. Zur allgemeinen Darstellung wurden die Unternehmensdaten auf ihre entsprechenden Branchen hochaggregiert.

⁴ https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/Brexit/Brexit-Briefings-pt13-brexit-survey_DE.pdf

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.