Posted: 11 Feb. 2021 5 min Lesezeit

Economic Trend Briefing: Das Brexit-Abkommen und seine offenen Punkte

Die Einigung über ein Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, die Ende 2020 beschlossen wurde, konnte den No-Deal Brexit und damit ein Worst-Case-Szenario in letzter Minute abwenden. Dennoch ergeben sich für den Handel und die Kooperation zwischen den beiden Parteien gravierende Veränderungen im Vergleich zur vorherigen Mitgliedschaft des Vereinigten Königreiches im Europäischen Binnenmarkt. Über einige wichtige Themen der künftigen Beziehungen wie Datenschutz oder Regulierungen im Finanzsektor wurde im Partnerschaftsabkommen noch nicht entschieden, andere Themen wurden ausgeklammert. Im Folgenden sollen diese näher beleuchtet werden, ebenso wie bisherige ökonomische Effekte des Brexit auf Deutschlands Wirtschaft und Schlüsselbranchen. 

 

Brexit-Effekte vor dem Brexit

 

Die Unsicherheiten, die der Brexit-Prozess mit sich brachte, haben sich substanziell auf die deutsch-britischen Wirtschaftsbeziehungen ausgewirkt. Dies lässt sich sehr deutlich beim Außenhandel beobachten. Während das deutsche Handelsvolumen zwischen 2015 und 2019 (die Daten für 2020 sind durch die Corona-Krise stark verzerrt) insgesamt um 13,5 Prozent gestiegen ist, fiel das Handelsvolumen mit UK im selben Zeitraum um fast 8 Prozent. Diese Entwicklung dürfte vor allem in der Unsicherheit über den Marktzugang nach dem Brexit und die Abwertung des britischen Pfunds begründet sein.¹

 

Deutsches Handelsvolumen

Seit 2015 ist das Handelsvolumen insgesamt um 13,5% gestiegen – das Handelsvolumen mit dem Vereinigten Königreich jedoch um 7,7% gesunken.

Das Partnerschaftsabkommen konzentriert sich auf den Güterhandel. Es wurde festgelegt, dass es keine Zölle und Quoten beim Handel geben soll. Dies ist insofern ein großer Fortschritt, da bei einem No-Deal Brexit die Zölle der Welthandelsorganisation gegolten hätten, die für einige Warengruppen, wie zum Beispiel Autos, Teile oder auch viele Lebensmittel, substanziell sind. Das Verhängen von Zöllen ist jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen. Zollerhebungen sind im Falle von Vergeltungsmaßnahmen bei Verletzungen des Abkommens vorgesehen. Mehr dazu in unserem Beitrag "Brexit Fokus: Zölle und Präferenzen".

Die größte Änderung im Zollbereich ist, dass die Waren den Ursprungsregeln entsprechen müssen. Damit wird der Handel mit UK aufwendiger, da neue Zoll-Formalitäten und -Bestimmungen eingehalten werden müssen, die die Gefahr von Verzögerungen an der Grenze mit sich bringen.³

Über die Einhaltung und Weiterentwicklung des Abkommens wacht ein Partnerschafts-Ausschuss (Partnership Council), unter dem sich 19 Komitees und vier Arbeitsgruppen mit Spezialthemen des Handels und der Beziehungen zwischen EU und UK beschäftigen. Themen der Komitees sind beispielsweise Ursprungsregeln, intellektuelles Eigentum, regulatorische Zusammenarbeit, Energie, Lufttransport, Fischerei, und juristische Zusammenarbeit. Die Vielzahl der Ausschüsse deutet an, dass in nächster Zeit noch einige Fragen zu klären sein werden. 

 

Dienstleistungshandel erschwert und mit Unsicherheiten

 

Während ursprünglich ein möglichst umfassendes Abkommen angestrebt wurde, ist das Partnerschaftsabkommen auf wenige Bereiche fokussiert, vor allem auf den Güterhandel. Dies ist insofern auch nicht erstaunlich, als für die Verhandlungen nur ein sehr enger Zeitrahmen von insgesamt 11 Monaten zur Verfügung stand. Freihandelsabkommen, die über klassische Vereinbarungen hinausgehen, benötigen in der Regel sehr viel mehr Zeit, im Fall des CETA-Abkommens der EU mit Kanada waren es acht Jahre. Einige Politikbereiche wurden entgegen der ursprünglichen Absicht aus dem Abkommen sogar gänzlich ausgeklammert. Dazu gehören die Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik. Andere Bereiche sind in dem Partnerschaftsabkommen noch nicht abschließend geregelt.

Dies betrifft nicht zuletzt den Dienstleistungshandel. Klar ist, dass die automatische gegenseitige berufliche Anerkennung von Qualifikationen wegfällt. Damit müssen beispielsweise Dienstleister aus dem Vereinigten Königreich, die in der EU Kunden bedienen, ihre Qualifikationen in jedem Mitgliedsstaat, in dem sie tätig sind, anerkennen lassen. Ebenso fällt das Passporting-Regime für Finanzdienstleistungen zwischen UK und der EU weg, unter dem in einem Land registrierte Firmen in der ganzen Union tätig werden konnten.

Die zukünftigen Marktzugangsregelungen für Finanzdienstleistungen werden allerdings auf Äquivalenzentscheidungen beruhen, die unilateral von Großbritannien und der EU getroffen werden und nicht Teil des Abkommens sind. Die Äquivalenzbewertung wurde nicht – wie ursprünglich vorgesehen – während der Übergangsphase abgeschlossen und steht daher in weiten Teilen noch aus.

Für den Bereich Datentransfer und digitaler Handel wurden die Regelungen verschoben. Entscheidend ist hier, ob das Datenschutzniveau im Vereinigten Königreich als gleichwertig anerkannt wird. Bislang hat die Europäische Kommission keinen Angemessenheitsbeschluss für das Vereinigte Königreich erlassen. Das Freihandelsabkommen beinhaltet zum Datentransfer aus diesem Grund keine finale Übereinkunft der beiden Parteien. Jedoch wurde festgelegt, dass der Datenfluss zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich für eine Übergangsfrist von vier Monaten gewährleistet ist und um weitere zwei Monate verlängert werden kann. Erst danach kann abgesehen werden, ob es zu gravierenden Änderungen im Bereich Datentransfer kommt, die dann nicht nur den digitalen Handel, sondern auch die internen Prozesse von Unternehmen mit Standorten in UK betreffen würden. 

 

Der Brexit bleibt ein Prozess

 

Insgesamt regelt das Partnerschaftsabkommen den wichtigen Bereich des Güterhandels, für bedeutende andere Themen wie den Datenschutz und den gegenseitigen Marktzugang für Finanzdienstleistungen ist es noch nicht der Schlusspunkt. Hier wird es erst in den nächsten Monaten zu wichtigen Entscheidungen kommen. Langfristig müssen in vielen Politikbereichen über die durch das Abkommen eingesetzten Komitees die Details der künftigen Beziehungen präzisiert werden. Damit ist die Unsicherheit zwar deutlich gesunken, aber nicht gänzlich überwunden. 

 

 

¹ Alejandro Graziano; Kyle Handley; Nuno LImao. Brexit uncertainty and trade disintegration in Europe and beyond. Voxeu.org

² Deloitte Brexit Briefings Nr. 3 und Nr. 14, https://www2.deloitte.com/de/de/pages/strategy/articles/brexit-briefings.html

³ Für Details zu den Bestimmungen des Partnerschaftsabkommen siehe https://www2.deloitte.com/de/de/pages/strategy/topics/Brexit-Studien-und-Fachbeitraege.html

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.