Im Jahrzehnt zwischen der Finanzkrise 2009 und der Corona-Krise 2020 gab es vor allem einen Faktor, der das Wachstum in den Industrieländern bremste: eine andauernde und sehr ausgeprägte Investitionsschwäche. Die Firmen investierten trotz extrem lockerer Geldpolitik und kaum vorhandener Zinsen deutlich weniger als davor, das Wachstum wurde vor allem von Exporten und dem Konsum getragen. Dies war vor allem deshalb besorgniserregend, weil Investitionen die Produktivität treiben und damit den langfristigen Wohlstand einer Gesellschaft. Das vom früheren US-Finanzminister Larry Summers geprägte Schlagwort der säkularen Stagnation machte in diesem Zusammenhang Karriere.
Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass die Situation nach der Corona-Krise erst einmal beendet und der Trend gebrochen ist. Die Investitionsbereitschaft der Unternehmen steigt deutlich, teilweise auf Rekordhochs. Neben konjunkturellen Faktoren spielt auch ein neues Umfeld für Investitionen eine wichtige Rolle, das ein höheres Investitionslevel ermöglichen könnte.
Spätestens seit dem Frühjahr 2021 zeichnet sich in Deutschland eine steigende Investitionsbereitschaft ab. Der Deloitte CFO Survey konnte nach dem extremen Einbruch im Frühjahr 2020 eine Trendwende im Herbst feststellen und eine erstaunlich hohe Investitionsbereitschaft im Frühjahr, der Wert lag deutlich über den Werten aus wirtschaftlich besseren Zeiten in den letzten Jahren. Besonders investitionsfreudig zeigten sich die Konsumgüterindustrie und die Chemieindustrie. Gut nachvollziehbar – die Konsumgüterindustrie profitierte von einer Verlagerung der Konsumausgaben von Dienstleistungen in Richtung Güter, die Chemieindustrie von der Erholung der exportorientierten Industrie.
Ein Blick in die USA, die in der wirtschaftlichen Erholung bereits deutlich weiter sind, zeigt ein ähnliches Bild. Die Philadelphia FED erhebt die Investitionsabsichten von Unternehmen der verarbeitenden Industrie in den USA. Der entsprechende Index ist im Juli auf ein 30-Jahres-Hoch geklettert. Die Investitionsbereitschaft war also seit Anfang der 1990er Jahre nie höher. Die Statistik in den USA erlaubt auch ein detaillierteres Bild, in was genau investiert wird. Und hier zeigt sich eine sehr starke Bewegung in Richtung Digitalisierung. Während der Pandemie sind vor allem die Ausgaben für IT und Software erst stabil geblieben und dann durch die Decke gegangen. Die sonstigen Investitionen sind dagegen erst einmal stark eingebrochen und befinden sich seitdem auf Erholungskurs, wenn sie auch das Ausgangsniveau noch nicht wieder erreicht haben.
Die Daten aus den USA passen auch gut zu den Plänen deutscher Unternehmen. Im Herbst 2020 gab eine große Mehrheit im Deloitte CFO Survey an, dass sie in den nächsten 12 Monaten vor allem in die Optimierung von Organisation und Geschäftsprozessen investieren wollen ebenso wie in Software und Daten. Klassische Investitionen in Maschinen, Anlagen, Gebäude oder Infrastruktur waren dagegen ziemlich unpopulär. Es scheint damit so, als würde die Corona-Krise tatsächlich einen Digitalisierungsschub in den Unternehmen auslösen und den Weg Richtung digitale und immaterielle Wirtschaft beschleunigen. Die Frage ist natürlich, wie nachhaltig dieser positive Investitions-Trend ist.
Es gibt vier Gründe warum der Trend erst einmal andauern dürfte: Erstens gibt es eine große aufgestaute Nachfrage der Konsumenten, die auch gesamtwirtschaftlich sehr hohe Ersparnisse aufweisen. Um die zunehmend steigende Nachfrage zu bedienen, benötigen Unternehmen neue Maschinen, Ausrüstungen, Software und digitale Tools. Zweitens kommen unterbrochene Lieferketten hinzu, die diese Herausforderung noch verstärken und weitere Investitionen in den Ausbau von Kapazitäten auslösen dürften. Laut Umfragen des ifo-Institutes geben aktuell fast zwei Drittel der Unternehmen an, dass Materialmangel und Engpässe momentan ihre Produktion beeinträchtigen.¹
Drittens dürfte die Investitionsaktivität der Unternehmen von den massiven fiskalpolitischen Programmen in den USA, die sich insgesamt auf fast vier Billionen Dollar belaufen, und in der Europäischen Union mit dem 750 Milliarden Euro Recovery Fund, stimuliert werden. Der vierte Punkt hat damit zu tun, dass Unternehmen vor allem in den USA zunehmend Probleme haben, freie Stellen zu besetzen. Dies liegt teilweise daran, dass Arbeitnehmer sich ganz aus dem Arbeitsmarkt verabschiedet haben beziehungsweise nicht mehr in ihren alten Job zurückkehren möchten. Eine mögliche Folge dieser Entwicklung ist, dass Unternehmen mehr in Automatisierung investieren und somit Investitionen steigern. Die Entwicklung in Deutschland ist nicht ganz vergleichbar, weil über Kurzarbeit viele bestehende Jobs bewahrt wurden. Der Fachkräftemangel ist allerdings auch hier laut dem Deloitte CFO Survey aus dem Frühjahr bereits wieder eines der Hauptrisiken für Unternehmen, und die demographische Entwicklung dürfte auch hierzulande für mehr Automatisierung sorgen.
Konjunkturell ist die steigende Investitionsbereitschaft der Unternehmen eine ausgesprochen gute Nachricht. Es bedeutet vor allem, dass der Wachstumsmotor ausgeglichener laufen würde. Das Anziehen des Welthandels, vor allem durch Nachfrage aus China, hat die Weltwirtschaft und exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland seit letztem Herbst stabilisiert und vor noch Schlimmerem bewahrt. Seit dem Frühjahr sehen wir eine Steigerung der Konsumlaune und der Konsumausgaben. Dies ist alleine deshalb schon positiv, weil während der Corona-Krise sehr intensiv gerätselt wurde, ob die Pandemie nicht grundsätzlich zu zögerlichen und sparsamen Konsumenten führen würde. Das hat sie offensichtlich nicht getan – der Konsum dürfte Wachstumsmotor bleiben, nicht zuletzt wegen der hohen gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse und dem Bedürfnis, entgangenen Käufe nachzuholen. Wenn sich die Investitionsbereitschaft auch noch auf höherem Level stabilisiert, steht einem selbstragenden Aufschwung nichts mehr im Weg – abgesehen von der Gefahr neuer Wellen der Pandemie und entsprechend weiterer Lockdowns. Der langfristig bedeutsame Nebeneffekt von höheren Investitionen wäre eine höhere Produktivität – und damit einhergehend steigende Einkommen.
¹ Ifo Institut 2021. Industrie klagt massiv über Materialmangel. https://www.ifo.de/node/64479
Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.