Posted: 26 Feb. 2021 5 min Lesezeit

Economic Trend Briefing: Konjunktur in der Eurozone verläuft W-förmig, aber Silberstreif erkennbar

Die zweite Welle der Corona-Infektionen und die damit einhergehenden Beschränkungen haben die konjunkturelle Erholung in der Eurozone im letzten Quartal 2020 vorerst gestoppt. Auch für das laufende Quartal ist keine Besserung in Sicht. Das Wachstum dürfte aller Voraussicht nach negativ ausfallen, sodass sich die Eurozone in einer technischen Rezession befindet, die durch einen Rückgang der Wirtschaftsleistung in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen definiert ist. Allerdings zeichnet sich ein Silberstreif am Horizont ab: Sobald der Impffortschritt in substantiellen Lockerungen der gegenwärtigen Beschränkungen resultiert, dürfte der private Konsum, dank erheblicher Ersparnisse, den Aufschwung prägen und das Wachstum nach oben ziehen. 

 

W statt V: Konjunkturverlauf

 

Die Eurozone hat das Jahr 2020 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von 6,8 Prozent abgeschlossen. Damit war der Konjunktureinbruch in der Eurozone fast doppelt so tief wie in den USA (-3,7 Prozent). Das am schwersten betroffene Land in Europa war Spanien mit einem Rückgang von 11 Prozent. Der Konjunkturverlauf im Jahr 2020 war mehr als turbulent. Nach einem leichten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts Anfang des Jahres brach es im zweiten Quartal um fast 12 Prozent ein, bevor es im darauffolgenden Quartal um 12,4 Prozent zurückschnellte, um im letzten Quartal wieder um 0,6 Prozent zu schrumpfen.

Die Corona-bedingten Beschränkungen und Verschärfungen führen dazu, dass im ersten Quartal 2021 ein weiterer Rückgang in derselben Größenordnung erwartet werden kann. Dadurch hat der Aufschwung seit Beginn der Pandemie nicht die oft ersehnte Form eines V angenommen. Durch den aktuellen Rückgang der Wirtschaftsleistung befindet sich die Eurozone in einer Double-Dip-Rezession und der Konjunkturverlauf sieht durch die Auf-und-Ab-Bewegung einem W deutlich ähnlicher.

Bemerkenswert und ein wichtiger Unterschied zum Jahr 2020 ist allerdings, dass trotz der Tiefe und des Ausmaßes der Beschränkungen die ökonomischen Folgen sehr viel weniger gravierend ausfallen als in der ersten Corona-Welle. Deloitte Research erwartet einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von 0,7 Prozent in der Eurozone im ersten Quartal 2021, das ist ein Bruchteil des oben beschriebenen Rückgangs im zweiten Quartal 2020. 

 

Industrie federt Rezession ab

 

Dies hat vor allem damit zu tun, dass die Industrie auf Expansionskurs ist und – anders als in der ersten Welle – weiter produzieren kann. Seit Juli letzten Jahres ist der Einkaufsmanagerindex für die Industrie in der Eurozone konstant im expansiven Bereich und erreichte im Dezember ein 18-Monats-Hoch. Dieser Trend scheint auch im Jahr 2021 anzuhalten und lässt den Einkaufsmanagerindex weiterhin auf hohem Niveau verweilen. Dies ist umso erstaunlicher, als die Industrie sich bis kurz vor der Corona-Pandemie noch in einer Rezession befand. Die aktuelle Stimmung in den europäischen Unternehmen ist in den Sektoren Auto, Chemie, Maschinenbau und Elektronik mit Abstand am positivsten, wie der aktuelle Economic Sentiment Index der EU-Kommission für Februar zeigt.

Wichtig für die gute Entwicklung der Industrie war die schnelle Erholung des Welthandels. Die Exporte der Eurozone liegen nur sehr knapp unter den Werten vom Anfang 2020 und haben den Corona-Schock damit fast überwunden. Die hohe Nachfrage aus China ist ein wichtiger Teil dieser Entwicklung. Im Februar dieses Jahres kam es deswegen auch zu einer historischen Zäsur: Im Schatten der Corona-Krise hat erstmals China die USA als wichtigster Handelspartner der Europäischen Union abgelöst.

Umgekehrt ist der Dienstleistungssektor von den herrschenden Beschränkungen umso schwerwiegender betroffen, vor allem der Bereich der konsumnahen Dienstleistungen. Auf Länderebene ist neben dem Ausmaß der Beschränkungen die Wirtschaftsstruktur entscheidend für das Ausmaß des derzeitigen Abschwungs. Länder, deren Wirtschaft mehr von diesen Sektoren abhängt, wie etwa Spanien und Italien vom Tourismus, sind somit stärker von den Lockdown-Maßnahmen betroffen. Die Länder, die laut Prognosen der EU Kommission im ersten Quartal 2021 die tiefsten Rückgänge der Wirtschaftsleistung sehen werden, sind Portugal, Irland und Österreich. Die Zweiteilung der Wirtschaft zwischen Industrie und Dienstleistungen zeigt sich an der Entwicklung der aktuellen Stimmung in den Sektoren der Eurozone.

In den nächsten Monaten wird der Fortgang der Impfungen die Konjunktur bestimmen. Ende Februar wurden innerhalb der EU in Dänemark, Rumänien, Polen und Spanien relativ zur Bevölkerungsgröße die meisten Menschen geimpft. Mit neun Prozent geimpfter Bevölkerung liegt der EU-Spitzenreiter Dänemark allerdings weit hinter den Werten des Vereinigten Königreichs (27 Prozent). Deutschland liegt zum selben Zeitpunkt bei gut 6 Prozent.¹ Diese Unterschiede werden die Geschwindigkeit des Aufschwung in den einzelnen Ländern prägen.

 

Konsum wird Aufschwung prägen, Inflation möglich

 

Sobald der Impffortschritt die Öffnung der Volkswirtschaften ermöglicht, werden die Konsumenten eine entscheidende Rolle spielen. Die tiefe Rezession in 2020 hat den Arbeitsmarkt dank vielfältiger Stützungsmaßnahmen und der Einführung von Kurzarbeitergeld in vielen Staaten der EU vergleichsweise wenig berührt. Die offizielle Arbeitslosigkeit stieg in der Eurozone nur von 7,4% in 2019 auf 8,4% in 2020.²  Von daher sind die verfügbaren Einkommen in der Eurozone relativ stabil geblieben, während gleichzeitig die Ersparnisse explodierten. Zum einen weil die Konsumenten vorsichtig wurden und Geld zurückgelegt haben, zum anderen weil im Lockdown die Möglichkeiten, Geld auszugeben, beschränkt waren und aktuell sind. Eine Bundesbank-Umfrage für Deutschland zeigte letzten August nach dem ersten Lockdown, dass die wichtigsten Gründe für reduzierte Ausgaben die Nicht-Verfügbarkeit von Produkten und Dienstleistungen war und manche Ausgaben im Lockdown schlicht nicht notwendig waren. Weniger Einkommen beziehungsweise die Angst davor wurden als sehr viel weniger wichtig gesehen.³

Die Konsequenz für die Eurozone ist, dass die Ersparnisse der Konsumenten hoch sind. Oxford Economics schätzt, dass die Sparquote in der Eurozone von 13 Prozent 2019 auf 19 Prozent 2020 gestiegen ist. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass die Konsumenten in der Eurozone circa 450 Milliarden Euro mehr als in 2019 gespart haben. Wenn diese Ersparnisse aufgelöst werden, auch nur in Teilen, und in nachholenden Konsum fließen, wäre der Effekt auf das Wachstum beträchtlich und könnte zu einem raschen Aufschwung führen. Wie schnell dies geschieht, hängt vom Impffortschritt ab; in welchem Ausmaß, hängt von der Arbeitsmarktsituation und den Zukunftserwartungen der Konsumenten ab. Aber ein beschleunigter Aufschwung, der im zweiten Quartal 2021 langsam Anlauf nimmt, ist eine durchaus realistische Möglichkeit.

Eine Begleiterscheinung eines solchen Aufschwungs könnte eine steigende Inflation sein. Eine rasch stark steigende Nachfrage, gekoppelt mit einem starren Angebot, könnte zu Preissteigerungen führen, zumindest in einigen Sektoren. Vorstellbar ist beispielsweise, dass Dienstleistungsbetriebe wie Restaurants nicht so schnell ihre Leistungen ausweiten können, Kapazitätsgrenzen im manchen Branchen erreicht werden oder die Transportkosten von Containern weiter steigen. Eine steigende Inflation, die von einer plötzlichen Konsumsteigerung ausgeht, dürfte aber nur temporär sein. Die Faktoren für eine nachhaltig steigende Inflation sind zumindest mittelfristig noch nicht gegeben. 

 

¹ Our World in Data. Cumulative Covid-19 Vaccinations Administered per 100 People. https://ourworldindata.org/covid-vaccinations, Zugriff am 24.2.2021

² Eurostat, “Euro area unemployment at 8.4%”, December 2, 2020

³ Deutsche Bundesbank, „Outlook for the German economy for 2021 to 2023“ , December 16, 2020 

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.