Posted: 23 Sep. 2022 5 min Lesezeit

Die neue Handelsdynamik in Ostasien

Globalisierung und Welthandel mögen aufgrund der Pandemiefolgen sowie der Handels- und realen Kriege ihre besten Zeiten fürs erste hinter sich haben. Die Entwicklung in Ostasien verläuft aber anders. Der innerasiatische Handel hat sich äußerst dynamisch entwickelt, während gleichzeitig eine Vielzahl neuer Abkommen in der Region Barrieren abbauen und damit dem freien Warenaustausch weiteren Aufwind geben dürften.

Der globale Handel hat in den letzten Jahrzehnten verschiedene Phasen durchlaufen und wuchs von den 1990er Jahren bis zur Finanzkrise stark durch den Aufbau globaler Lieferketten. Seitdem entwickelt er sich sehr viel gemächlicher, in den letzten zehn Jahre ging er in Relation zum weltweiten BIP-Wachstum sogar deutlich zurück.¹ Die Gründe sind offensichtlich: Der freie Welthandel wird zunehmend von Handelsbeschränkungen erschwert, etwa durch den Handelskonflikt zwischen den USA und China, die Auswirkungen des Ukraine-Krieges, aber auch durch generell protektionistische Tendenzen. Zuletzt setzten die Folgen der COVID-Pandemie sowie des Ukrainekriegs die globalen Lieferketten unter Druck. Diese Trends führen global gesehen zu einer tendenziellen Entflechtung des Handels und damit auch der Weltwirtschaft.

Es gibt aber auch andere Entwicklungen, fern der westlichen Welt: In Ostasien entstehen aktuell handelspolitische Trends, die zu einer verstärkten wirtschaftlichen Integration innerhalb der Region führen dürften und neue Chancen für Unternehmen eröffnen. 

 

Trends im ostasiatischen Handel

 

Der Osten Asiens² stellt mit den Teilregionen Nordostasien (z. B. China, Japan, Südkorea) und Südostasien (z. B. Singapur, Indonesien, Malaysien und Vietnam) eine der weltweit dynamischsten Wirtschaftsregionen dar. Der Internationale Währungsfonds geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt der Region in den nächsten fünf Jahren um durchschnittlich 5,4 Prozent wachsen wird. Spitzenreiter in Bezug auf das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in diesem Zeitraum sind Vietnam (7,0%), die Philippinen (6,5%), die Mongolei (6,2%) und Kambodscha (6,2%).³ 

Das Wachstum wird nicht zuletzt durch den Handel getrieben. Beispielsweise sind die weltweiten Exporte der Region seit der Finanzkrise 2009 um 73 Prozent angestiegen. Auffallend ist dabei die starke Dominanz des innerostasiatischen Handels mit einem Anstieg der Exporte innerhalb der Region um 1,3 Billionen US-Dollar. Im Vergleich dazu stiegen die ostasiatischen Exporte nach Nordamerika lediglich um jeweils 0,4 Billionen US-Dollar.  

Abbildung 1: Ostasiatische Exporte nach Zielregion (in Bill. US$)

Vor allem die beiden Sektoren Kapitalgüter und Maschinen & Elektronik stechen hier heraus: Auf sie entfielen 2019 auf 46 bzw. 43 Prozent der innerostasiatischen sektoralen Exporte– ein deutlicher Hinweis auf eine stark steigende Verflechtung der ostasiatischen Produktionsnetzwerke. 

Abbildung 2: Anteil der sektoralen Exporte aus Ost-Asien nach Ost-Asien (in %)

Ein Netz neuer Handelsabkommen

 

Weitreichende neue wirtschaftliche Impulse sind in Ostasien durch den weiteren Abbau von Handelsbeschränkungen zu erwarten. Gegenwärtig sind 195 Handelsabkommen mit ostasiatischer Beteiligung in Kraft, die meisten davon bilateral, 19 befinden sich im Unterzeichnungsprozess, weitere 97 werden derzeit verhandelt.⁴

Am wichtigsten für die Wirtschaft sind jedoch die großen multilateralen Handelsabkommen, die derzeit in Ostasien vorbereitet (siehe Abbildung 3) und durch geopolitische Entwicklungen geprägt werden, vor allem durch die Konkurrenz zwischen den USA und China. Unter der Trump-Regierung zogen sich die USA aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) zurück und konzentrierten sich auf bilaterale Abkommen. Dadurch nahm der geopolitische Einfluss der USA in Ostasien ab.⁵ Im Jahr 2021 trat China in dieses Vakuum mit einem Antrag auf den Beitritt zum Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP), dem Nachfolger des TPP.⁶ Gegenwärtig scheint es unter der Biden-Regierung Tendenzen zur Wiederaufnahme der CPTPP-Gespräche zu geben.⁷

Darüber hinaus haben die USA eine Initiative zur Schaffung eines Indo-Pazifischen Wirtschaftsrahmens mit 14 Ländern gestartet (siehe Abb. 4),⁸ offizielle Gespräche dazu begannen im Mai 2022. Dieser Wirtschaftsraum würde 40 Prozent des globalen BIP umfassen, das Abkommen könnte Ende 2023 verabschiedet werden.⁹ Auch die EU ist handelspolitisch in Ostasien aktiv, das bilaterale Freihandelsabkommen JEUFTA zwischen Japan und der EU ist im Februar 2019 in Kraft getreten. Das umfassende -Investitionsabkommen Comprehensive Agreement on Investment (CAI) mit China wurde bereits ausgehandelt, aber vom EU-Parlament aufgrund diplomatischer Spannungen vorerst blockiert.¹⁰

Abbildung 3: Aktuelle handelspolitische Entwicklungen in Asien

RCEP – das größte Freihandelsabkommen der Welt

 

Das bisher umfassendste Freihandelsabkommen ist das Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP). Es ist am 1. Januar 2022 in Kraft getreten und beinhaltet aktuell 15 Länder (siehe Abbildung 4). Der Umfang des Abkommens entspricht mit einem Volumen von 26 Billionen Dollar etwa einem Drittel des globalen BIP. Der Schwerpunkt dieses Abkommens liegt auf dem Abbau von Handelsschranken, insbesondere von Zöllen. Die Vereinbarung sieht vor, in einem ersten Schritt nach dem Inkrafttreten die Zölle um 65 Prozent zu senken; innerhalb von 20 Jahren sollen sie um 90 Prozent gesenkt werden.¹¹

Der Fokus liegt dabei auf dem Industriesektor, der Agrarsektor wurde von der Zollsenkung explizit ausgeschlossen.

Prognosen gehen davon aus, dass der ostasiatische Handel durch das RCEP bis 2025 um etwa 10 Prozent gesteigert werden und so ein Zuwachs der Wirtschaftsleistung von 170 Milliarden US-Dollar möglich ist.¹² Die Hauptprofiteure des RCEP wären vor allem China, Japan und Südkorea, da sie bisher noch nicht in ein multilaterales Handelsabkommen in Ostasien einbezogen sind. Generell könnte die Abschaffung der Zölle zu einer Umstrukturierung der Lieferketten führen, was sich dann auch in den globalen Lieferketten bemerkbar machen würde. Im Gegensatz zum Zollabbau stehen nicht-tarifäre Handelshemmnisse sehr viel weniger im Fokus von RCEP, obwohl das Potenzial noch größer wäre. Allerdings sind hier die politischen Hürden auch noch einmal sehr viel höher, weil innenpolitische Regulierungen harmonisiert werden müssten.¹³

Abbildung 4: Länderübersicht der wichtigsten Freihandelsabkommen in Asien

Ostasiatische Einigkeit – Blockbildung oder Lokomotive?

 

Die stärkere Integration der intraregionalen Lieferketten fördert das innerasiatische Produktionsnetzwerk und bietet so vielfältige Chancen für die dortigen, aber auch für internationale Unternehmen mit Standorten in der Region. Durch die Zollsenkungen in der RCEP-Region bieten sich neue Investitionsmöglichkeiten. Beispielsweise können bisherigen Standorte als Exportbasen genutzt werden, um von dort aus kostengünstig in neue Wachstumsmärkte wie Vietnam, Thailand oder Malaysia zu exportieren. Auch können Standorte in Asien den wichtigen chinesischen Markt bedienen. Zusätzlich zu den Zollsenkungen hat das RCEP die sogenannten Ursprungsregeln harmonisiert, was den bürokratischen Verwaltungsaufwand für Unternehmen innerhalb Ostasiens reduziert und den innerasiatischen Warenaustausch erheblich erleichtert.¹⁴ Für Exporte aus Europa nach Ostasien ist die Einfuhr nun zollfrei möglich, wenn 60 Prozent der Wertschöpfung des Produkts aus der RCEP-Region stammen.

Die Handelsabkommen, insbesondere das RCEP, dürften die wirtschaftliche Dynamik in Ostasien weiter steigern. In einem negativen Szenario könnte dies ein Schritt in Richtung regionaler Blockbildung bedeuten, der zu einer verstärkten Regionalisierung und damit zu einer weiteren Entkopplung der Weltwirtschaft führt. In einem positiven Szenario kann Ostasien jedoch zur Lokomotive der Weltwirtschaft werden und durch eine verstärkte Integration wichtige globale Wachstumsimpulse liefern. Das RCEP ist bereits der größte Freihandelsblock der Welt, noch vor NAFTA und der EU.

 

 

¹ Weltbank (2022), World Bank National Accounts Data, https://data.worldbank.org/indicator/NE.TRD.GNFS.ZS

² Beinhaltet Australien, Brunei, Birma, Kambodscha, China (einschließlich der Sonderverwaltungszone Hongkong und der Sonderverwaltungszone Macao), Osttimor, Fidschi, Indonesien, Japan, Kiribati, Laos, Malaysia, Marshallinseln, Mikronesien, Mongolei, Nauru, Neuseeland, Nordkorea, Palau, Papua-Neuguinea, Philippinen, Samoa, Singapur, Salomonen, Südkorea, Taiwan, Thailand, Tonga, Tuvalu, Vanuatu und Vietnam.

³ IMF Outlook (2022), World Economic Outlook Database, https://www.imf.org/en/Publications/WEO/weo-database/2022/April/select-countries?grp=2001&sg=All%20countries

⁴ UNESCAP (2022). Preferential Trade Agreements in Asia and the Pacific 2021/2022. https://www.unescap.org/sites/default/d8files/knowledge-products/APTIT_PTA_20212022.pdf

⁵ Cato (2022), 5 Years Later the United States Is Still Paying for Its TPP Blunder, https://www.cato.org/blog/5-years-later-united-states-still-paying-tpp-blunder

⁶ CSIS (2021), Look Skeptically at China’s CPTPP Application, https://www.csis.org/analysis/look-skeptically-chinas-cptpp-application

⁷ PIIE (2021), China's CPTPP bid puts Biden on the spot, https://www.piie.com/blogs/trade-and-investment-policy-watch/chinas-cptpp-bid-puts-biden-spot

⁸ CSIS (2022), Unpacking the Indo-Pacific Economic Framework Launch https://www.csis.org/analysis/unpacking-indo-pacific-economic-framework-launch

⁹ Brownstein (2022), Focus on the Indo-Pacific: Better Understanding the Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity, https://www.bhfs.com/insights/alerts-articles/2022/focus-on-the-indo-pacific-better-understanding-the-indo-pacific-economic-framework-for-prosperity

¹⁰ DW (2021), EU legt China-Abkommen auf Eis, https://www.dw.com/de/eu-legt-china-abkommen-auf-eis/a-57435512

¹¹ Unctad (2021), An Assessment of the Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) Tariff Concessions, https://unctad.org/system/files/official-document/ser-rp-2021d16_en.pdf

¹² Petri & Plummer (2020), East Asia Decouples from the United States: Trade War, COVID-19, and East Asia’s New Trade Blocs, Peterson Institute for International Economics (PIIE) Working Paper, https://www.piie.com/system/files/documents/wp20-9.pdf; Brookings (2020), The significance of the Regional Economic Partnership Agreement, https://www.brookings.edu/blog/future-development/2020/11/20/the-significance-of-the-regional-economic-partnership-agreement/

¹³ Yalcin et al. (2017) zeigen in Ihrer Studie, dass die Einführung eines NTMs die bilateralen Einfuhren um 12% verringert. Somit hätte der Abbau von NTMs ein großes wirtschaftliches Potenzial, da derzeit 9550 nichttarifären Handelshemmnisse in Ostasien aktiv sind. (UNCTAD Trains (2022). Tarif and NTM Database. https://trainsonline.unctad.org/)

¹⁴ Teti & Hildenbrand (2021). RCEP, die größte Freihandelszone der Welt: Was beinhaltet der Mega-Deal und mit welchen Auswirkungen ist zu rechnen?. ifo Schnelldienst, 74(02), 39-44.

 

Ansprechpartner Research:

Dr. Timo Walter

Associate Manager | Economics

twalter@deloitte.de

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.