Posted: 12 Jan. 2024 5 Lesezeit

Economic Trend Briefing: Konjunktureller Ausblick 2024: Leichte Erholung mit wenig Dynamik

Das Jahr 2023 war konjunkturell ein durchwachsenes Jahr. Die ursprüngliche Hoffnung, dass die Wirtschaft nach einem sehr schwierigen Winterhalbjahr in der zweiten Jahreshälfte wieder Fahrt aufnehmen würde, bewahrheitete sich nicht – tatsächlich verliefen die beiden Halbjahre gegensätzlich zu den Erwartungen. Die Inflation blieb ein bestimmendes Thema 2023, konnte aber mit einer restriktiven Geldpolitik sehr deutlich gesenkt werden. Für 2024 bestehen weiterhin große Unsicherheiten, vor allem hinsichtlich der geopolitischen Spannungen und Konflikte. Die niedrige Inflation ist ein Hoffnungsschimmer, und die damit steigenden Realeinkommen dürften die stärksten Treiber der diesjährigen Konjunktur werden. Ebenso entscheidend wird das Timing des Zinssenkungszyklus, dessen Beginn für 2024 wahrscheinlich ist. 

Um dieser Bandbreite möglicher Entwicklungen Rechnung zu tragen, hat Deloitte Research drei Konjunkturszenarien analysiert, wie sich die Konjunktur in Deutschland unter verschiedenen Bedingungen entwickeln dürfte. Die Spanne reicht von 0,9 Prozent im positivsten Szenario bis zu -0,1 Prozent im ungünstigsten Fall. Im Basisszenario indessen verzeichnet die Wirtschaft ein leichtes Wachstum von 0,4 Prozent.

 

2023: Ausgebliebene Risiken, Inflation und die Spaltung der Wirtschaft

 

Noch in der ersten Hälfte des Jahres 2023 blieb die wirtschaftliche Stimmung noch recht positiv, da sich einige Risiken nicht manifestierten. So blieb die von vielen erwartete Energiekrise aus, und die Probleme der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse resultierten nicht in einer Krise des Bankensektors. Ebenso wenig rutschten die USA infolge der Zinserhöhungen in die Rezession ab, und gleichzeitig öffnete China wieder seine Wirtschaft durch das Ende der Corona-Beschränkungen.

Ab dem Sommer verschlechterte sich die Stimmung jedoch deutlich, vor allem aufgrund der Zinserhöhungen, die die Konjunktur abbremsten. Dies spiegelt sich auch im deutschen Einkaufsmanagerindex, dem sogenannten Purchasing Managers Index (PMI) wider, einem Frühindikator für die Wirtschaftsentwicklung. Dieser blieb bis zum Ende des Jahres im negativen Bereich (Abbildung 1).

Der Dienstleistungssektor war der hauptsächliche positive Faktor für die Wirtschaft im Jahr 2023. Allerdings verschlechterte sich auch die Stimmung in diesem Sektor gegen Ende des Jahres aufgrund schwierigerer finanzieller Bedingungen und eines Rückgangs der Aufträge aus der Industrie. Diese schwierige Situation des Industriesektors kommt auch in der Entwicklung des PMI für das verarbeitende Gewerbe zum Ausdruck. Im Gegensatz zu den Dienstleistungen verharrte die Stimmung hier das ganze Jahr über im negativen Bereich, vor allem in der ersten Jahreshälfte war ein Abschwung spürbar. In der zweiten Jahreshälfte blieb der Abschwung in der verarbeitenden Industrie immer noch tief, wenngleich die Dynamik sich verlangsamte. Die Produktionsleistung ging weiterhin in einem stetigen Tempo zurück, wenn auch langsamer, ebenso wie die Auftragseingänge.

Abb. 1: Entwicklung des Purchasing Managers Index (PMI) in Deutschland - Der PMI ist ein Frühindikator für die konjunkturelle Entwicklung, bei dem die Einkaufsmanager ihre Geschäftslage im Vergleich zum Vormonat bewerten. Ein Wert über 50 spiegelt eine positive Beurteilung der wirtschaftlichen Lage wider. Quelle: Tradingeconomics (2024)

Auf der positiven Seite war das Jahr 2023 geprägt durch den deutlichen Rückgang der Inflation. Sie sank bis November auf 3,2 Prozent, im Dezember stieg die Inflation jedoch aufgrund von Basiseffekten wieder auf 3,7 Prozent. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Bundesregierung im Dezember 2022 einen einmaligen Rabatt für Gas und Heizung für Privathaushalte gewährt hatte.1 Ein Blick auf die Kerninflation (ohne Energie- und Lebensmittelpreise) zeigt jedoch, dass die Verbraucherpreise im Allgemeinen rückläufig sind. So verlangsamte sich die Kerninflation auf ein Jahrestief von 3,5 Prozent im Dezember. Dies führte dazu, dass sich die Stimmung der Verbraucher:innen wieder leicht verbesserte. Allerdings sind auch Steuererhöhungen und die Streichung von Subventionen zu verzeichnen, was die Verbraucherstimmung in diesem Jahr wieder dämpfen könnte.

Abb. 2: Inflationsrate in Deutschland (Steigerung gegenüber Vorjahresmonat in %) - Quelle: Statistisches Bundesamt (2024)

Szenarien für 2024: Schwache Erholung, Stagnation oder Konsum-Boom

 

Die wirtschaftlichen Unsicherheiten für das Jahr 2024 bleiben nach wie vor groß. Deshalb hat Deloitte Research drei verschiedene Szenarien analysiert, wie sich die wirtschaftliche Situation entwickeln könnte.

  • Basisszenario "Schwache Erholung" (60%)
    Die wichtigste wirtschaftliche Triebkraft ist der kontinuierliche Rückgang der Inflation. In der Folge steigen die Reallöhne moderat, was die Verbraucherstimmung verbessert. Die Zinssätze bleiben erstmal konstant, wobei die ersten Zinssenkungen ab dem dritten Quartal 2024 erwartet werden. Der Arbeitsmarkt erweist sich als robust. Auf Seite der Auslandsnachfrage gibt es wenig Impulse, da die überraschend gute Wachstumsdynamik in den USA nachlässt und auch die Auslandsnachfrage in Europa und China schwächer ist.  Sie wird jedoch ab Mitte des Jahres mit den Zinssenkungen (in den USA und in der EU) wieder anziehen. Im Ergebnis wird das BIP in diesem Basisszenario um 0,4 Prozent wachsen und die Inflation bei 2,7 Prozent liegen.
  • Szenario "Stagnation hält an" (30%)
    In diesem Szenario geht die Inflation deutlich langsamer zurück und die erwarteten Zinssenkungen erfolgen erst im vierten Quartal 2024. In der Folge entwickelt sich der private Konsum gedämpfter und kann kaum Impulse für die Wirtschaft setzen. Auch die Steuererhöhungen zu Jahresbeginn, wie die Mehrwertsteuer im Gastgewerbe und die CO2-Steuer, wirken sich verstärkt auf den Konsum aus. Die geopolitischen Spannungen bleiben hoch. Der Welthandel wird durch den Konflikt im Nahen Osten sowie durch die Spannungen zwischen den USA und China gebremst. Dies führt zu einem Rückgang der Industrieproduktion und des Dienstleistungssektors, entsprechend nehmen Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zu. In diesem Szenario geht das BIP um 0,1 Prozent zurück und die Inflation liegt für das Jahr bei 3,0 Prozent.
  • Szenario "Konsumgetriebene Erholung" (10%)
    Die Inflation geht deutlich und schnell zurück, was auf den Rückgang der Energiepreise zurückzuführen ist. Die Reallöhne steigen und die Sparneigung der Bevölkerung sinkt, so dass der private Verbrauch zunimmt. Diese verbesserte Konsumentenstimmung stützt vor allen den Dienstleistungssektor. Die positive wirtschaftliche Entwicklung in den USA und die Stabilisierung der Lage in China und in der EU stützen die deutsche Industrie durch die Steigerung der Exportnachfrage. Dieses Szenario ergibt ein Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent und eine Inflationsrate von 2,4 Prozent.
Abb 3: BIP-Prognosen für 2024 (Veränderung in Prozent) - Quelle: Deloitte Research (2024)

Makro-Themen 2024: Superwahljahr, Geopolitik, KI

 

Neben der Konjunkturentwicklung dürfte das Jahr 2024 von übergreifenden Makrotrends geprägt werden, die die wirtschaftliche Dynamik im laufenden Jahr und darüber hinaus beeinflussen dürften.    

So ist in diesem Jahr weltweit eher politischer Stillstand als frischer Schwung durch neue Reformen zu erwarten. Denn 2024 ist ein globales Superwahljahr mit über 50 nationalen Wahlen weltweit, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wird an die Urnen gerufen. Zu den wichtigsten Wahlen gehören dabei die Europawahl im Juni, die US-Präsidentschaftswahl im November sowie die Parlamentswahlen in Indien. Daneben gibt es aber auch nationale Abstimmungen in einigen afrikanischen Ländern, in Österreich, Finnland und Belgien. Damit werden in vielen demokratischen Ländern eher Wahlkämpfe und weniger Reformen im Mittelpunkt der Politik stehen.

Desweitern bleibt die Geopolitik ein bestimmender Faktor für die Entwicklung der Wirtschaft. Die Spannungen im Zusammenhang mit dem Anspruch Chinas auf Taiwan werden wahrscheinlich anhalten, und es besteht die Gefahr einer Eskalation. Auch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sind zu Beginn des Jahres noch lange nicht vorbei, hier ist ebenfalls eine Zuspitzung der Lage jederzeit möglich. Für die Wirtschaft bedeutet dies, dass Fragen zu geopolitischen Risiken, insbesondere im Hinblick auf Lieferketten, Absatzmärkte und Investitionen, eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern.

Darüber hinaus dürfte das Jahr 2024 vom zunehmenden Einsatz von künstlicher Intelligenz in den Unternehmen geprägt werden. Berechnungen zur Einführung von KI und ihren Auswirkungen auf die Produktivität zeigen, dass die größten Konsequenzen mittelfristig zu erwarten sind und sowohl die Produktivität als auch das Wirtschaftswachstum erheblich steigern können.5  2024 dürfte das Jahr werden, in dem die ersten KI-basierten Produktivitätsfortschritte sichtbar werden. Dies wäre angesichts des schwachen Produktivitätswachstums der vergangenen Jahre eine sehr gute Nachricht.

 

Ansprechpartner Research:

Dr. Timo Walter

Associate Manager | Economics

twalter@deloitte.de

 

1 Statistische Bundesamt (2024), „Inflationsrate im Dezember 2023 voraussichtlich +3,7 %“, abgerufen am 08.01.2024

2 Goldman Sachs (2023), „AI may start to boost US GDP in 2027”, abgerufen am 09.01.2024

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.