Posted: 24 Jun. 2022 7 Lesezeit

FSI Sector Briefing: Stimmung unter europäischen Finanz-CFOs bricht ein

Die konjunkturelle Lage in Europa ist derzeit überaus angespannt. Von Inflation über Störungen bei Lieferketten und Energieversorgung bis hin zu geopolitischen Risiken – die Liste an aktuellen Herausforderungen ist lang. Viele dieser Themen betreffen primär die Realwirtschaft. So hat das produzierende Gewerbe derzeit enorm mit einer Knappheit an Rohstoffen und Zwischengütern zu kämpfen.

Obwohl die gegenwärtige Situation ihren Ursprung nicht im Finanzsektor hat, so sind mittelbare Auswirkungen auch dort zu spüren. Unter anderem senken schlechtere Geschäftsaussichten in anderen Industrien die Nachfrage nach Finanzierungs- und Versicherungsdienstleistungen. Zudem können Gewinneinbrüche bei Gläubigern zu Rückzahlungsschwierigkeiten im Kreditportfolio von Banken führen.

Als Folge entsprechender Befürchtungen hat sich das momentane Stimmungsbild im europäischen Finanzwesen deutlich eingetrübt. Dies zeigt der Deloitte CFO Survey für das Frühjahr 2022, welcher regelmäßig auf Halbjahresbasis durchgeführt wird. Unter den annähernd 1.300 Befragten CFOs in Europa finden sich auch 188 Vertreter aus der Finanzbranche. Deren Rückmeldungen zeichnen ein klar pessimistisches Bild.

 

Stimmung fällt schlagartig ab

 

Noch im Herbst letzten Jahres ließen die Rückmeldungen der Finanzverantwortlichen wenig Ungutes erahnen: Mit einem Nettosaldo (Prozentsatz positiver Antworten abzüglich des Prozentsatzes negativer Antworten) von 37 Prozent lagen die Einschätzungen bezüglich der Geschäftsaussichten im oberen Bereich. Der darauffolgende Einbruch zum Frühjahr ist mit fast 70 Prozentpunkten der stärkste Rückgang seit Durchführung der Umfrage (siehe Abbildung 1).

 

Abb. 1: „Wie beurteilen Sie die momentanen Geschäftsaussichten Ihres Unternehmens im Vergleich zu den Aussichten vor drei Monaten?“

Der aktuelle Wert des Nettosaldos von -32 Prozent ist damit deutlich vom optimistischen in den pessimistischen Bereich abgerutscht. Die Tiefststände, die zu Beginn der Corona-Pandemie zu beobachten waren, werden jedoch nicht erreicht: Mit -49 Prozent lag der Nettosaldo im Frühjahr 2020 noch tiefer. Da sich das Niveau des vorherigen Halbjahres von -10 Prozent bereits auf einem vergleichsweise niedrigen Stand befand, fiel der Rückgang seinerzeit schwächer aus. 

 

Umsatzanstieg kann Margenrückgang nicht verhindern

 

In abgeschwächter Form macht sich der aktuell vorherrschende Pessimismus auch bei den Umsatzerwartungen bemerkbar. Abbildung 2 zeigt, dass derzeit zwar immer noch 58 Prozent der CFOs von einem Anstieg ihrer Umsätze ausgehen, dies liegt jedoch deutlich unter dem Rekordwert des vorigen Halbjahres (76 Prozent). Der Nettosaldo von 39 Prozent kann damit ein positives Niveau aufrechterhalten.

Anders verhält es sich bei den operativen Margen. Wie auch bei den Einschätzungen bezüglich der Geschäftserwartungen ist hier ein Rekordrückgang des Nettosaldos von fast 40 Prozentpunkten zu verzeichnen. Damit rutscht der Wert auf -11 Prozent und somit in den negativen Bereich. Im Durchschnitt erwarten die CFOs also trotz steigender Umsätze einen Rückgang ihrer operativen Margen.

Abb. 2: „Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Umsätze / operativen Margen in Ihrem Unternehmen über die nächsten zwölf Monate verändern?“

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass auch die anziehende Inflation, welche im März 2022 bei 7,4 Prozent in der Eurozone[1] lag, nicht für einen erwarteten Margenanstieg sorgt. Das signifikante Überschreiten ihres Inflationsziels von zwei Prozent könnte die EZB zu deutlichen Zinsanhebungen veranlassen und damit das Ende des Niedrigzinsumfeldes einläuten. Typischerweise können Banken bei höheren Zinssätzen auch ihre Zinsmargen steigern. Aktuell überschatten die negativen Konjunkturerwartungen jedoch diesen Effekt. Beispielsweise hätte ein wirtschaftlicher Abschwung für Banken gestiegene Kreditausfallraten zur Folge – ein Kostenfaktor, welcher auch die Margen entsprechend drückt.

 

Zukunftsinvestitionen weiterhin im Blick

 

Doch trotz dieser akuten konjunturellen Risiken bleiben Zukunftsinvestitionen auf der Agenda der europäischen Finanz-CFOs. Aus Abbildung 3 lässt sich erkennen, dass 34 Prozent der Befragten innerhalb der nächsten zwölf Monate von höheren Investitionen in ihrem Unternehmen ausgehen, einen Rückgang erwarteten lediglich 15 Prozent. Daraus resultiert ein Nettosaldo von 19 Prozent, welcher zwar im Vergleich zum Herbst deutlich gesunken ist, jedoch positiv bleibt und ein mittleres Niveau einnimmt.

Abb. 3: „Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Investitionen / die Beschäftigung in Ihrem Unternehmen über die nächsten zwölf Monate verändern?“

Optimistischer sind die Finanzvorstände bei den Neueinstellungen. Hier beträgt der Nettosaldo zwischen Anstieg und Rückgang ganze 28 Prozent. Der Wert ist damit lediglich einen Prozentpunkt von seinem Höchststand, welcher im vorherigen Herbst erreicht wurde, entfernt. Das negative Stimmungsbild bezüglich Margen und Geschäftsentwicklung reflektiert sich also nicht in den längerfristigen Zukunftsstrategien des europäischen Finanzsektors.

Stattdessen wird davon ausgegangen, dass eine Schrumpfung des eigenen Unternehmens keine kurzfristige Lösung für die aktuellen Herausforderungen darstellen kann. Vielmehr werden Investitionen und Personal als notwendig betrachtet, um längerfristige Wachstumsziele erreichen zu können. Von besonderer Relevanz ist dabei das Thema Digitalisierung: Hier müssen weiterhin große Summen in die Hand genommen werden, um Strategien erfolgreich zu implementieren.

 

Makroumfeld bleibt wesentlicher Unsicherheitsfaktor

 

In der kurzen Frist hingegen bleibt das Makroumfeld der entscheidende Faktor. Allen voran steht die konjunkturelle Großwetterlage in Europa. Verringern sich die Schwierigkeiten bei Lieferketten und Energieversorgung schneller als erwartet, wird ein rascher Aufschwung folgen. Entstehende Wachstumschancen sollten dann frühzeitig ergriffen werden. Entspannt sich die Situation jedoch nicht, so werden auch die Bilanzen der Finanzindustrie stark in Mitleidenschaft gezogen. Ebenfalls von zentraler Rolle ist das damit einhergehende Inflations- und somit Zinsumfeld, das für Kreditinstitute potenziell höhere Margen als Folge von Zinssteigerungen verspricht. 

Es ist folglich ratsam, Vorbereitungen für verschiedenste mittelfristige Szenarien zu treffen. In Anbetracht der vielen Unsicherheiten ist dabei darauf zu achten, Risiken zu minimieren, bis erste konjunkturelle Signale eine Entspannung andeuten. Dabei sollte das eigene Portfolio genauestens durchleuchtet werden. State-of-the-Art-Risikomanagementsysteme helfen bei der Beurteilung der Lage und bieten eine Möglichkeit, das Risikomanagement detailliert zu evaluieren.

Auch die weiter entfernte Zukunft darf nicht aus den Augen verloren werden. Nicht zuletzt die Personalstrategie muss dabei im Mittelpunkt stehen. Der pandemiebedingte Einbruch am Arbeitsmarkt zu Beginn 2020 hatte vor allem Arbeitnehmer aus besonders betroffenen Branchen (beispielsweise Tourismus) zu einem Wechsel in andere Sektoren motiviert. Entsprechende Unternehmen sehen sich nun nach der Erholung einem gewaltigen Personalmangel gegenüber, denn ein signifikanter Teil dieser Fachkräfte hat nicht vor, zu ihren vorherigen Arbeitgebern zurückzukehren. 

Um nicht in eine derartige Bedrängnis zu geraten, müssen Talente konsequent durch Krisen geführt und an das Unternehmen gebunden werden. Deloittes Banking and Capital Markets Outlook 2022 zeigt, dass Mitarbeiterführung während turbulenter Zeiten zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor werden wird. Grundsätzlich bleibt dieses Thema für sämtliche Fachbereiche von Finanzinstituten relevant. Insbesondere in IT-Abteilungen wird die Herausforderung jedoch außerordentlich hoch sein: Hier macht sich der Fachkräftemangel in besonderem Maße bemerkbar. Das Thema Personal hat damit oberste Priorität, um mit hervorragenden Fachkräften einen langfristigen Wachstumskurs sicherstellen zu können.

 

Ansprechpartner Research: 

Dr. Florian Loipersberger

Senior | Financial Services Research 

floipersberger@deloitte.de

 

[1] Europäische Zentralbank – Inflation dashboard: https://www.ecb.europa.eu/stats/macroeconomic_and_sectoral/hicp/html/index.en.html

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Prof. Dr. Carl-Friedrich Leuschner

Prof. Dr. Carl-Friedrich Leuschner

Partner | FS Industry Lead

Prof. Dr. Carl-Friedrich Leuschner, seit den neunziger Jahren in der Wirtschaftsprüferbranche tätig, ist FS Industry Lead und Partner im Geschäftsbereich FSI Audit & Assurance. Er verfügt über umfangreiche Erfahrung im Bereich Abschlussprüfungen von national und international tätigen Kreditinstituten. Als Honorarprofessor für Betriebswirtschaftslehre lehrt er seit 1994 an der Universität Osnabrück am Lehrstuhl für Wirtschaftsprüfung und International Accounting.