Posted: 11 Nov. 2021 5 min Lesezeit

Economic Trend Briefing: Wie die Digitalisierung die Corona-Krise wirtschaftlich abgefedert hat

Die Corona-Krise hatte 2020 weltweit dramatische wirtschaftliche Auswirkungen, die ihresgleichen suchen. Erst zwei Mal seit Ende des 2. Weltkriegs schrumpfte die Weltwirtschaft: während der Finanzkrise 2009 um 1,3 Prozent und eben 2020 – diesmal sehr viel stärker – um 3,4 Prozent durch die Folgen der Corona-Pandemie. Noch stärker betroffen war die deutsche Wirtschaft, die um knapp fünf Prozent einbrach – nur während der Finanzkrise schlug eine Rezession hierzulande heftiger zu Buche.

Natürlich war zu Beginn der Krise unklar, wie groß der Einbruch der Wirtschaftsleistung am Ende sein würde. Während der ersten Corona-Welle waren die Aussichten für 2020 noch sehr viel düsterer – das Bruttoinlandsprodukt war im März und April des vergangenen Jahres im freien Fall, und internationale Organisationen wie die OECD gingen anfangs von Einbrüchen aus, die gegenüber den Werten, die sich am Ende des Jahres tatsächlich realisierten, doppelt so hoch waren.

Ein Faktor unterscheidet die Corona-Krise allerdings von anderen tiefen Rezessionen und auch von früheren Pandemien: Die Krise traf auf eine Welt, die hochgradig digitalisiert und vernetzt ist – und genau diese Digitalisierung hat den wirtschaftlichen Absturz stark gebremst. Die Digitalisierung hat vor allem in einem Bereich den wirtschaftlichen Absturz abgefedert.

Dank schnellem Umstieg auf den Homeoffice-Modus wurde die Wirtschaft unmittelbar gestützt und Unternehmen konnten zu großen Teilen funktionsfähig bleiben. Das Ausmaß dieses Effekts gibt eine bessere Vorstellung von der Bedeutung der Digitalisierung für die Gesamtwirtschaft und auch davon, was uns wirtschaftlich letztes Jahr erspart geblieben ist.

Deloitte Research schätzt, dass die Wirtschaft in Deutschland ohne Homeoffice, also mit geringeren Arbeitsmöglichkeiten und einem insgesamt entsprechend niedrigeren Output, zusätzlich um 17,2 Prozent geschrumpft und das Bruttoinlandsprodukt 2020 somit nicht um 4,9 Prozent, sondern um 22,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen wäre.

In diesem Szenario liegt der wirtschaftliche Rückgang gegenüber dem tatsächlich eingetretenen Fall mehr als viermal so hoch. Und er wäre doppelt so stark gewesen wie im konjunkturell von Corona am schlimmsten betroffenen EU-Land Spanien, dessen Wirtschaft 2020 um knapp 11 Prozent schrumpfte. Insofern waren das bestehende Level der Digitalisierung und das schnelle Umschalten auf Homeoffice von Unternehmen und Organisationen entscheidend, um den Stillstand der Wirtschaft abzuwenden und die schlimmsten Einbrüche zu verhindern.

 

Ein Gedankenexperiment: Corona-Krise ohne Homeoffice

 

Um den Effekt abzuschätzen, hat Deloitte Research ein Szenario entwickelt, in dem der Wirtschaftseinbruch 2020 für Deutschland ohne Homeoffice simuliert wird. Dabei wird untersucht, wie viele Arbeitnehmer maximal unter Wahrung der seit April 2020 geltenden Abstands- und Hygieneregeln ins Büro hätten kommen dürfen und wieviel weniger Wertschöpfung durch die geringere Anwesenheit generiert worden wäre. Es werden also die Bürokapazität unter Corona-Bedingungen und die Anzahl der Bürobeschäftigten gegenübergestellt. Berücksichtigt werden nur Angestellte, die größtenteils eine Bürotätigkeit ausüben und die deshalb in der Pandemie einen Büroarbeitsplatz benötigt hätten.

Bei den volkswirtschaftlichen Effekten unterscheiden wir zwischen direkten und indirekten Effekten. Die direkten Effekte beziehen sich auf den geringeren Output in den jeweiligen Sektoren, der durch die Anzahl der fehlenden Arbeitnehmer – je nach Branche unterschiedlich – verursacht worden wäre. Dadurch, dass in diesen Branchen weniger produziert worden wäre, wären auch andere Branchen betroffen, die mit ihnen verflochten sind, also vor allem Vorleistungen liefern. Diese indirekten Effekte bilden wir in unserer Untersuchung über eine volkswirtschaftliche Input-Output-Analyse ab.¹ Dies betrifft beispielsweise Maschinenbau-Unternehmen, die wegen fehlender Mitarbeiter im Einkauf weniger Vorprodukte nachgefragt hätten – genauso wie Werbeagenturen, die wegen geringerer Bürobesetzung weniger Dienstleistungen erbringen hätten können und deswegen weniger freiberufliche Grafiker beauftragt hätten. 

Laut ifo Institut konnten in Deutschland letztes Jahr grundsätzlich etwas mehr als die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten – und damit rund 18,7 der 33,6 Millionen – im Homeoffice arbeiten, weil sie Bürotätigkeiten ausüben². Diese 18,7 Millionen Büroarbeitsplätze bilden den Ausgangspunkt unserer Berechnung. Außerdem werden bei der Untersuchung der maximal möglichen Belegung in deutschen Büros die aktuell bestehenden Büroformen wie beispielsweise die Anzahl von Ein- oder Zwei-Personen-Büros oder Open-Space-Flächen berücksichtigt. Auf dieser Grundlage wird abgeschätzt, welche Effekte eine Abstandsregel von 1,5 Metern auf die Verfügbarkeit von Büroarbeitsplätzen hätte. So hätten Ein-Personen-Büros zum Beispiel wie zu normalen Zeiten besetzt werden können, andere Büroformen entsprechend der Abstandsregeln im Zeitraum April bis Dezember 2020 mit weniger Personen.

 

Über 4 Millionen Arbeitnehmer hätten ohne Homeoffice nicht arbeiten können

 

Der Effekt von Homeoffice auf die wirtschaftliche Abfederung der Corona-Krise ist enorm. Deloitte Research schätzt, dass unter den Corona-Regeln 14,4 Millionen Büro-Arbeitsplätze zur Verfügung gestanden hätten. Damit hätten 4,3 Millionen Arbeitnehmer – und damit jeder achte Angestellte – nicht zur Arbeit kommen und wie gewohnt ihre Leistungen erbringen können. Dieser Ausfall hätte sich unmittelbar in den Umsätzen der Unternehmen und der Wirtschaftsleistung Deutschlands niedergeschlagen.

Die beschränkte Bürokapazität hätte je nach Branche unterschiedliche Folgen gehabt, da der Anteil der Büroangestellten zwischen den Branchen stark schwankt. In Bereichen mit vielen Büroangestellten wäre der Effekt dementsprechend stark gewesen, während Branchen mit wenigen Bürotätigkeiten und entsprechend geringeren Möglichkeiten für die Nutzung von Homeoffice weniger betroffen gewesen wären.³ Am stärksten wäre der Effekt in der Finanz- und Versicherungsindustrie gewesen, gefolgt von der Informations- und Kommunikationsbranche. In diesen beiden Branchen hätten um die 20 Prozent der Beschäftigten nicht arbeiten können, während Verkehr und Landwirtschaft naturgemäß wegen der geringen Zahl der Büroarbeitsplätze sehr viel weniger betroffen gewesen wären.

Wenn man annimmt, dass die fehlenden Arbeitnehmer je nach Industrie proportional auch deren Output vermindert hätten und man den gesamtwirtschaftlichen Anteil der jeweiligen Industrie berücksichtigt, zeigt sich: Das Bruttoinlandsprodukt wäre durch die direkten Effekte um 10,2 Prozent geschrumpft. Die induzierten indirekten Effekte hätten es um weitere 7,0 Prozent schrumpfen lassen. Damit hätte der BIP-Verlust in diesem Szenario zusätzliche 17,2 Prozent betragen und das BIP in Deutschland wäre 2020 nicht nur um 4,9 Prozent geschrumpft, sondern um 22,1 Prozent – mehr als das Vierfache.

Der Effekt des Homeoffice auf die Wirtschaftsleistung, die aufgefangen werden konnte, ist damit mehr als beträchtlich. Allerdings dürfte die Berechnung den Gesamteffekt der Digitalisierung in der Pandemie sogar noch unterschätzen, weil sie in weitaus mehr Bereichen das Weiterfunktionieren der Wirtschaft ermöglicht hat. So konnte beispielsweise dank E-Commerce trotz Lockdown weiter konsumiert werden. Allerdings ist der Effekt durch E-Commerce zwar durchaus ansehnlich, verblasst aber neben den Auswirkungen des Homeoffice. Die Steigerung des E-Commerce zwischen 2019 und 2020 macht 0,8 Prozent des BIP aus; das heißt, ohne diese E-Commerce-Steigerung wäre das BIP um weitere 0,8 Prozent zurückgegangen. Andere Effekte sind dagegen kaum zu berechnen und betreffen viele Bereiche der Wirtschaft, aber auch der Gesellschaft. So konnte durch digitalisierte Lieferketten weiter produziert werden und durch digitalen Unterricht, mit allen bekannten Schwächen, die Schule online weitergeführt werden. Insofern war die Digitalisierung in der Corona-Krise ein entscheidender stabilisierender Faktor, der eine noch sehr viel tiefere Rezession verhindert hat.

 

¹ Die Input-Output-Rechnung ist ein Teil der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Sie stellt die Verflechtung der Sektoren einer Volkswirtschaft in monetären Einheiten dar und erlaubt die Analyse von Wechselwirkungen zwischen Sektoren sowohl im In- als auch im Ausland.

² ifo Institut: https://www.ifo.de/publikationen/2020/aufsatz-zeitschrift/homeoffice-waehrend-der-pandemie-und-die-implikationen

³ ifo Institut, Statistisches Bundesamt, Deloitte-Berechnung

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.

Egbert Wege

Egbert Wege

Partner

Egbert Wege leitet als verantwortlicher Partner den Sektor Consumer Products & Retail sowie den Bereich Innovation. Sein Beratungsschwerpunkt liegt auf den Themen Handel, Multichannel, Digital Transformation, Digital Marketing sowie Markteintrittsstrategien und Digitalisierung, Kundenbindung, Branding und Innovation. Seine Handelserfahrungen an der Konsumentenschnittstelle bringt er auch in die Branchen Finanzdienstleistungen, Travel und Pharma ein. Egbert ist seit 1999 in der Beratung tätig. Zwischen 2005 und 2011 arbeitete er sechs Jahre lang für ein führendes internationales Versandhaus u. a. als Geschäftsführer.